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Wissenschaftliche Pflegestätte des Weines

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Es war gewiß kein bloßer Zufall, daß vor rund 100 Jahren das rebenumwobene und sagenumsponnene alte Babenbergerstädtchen Klosterneuburg zum Sitz einer kleinen Weinbauschule auserkoren wurde. Zwei Umstände waren hierfür wohl maßgebend. Einerseits bestanden infolge des Auftretens bisher unbekannt gewesener Rebenkrankheiterr und Schädlinge, wie Peronospora, Oidium, Reblaus usw., lebhafte Bestrebungen um die Erhaltung und Förderung des Weinbaues. Weiter lag die Notwendigkeit vor, auf Grund neuer Erfahrungen die Kellerwirtschaft zu modernisieren. Auf diesen Gebieten waren den Wissenschaftlern in Verbindung mit der großen Praxis weite Ziele gesteckt. Anderseits wurde die Lösung dieser Aufgaben durch die verständnisvolle Einsicht des Chorherrenstiftes Klosterneuburg ermöglicht und es kam im März 1860 über Initiative der k. k. Landwirtschaftsgesellschaft in Wien unter Führung des damaligen Prälaten des Chorherrenstiftes ' zur Gründung der Weinbauschule. Unter den Fittichen des Stiftes, das seit jeher Träger von Kultur und Fortschritt war, und unter Mitwirkung einer Reihe von Fachleuten und Forschern wuchs die junge Schule im Drange der Zeit bald zu einer der drei führenden europäischen Lehr- und Forschungsanstalten für Wein- und Obstbau heran (Montpellier, Klosterneuburg, Geisenheim). Sie wurde zu einem Organismus ausgebaut, dessen Pulsschläge nicht nur innerhalb der alten österreichisch-ungarischen Monarchie wahrzunehmen waren, sondern auch im europäischen und außereuropäischen Ausland nachhaltige Wirkung zeigten.

Das Wachstum der jungen Anstalt ging derart rasch vor sich, ihr Wirkungskreis mußte sich den steigenden Anforderungen so rasch anpassen und diesen gerecht werden, daß sie bereits nach einigen Jahrzehnten zur Höheren Lehr- und Versuchsanstalt ausgestaltet war. Ihr Arbeitsfeld war äußerst vielseitig geworden und hatte eine weitgehende Aufgliederung in eine Reihe von speziellen Fachgebieten zur Folge. Aus den Forschungsabteilungen sind die verschiedensten Arbeiten hervorgegangen, die sich für den Wein- und Obstbau sowie auf die Kellerwirtschaft fruchtbringend ausgewirkt haben. Als Lehranstalt entsandte sie Männer, die nicht nur in der seinerzeitigen Monarchie, sondern fast in ganz Europa, besonders im südöstlichen Teil, aber auch in Ueberseegebieten als Lehrer, Organisatoren, als Fachleute und Forscher den Weltruf von Klosterneuburg mitbegründet haben. Die Zahl der ausländischen Studierenden übertraf in manchen Jahren jene der bodenständigen. Wenn auch gelegentlich durch Ungunst der Verhältnisse zeitweise Störungen im Ausbau der nun altehrwürdig gewordenen Bildungsstätte eingetreten sind, so war dieser doch nie zum Stillstand gekommen. Die auf dem Gebiet des Wein-und Obstbaues sowie der Kellerwirtschaft so erfolgreiche Vergangenheit der Anstalt war die Triebfeder für eine stets ansteigende Entwicklung, und auch heute hält ihr Ausbau mit den Erfordernissen der Zeit Schritt. Der Geist der seinerzeit führenden Männer wie: Babo, Rathay, Weigert, Seifert usw., ist auch in den nachfolgenden Lehr- und Fachkräften lebendig geblieben und es darf als ein wertvolles Zeichen gewertet werden, daß auch jetzt das Ausland nicht nur die Versuchsund Forschungstätigkeit der Anstalt mit Interesse verfolgt, sondern die wissenschaftlichen Fachkräfte auf ausländischen bzw. internationalen Kongressen gehört werden.

