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Nicht mehr Notstands-, sondern Wohlstandskriminalität

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Wenn man die Kriminalstatistik für das Jahr 1954 ansieht, könnte man Beruhigung empfinden, denn die Zahl der Verbrechen ist innerhalb von acht Jahren um die Hälfte, die der Vergehen um etwa ein Drittel gesunken. Dringt man aber in dieses düstere Sittengemälde mit seinen Zahlen, Kolonnen und Schaubildern tiefer ein, offenbaren sich doch bedenkliche Symptome. Wie wird, so fragt man, die Statistik für die

Jahre 195 5 und 1956 aussehen, angesichts der schweren Verbrechen, die sich in letzter Zeit ereignet haben?

Fast zwei Drittel aller Verbrechen ynd Vermögensdelikte gewesen. Sie bestimmen nach wie vor den Umfang der Verbrechenskriminalität (siehe Schaubild). Unter ihnen haben nur die Betrugsfälle, eine Art „veredelter Diebstahl“, zugenommen. Sie stiegen von 1081 im Jahre 1953 auf 1161 im Jahre 1954. Ein Vergleich zwischen 1913, dem letzten echten Friedensjahr, 1923, dem chaotischen Nachkriegsjahr, 1932, dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, und dem Konjunkturjahr 1954 zeigt, daß die gesamten Verbrechen nicht abgenommen haben. Die These der alten sozialen Utopisten von der Not als Triebfeder ist damit ad absurdum geführt.

Davon

Jahr Verbrechen Vermögens- Sittlichkeitsdelikte delikte 1913 9.285 4.967 891 1923 22.264 16.300 1.087 1932 16.796 10.983 1.264 1954 16.661 9.569 2.222

Beunruhigend ist ein Blick auf das Alter der Rechtsbrecher. Der Kommentar sagt zwar nüchtern, die wesentlichen Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen erwiesen, daß „in allen Jahren die höchsten Kriminalitätsziffern zwischen dem 18. und dem 30. Lebensjahr lägen“. Es enthüllt sich aber beim Vergleich doch die peinliche Höhe der Sittlichkeitsdelikte Jugendlicher (im Gesetzessinne die Vierzehn- bis Siebzehnjährigen), die seit 1946 auf das Zehnfache, gestiegen sind.

In den Jahren 1946 bis 1954 hat sich gegenüber der Zwischenkriegszeit die Vermögensund Sittlichkeitskriminalität der jugendlichen Rechtsbrecher verdoppelt. Von 2222 Sittlichkeitsdelikten wurden 460 von Vierzehn- bis Siebzehnjährigen, 491 von Achtzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen verübt. Von 7110 wegen Diebstahls Verurteilten waren 3 559 unter 25 Jahren, 1040 zwischen 14 und 17, 2519 zwischen 18 und 25 Jahren.

Diese Zahlen, inklusive der 49 Morde, 24 Totschläge, 76 echten Notzuchtverbrechen, 908 Fälle von Erpressungen und 1366 schweren Körperverletzungen, müssen dem großen wirtschaftlichen Aufschwung, wie ihn Oesterreich seit 1918 nicht mehr gekannt hat, gegenübergestellt werden. So gesehen, gewinnen sie Gewicht. Es trat nämlich, wie es treffend formuliert wurde, an die Stelle der Notstandskriminalität die Wohlstandskriminalität. Um die Ursachen zu finden, bedarf es nur eines Blickes in die uns umgebende gesellschaftliche Wirklichkeit.

Man hat jahrelang abgewertet. Die Abwertung ging von oft entgegengesetzten politischen Richtungen aus, richtete sich aber doch im allgemeinen gegen die Autorität und ihre Träger: Lehrer, Richter, Polizisten, Offiziere, Meister, Priester und Eltern, im besonderen gegen das Privateigentum und den Abtreibungsparagraphen. Hatte diese Abwertungskampagne zeitweise unter den kritiklosen Massen stark werbende Wirkung, mußte sie doch zwangsläufig zum Schaden des Gemeinwesens werden. Sie formte eine Einstellung, die den noch immer gültig gebliebenen Rechtsbegriffen diametral entgegengesetzt war.

