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Der behauste Mensch

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Not macht erfinderisch. In Krisenzeiten wird der Mensch gezwungen, alle greifbaren Baustoffe möglichst rationell zu verarbeiten und vielseitig zu verwerten. Ganz ,voh selbst muß er dabei auf die jedem Material eigentümlichen Gestaltungsgesetze stoßen und sie wiederfinden. Erst in den auf die Krisenzeiten meist folgenden hektischen „Gründerjahren“ vergißt er das Gelernte und baut sich wieder unrationelle und funktionslose Paläste, verkleidet mit falschem Marmor ... Architekt Roland Rainer hat in seinem ausgezeichneten Buche „Ebenerdige Wohnhäuser“ alle Vorteile eines „behelfsmäßigen“ Bauens nachgewiesen und sich mit Nachdruck für das ebenerdige, keller- und dachgeschoßlose Einfamilienheim eingesetzt. Während aber bei uns dieses an sich gewiß ideale Haus nur beschränkt zu verwirklichen sein wird — die Not an freien Bauplätzen gerade um die größeren Städte setzt hier enge Grenzen —, ist es für unterbesiedelte Länder, wie etwa Kanada, in jeder Hinsicht geeignet und erstrebenswert. So ist auch der (ForfsefzHKg auf Seite 9) (Fcrtsetr“rg von Seite S) Wettbewerb zu verstehen, den ein kanadisches In-dustriehaus, Calvert Distillers Limited, unter dem Titel „Das kanadische Eigenheim von morgen“ aus geschrieben hatte. Der Wettbewerb verschloß sich bewußt den Einflüssen der modernen amerikanischen Architektur, die stark nach Kanada hineinwirkt, und stand nur Teilnehmern aus Kanada selbst sowie aus Europa unter Einschluß Großbritanniens offen. Die so erhoffte Blutauffrischung blieb auch nicht aus. Insgesamt gingen 660 Entwürfe von 1600 Architekten und Studenten aus 17 Ländern ein, darunter .160 Entwürfe aus Kanada und 170 aus Großbritannien und Irland. Den ersten Preis gewann Knud Peter Harboe, Dänemark, die beiden zweiten Preise erhielten ein Kanadier und ein Schotte. Unter den zehn weiteren Auszeichnungen ist auch die Arbeit eines Wiener Architekturstudenten, Hans Scasnys. Die preisgekrönten Entwürfe werden in allen Ländern, die einen Preisträger gestellt haben, gezeigt werden; in diesen Tagen waren sie in Wien, in der Galerie Würthle, zu sehen.

In der Beschränkung kann sich nur wirkliches Können durchsetzen. Alle diese Häuser durften, obwohl sie — bis auf wenige Ausnahmen — ebenerdig geplant sind, keine zu großen Dimensionen annehmen: dadurch blieb nur Platz für die Erfüllung der wesentlichsten Wohnbedürfnisse. Die Beschränkung lehrt, wenn man das Haus — ebenso wie die Familie — als Organismus begreift, nicht nur zu bauen, sondern auch zu wohnen. So brachte die Ausstellung eine Reihe freundlicher, gefälliger Lösungen Die Ausschreibung verlangte Häuser für eine Familie mit drei Kindern; unter „morgen“ wollte sie nicht eine ferne Zukunft, sondern einen Zeitpunkt, der nicht mehr als 24 Stunden von uns entfernt ist, verstanden wissen. So gab sie den ernsten Versuchen, die sich leicht durchführen lassen werden, den Vorzug, und verwarf phantasiereichere Gebilde. Der Lösungstyp, der am häufigsten vertreten war und auch die ersten Preise erhielt, war ein langgestreckter Bau mit niedrigem Dach. Er scheint am besten geeignet, Wohnräume für das tägliche Leben einer Familie vernünftig anzuordnen. Dabei fällt auf, daß viele Entwürfe eine klare Trennung zwischen Schlaf- und Wohnräumen einerseits und den Zimmern für die Kinder und denen für die Erwachsenen vornehmen. Holz und Glas sind die Materialien, die am meisten zur Verwendung vorgeschlagen werden. Alle Häuser scheinen gut in die Landschaft eingepaßt; aber nicht, indem sie sich der Natur anzugleichen versuchen, sondern indem sie als bewußter Gegensatz zu ihr auftreten. Gerade dadurch aber, daß sie deutlich als „Gebilde von Menschenhand“ zu erkennen sind, wirken sie genau so selbstverständlich wie ein Strauch oder eine Wiese. Auch lieben es die Entwürfe zuweilen, einen Teil der Natur, ein Stück Garten vielleicht mit ein paar Bäumen oder einem Spielplatz für die Kinder, in den Wohnbereich des Hauses mit einzubeziehen, und die eigentliche Trennung zur Außenwelt nicht mehr unbedingt mit der Hauswand zusammenfallen zu lassen. Um so selbstverständlicher und um so einfacher das moderne Einfamilienhaus gegliedert ist, um so stärker wird es nicht bloß ein Schutz gegen Regen und Kälte bleiben müssen, sondern auch das echte Zusammenleben einer Familie ermöglichen.

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