Die Anstalt ist eine Einrichtung des Staates, die Organisation, die Einrichtungen und Anlagen ihrem Aufgabenkreis zeitgemäß angepaßt. Sie untersteht dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, was schon darauf hinweist, daß die Anstalt nicht nur Unterrichtszwecken dient, sondern daß ihr, in Fühlungnahme mit der Praxis, auch Versuchs-, Forschungs- und Förderungsdienst zugedacht sind. Demgemäß erstreckt sich der Aufgabenkreis der Anstalt auf drei Hauptgebiete: Lehrtätigkeit, Versuchs- und Forschungsdienst sowie Förderungsdienst.

Als höhere Fachschule hat die Anstalt die Aufgabe, zwar das Niveau der Allgemeinbildung ihrer Schüler zu heben, aber in der Hauptsache sowohl eine gut fundierte theoretische Ausbildung zu bieten als auch dafür zu sorgen, daß damit technische Fertigkeiten Hand in Hand gehen und somit auch eine grundlegende praktische Ausbildung gewährleistet ist. Nachdem das Lehrziel in drei Jahrgängen erreicht werden soll, ist es verständlich, daß bereits die Anforderungen bezüglich der Aufnahme entsprechend hoch sein müssen. Ein gutes Abgangszeugnis über eine Untermittelschule oder Hauptschule, eine zweijährige Praxis sind Vorbedingung, während zuletzt die Aufnahmsprüfung über die Aufnahme entscheidet. Mit Rücksicht auf die umfangreichen Stoffgebiete und die praktischen Uebungen hierzu liegt eine tägliche Beanspruchung der Schüler mit sieben bis acht Stunden vor; erst außerhalb dieser Zeit besteht die Möglichkeit für eigenes Studium.

Abgesehen von den allgemeinbildenden Unterrichtsgegenständen nehmen vor allem die grundlegenden Fächer wie: Chemie, Botanik, Mineralogie, Bodenkunde, Meteorologie usw. in den ersten zwei Jahrgängen breiteren Raum ein, während die Hauptfächer: Weinbau und Kellerwirtschaft, Weinchemie, Obstbau und Obstverwertung mit ihren Uebungen hierzu, den zweiten und dritten Jahrgang belasten. Daneben reihen sich noch als spezielle Fächer geringeren Umfan-ges: Pflanzenzüchtung, Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbekämpfung, Meßkünde, Bauend Maschinenkunde, Gesetzeskunde, die Landwirtschaftslehre u. a. m.

Den Schülern stehen reichhaltige Sammlungen von Lehrmitteln und Einrichtungen für einen modernen, auf die Praxis abgestimmten Unterricht zur Verfügung. Ausgedehnte Weingärten und Obstanlagen bieten Gelegenheit für jede praktische Betätigung, während die Weinkellerei mit dem stets modernsten Maschinenpark, die Obstverwertungs- und Brennereianlagen, Kühlräume und die entsprechenden Laboratorien für die praktischen Unterweisungen und Uebungen dienen.

Wie aus dem angeführten Studiengang zu entnehmen ist, umschließt diese Ausbildung ei spezielles Fach besonderer Prägung. Es werden an den Schüler zwar bedeutende Anforderungen gestellt, dafür ist ihm aber die Möglichkeit gegeben, auf diesem Fachgebiet fast konkurrenzlos eine Existenz zu finden *nd heute noch bei anerkannter Tüchtigkeit gaz beachtliche Stellungen einzunehmen. Vor allem stehen dem tüchtigen Absolventen die Privatpraxis auf dem Sektor Weinbau, Kellerwirtschaft, Obstbau und Obstverwertung offen. Die Praxis bietet dann besonders gute Existenzmöglichkerten, wenn mit einem gründlichen Fachwissen auch ein gutes Organisationstalent mit kaufmännischem Einschlag verbunden ist. Weiter stehen dem Absolventen auch gewisse Sparten im öffentlichen Förderungs- und Verwaltungsdienst sowie der landwirtschaftliche Lehrberuf offen. Begrüßenswerterweise gibt es aber auch Absolventen, die, aus dem Fach kommend, wieder auf den elterlichen Betrieb zurückkehren, um dort ihr Wissen zu verwerten. Sie stellen dann sehr oft in ihrer Gegend wertvolle, aufgeschlossene und fortschrittliche Pioniere auf dem Gebiet des Wein- und Obstbaues dar oder nehmen führende Stellungen in wirtschaftspolitischer Beziehung ein.