Die folgenschwerere, weil gegenwärtige Abwertung wird von gewissen Filmen und einer gewissen Presse betrieben, deren Wellenschlag seit etwa vier Jahren besonders hoch geht. Mit einer buchhalterischen Akribie schildert man Sexualverbrechen und Mord in Bild und Ton. Wenn man solche detaillierte Tatschilderungen liest, wenn die ganze strafrechtliche Nomenklatur in Filmtiteln wiederkehrt und überhaupt mit heuchlerischer Entrüstung über den Ausnahmezustand im Menschlichen so gefällig, leicht und so unablässig berichtet wird, fragt man sich, wie lange der besonders gefährdete Jugendliche diesem .amoralischen Dauerregen standhalten kann, ehe er, dem es oft an Vergleichsmöglichkeiten fehlt, ein Opfer dieser Schwarzweißmalerei wird. Der Ausnahmezustand wird dadurch fast zum Normalzustand erklärt, das Verbrechen zu einem ethischen Verkehrsunfall.

Gewiß, andere Epochen standen unserer an Grausamkeit, Lieblosigkeit und Rücksichtslosigkeit nicht oder nur wenig nach, aber in ihnen war das Gewissen wach, nicht narkotisiert, weil über das Verbrechen weder leichtfertig geschrieben noch mit ihm Reklame gemacht wurde. Das Rechtsgefühl war ausgeprägter, weil das angedrohte Strafmaß meist vollzogen wurde. Es verleitet, wie DDr. Haupt bemerkte, der moralische Gesichtspunkt der Gerechtigkeit besonders heute dazu, die Lösung des Problems der Verantwortlichkeit des Täters in dessen subjektiver Beziehung zur Tat zu suchen. Das will sagen, man macht die Strafbarkeit in zu großem Maße von der Person und dem Charakter des Rechtsbrechers abhängig. Daraus resultieren milde Strafsätze, die die Zahl der Verbrechen wiederum ansteigen lassen. Zwischen milden Strafen und hoher Verbrechenszahl besteht ein beinahe mathematisches Korrelativ. Es ist keineswegs zufällig, sondern trifft mit den schweren Blutverbrechen dieses Jahres zusammen, daß, unabhängig voneinander, aber etwa zur gleichen Zeit, der bayrische und der österreichische Innenminister sich etwa dahin äußerten, die Strafen scheinen nicht mehr genug abzuschrecken, sie seien zu milde. Gegenwärtig herrscht die Scheu, den alten Ordnungsprinzipien, also Autorität, Pflicht, Gehorsam, Nachdruck zu verleihen. Lieber wird ein Wertbegriff sicherheitshalber abgeschwächt, um ja nicht durch einen überkommenen Wert falsch verstanden zu werden. Es ist ja überhaupt bequemer, sich eines Wertes zu entledigen, als sich mit ihm auseinanderzusetzen. Diese Furcht, mit der Vergangenheit identifiziert zu werden, ist heute unbegründet. Der junge Mensch a n-erkennt und sucht, wie es bei den großen Diskussionen am evangelischen Kirchentag zum Ausdruck gekommen war, die Autorität, wenn sie ihm als lebendige Autorität in modernen Sozialformen entgegentritt, und nicht als Anmaßung. Er verneint die Gleichheitslüge und beugt sich den natürlichen Rangordnungen. Es rumort in der heutigen Jugend. Nötiger denn je braucht sie daher Freunde. Verantwortungsbewußte Freunde, die ihr Rechtsbewußtsein stärken, die sie lehren, dem allent-halb gepriesenen Fortschritt zu mißtrauen, der so ungeheure Anforderungen an die geistige und moralische Kraft im Menschen stellt. Die Zahlen der- Verbrechensstatistik gebieten, daß sich dem oft frappanten technischen Wissen des Jugendlichen das Wissen der elementarsten Rechtsbegriffe beigeselle, daß ihm etwas vom Wesen des Rechts vermittelt werde. Von jenem blutvollen Leben, das hinter den so oft verketzerten Paragraphen steht. Denn unser ganzes Leben steht im Schatten des Rechts.

Aus kulturellen Vereinigungen

Wiener Volksbildung. 12. IX., Urania: Bei klarem Himmel die ganze Woche Sternführung ab 20.30 Uhr. Bei Schönwetter täglich Handpuppen-Kasperlspiele auf der Urania-Insel am Gänsehäufel. Spielleitung: Lehrer Kraus. 15 Uhr. — Margareten: Hans Winfried Rohsmann: Jugoslawien. Mit Lichtbildern und Schallplatten. 19 Uhr, — Wien-West, Urlaub in Wien: Adolf Janicek führt durch, die Albertina. Zusammenkunft Eingang Albertina (Augustinerstraße) um 16.30 Uhr. — Volksbildung im Park: Gartenarchitekt Berger führt durch den Stadtpark. Treffpunkt: Johann-Strauß-Denkmal, 17 Uhr. — Wiener Volkssternwarte, XVI, Johann-Staud-Straße 10: Bei sternklarem Himmel Führung um 20 Uhr. — 13. IX.: Margareten: Dr. Farkasch: Peloponnes. Mit Lichtbildern.

19 Uhr. — Wien-West, Flakturm Esterhäzypark: Hermann Mucke: Mond und Mondlandschaften. 20 Uhr. — Urlaub in Wien: Adolf Janicek führt durch die Mozart-Ausstellung im Prunksaal der Nationalbibliothek. Anschließend Besichtigung des Lesesaales. Zusammenkunft Josefsplatz, 17 Uhr. — Volksbildung im Park: Gartenarchitekt Berger führt durch Belvedere und Schwarzenbergpark. Treffpunkt: Tankstelle, Rennweg 2, um 17 Uhr.

— 14. IX.: Urania: Bei klarem Himmel Sternführung ab 20.30 Uhr. — Margareten: Karl Lukan: Tote Städte und Totenstädte der Etrusker. Mit Farbbildern. 19 Uhr. — Wien-West: Urlaub in Wien: Besichtigung der Abteilung für Chirurgie und Medizin in der tierärztlichen Hochschule. Zusammenkunft Eingang III., Linke Bahngasse 11, 18.30 Uhr. — Volksbildung im Park: Gartenarchitekt Berger führt durch den Botanischen- und Aloengarten. Treffpunkt: Rennweg 14, um 17 Uhr. — 15. IX.: Wien-West. Flakturm Esterhäzypark: Hermann Mucke: Voraussetzungen und Möglichkeiten planetaren Lebens.

20 Uhr. — Urlaub in Wien: Letzte Besichtigung der Baustelle des neuen Südbahnhofes vor der Eröffnung. Vortragender: Bauingenieur Grötzbach. Zusammenkunft Eingang des alten SUdbahnhofes um 16.30 Uhr. — Volkstanzen unter Leitung von Dr. Hermann Lein. 19.30 Uhr.

— Wiener Volkssternwarte, XVI., Johann-Staud-Straße 10: Bei sternklarem Himmel Führung um 20 Uhr. — 16. IX.: Wien-West. Vogelsangheim (Straßenbahnlinie 63), 9 bis 18 Uhr: Besinnungstag. Das Thema ..Einsamkeit — Gemeinschaft — der Nächste“ wird philosophisch, psychologisch und religiös behandelt. Vortragende: Stadtpfarrer Dolezal, Fachpsychologin Dr. med. Eva Firkel, Dr. phil. Mader. Gesamtleitung: Dir. Vetter. Preis für die Veranstaltung (inklusive drei reichlichen Mahlzeiten) S 35.—. Anmeldungen VI., Amerlingstraße 6. — Wien-West. Flakturm Esterhäzypark: Hermann Mucke: Moderne Sonnenforschung und ihre Ergebnisse. 10 Uhr. — Urlaub in Wien: Besichtigung des Parlaments. Vortragender: Adolf Janicek. Zusammenkunft Parlamentsrampe, Ecke Stadiongasse, 10 Uhr. Besichtigung der Prunkräume in der Akademie der Wissenschaften und Jesuitenkirche. Vortragender: Adolf Janicek. Zusammenkunft I., Dr.-Ignaz-Seipel-Platz, 15.30 Uhr.

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