Neben dem dreijährigen Studiengang laufen auch verschiedene kurzfristige Spezialkursc für Praktiker, Besonders Stark besucht sind jährlich die Htägigen Kcllcrwirtschaftskurse. Die Obstbaukurse sind in kürzeren Terminen auf das ganze Jahr verteilt.

Ein integrierender Bestandteil des Aufgabenkreises der Lehranstalt ist die Versuchsund Forschungstätigkeit. Die wissenschaftliche Tätigkeit soll vor allem den praktischen Zielen des Wein- und Obstbaues und der Kellerwirtschaft dienen. Probleme und Tagesfragen, die in der Praxis auftauchen, sollen hier durch Forschung und Versuche gelöst werden, m so der Praxis fördernd zur Seite zu stehen. So stellen die einzelnen Abteilungen oder Laboratorien Forschungsstätten dar, an denen Spezialisten auch spezielle Fragen zu lösen haben. Um nur auf einige Fragenkomplexe aus der letzten Zeit zu verweisen, sei angeführt:

Die Abteilung Weinbau und Kellerwirtschaft behandelt z. B. die Frage der Hochkultur im Vergleich zur Pfahlkultur, inklusive von deren Weinqualitäten, die Frage der Humondüngung, Phosphorsäuredüngung, der Sommer-Kalidüngung zur Zuckersteigerung in der Traube; weiter laufen die Erprobung von Neuzüchtungen und deren Weinen, von Bodenbearbeitungs- und Spritzgeräten. Im Keller laufen Gärversuche in Drucktanks sowie Versuche mit gekühlter Gärung.

Die Abteilung Obstbau und Obstverwertung befaßt sich mit Wuchsstoffen bezüglich Fruchtausbildung und Haltbarkeit. Erprobung von neuen Erdbeersorten, blütenbiologischen Beobachtungen, Kühllagerung und Tiefkühlung von Obst.

Im Laboratorium der allgemeinen Chemie werden neue Analysenmethoden ausgearbeitet sowie verschiedene Früchte auf ihren Vitamingehalt untersucht.

Die Abteilung Weinchemie befaßt sich mit der Erprobung von neuen Weinbehandlungsmitteln und -methoden.

Versuche mit Wuchsstoffen beim Rebstock, Gemüsedüngungsversuche und Gemüsezüchtungen fallen der Abteilung Botanik zu.

Die Mikrobiologie bearbeitet derzeit die Bakteriologie des Weines in Verbindung mit der gekühlten Gärung.

Im Hinblick auf die Veröffentlichung der Forschungs- und Versuchsergebnisse gibt die Anstalt regelmäßig eine Fachzeitschrift heraus. Sie weist trotz ihres kurzen Bestehens von einigen Jahren bereits internationale Verbreitung auf und stellt durch die Mitarbeit anderer Fachleute sozusagen die Verbindung mit den Fächkreisen der ganzem Welt dar.

Der Förderungsdienst erstreckt sich seinerseits auf die Beratung innerhalb de? Anstalt

bezüglich sämtlicher Gebiete des Wein- und Obstbaues, Untersuchung und Behandlung fehlerhafter und kranker Weine, Rcinhefc-aufzucht und Abgabe an Interessenten, Be-

ratung in der Schädlingsbekämpfung, Reben-Züchtung usw. und anderseits auf Vorträge und Referate bei auswärtigen Versammlungen und Tagungen.

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