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Die „Hausberge der Wiener“

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Die intensive Beanspruchung des berufstätigen Menschen während der Arbeitszeit führt immer mehr zur Einsicht, daß neben der Produktion, dem Verkehswesen und dem Wohnen der großstädtischen Bevölkerung, auch die Erholung eine größere Beachtung erfordert. Gerade im Wiener Raum zeigt es sich, daß die verstärkte Motorisierung und die Fünftagewoche eine Umschichtung im Erholungswesen bewirkten. Während sich breite Schichten der Wiener Ausflügler in früheren Jahren mit der Erholungszone im Weichbild und in der unmittelbaren Umgebung der Stadt begnügten, da die wenig Kosten verursachenden öffentlichen Verkehrsmittel günstige Verbindungen dorthin ermöglichten, konzentriert sich augenblicklich das Interesse der motorisierten Ausflügler im verstärkten Umfang auf die Tages- und Wochenendausflüge.

Neue Zielpunkte erschlossen

Dieses Aufenthaltsgebiet für das Wochenende erstreckt sich von Wien aus bis in eine maximale Entfernung von rund 100 Kilometer und ist für den Individualverkehr verhältnismäßig rasch erreichbar. Das mathematisch-rationelle Denken ist eben auch bereits in den Bereich des Erholungs- und Ausflugswesens eingedrungen. Die Wochenendaufenthalte vermitteln in relativ kürzester Zeit die größtmöglichen Erholungswerte, wobei die Fahrzeit besser ausgenützt und die finanziellen Kosten sinnvoller angelegt werden.

Nach dem Verlust der wohnungsnahen Erholungsmöglichkeiten werden durch den motorisierten Individualverkehr neue Zielpunkte des Ausflugswesens erschlossen. Und diese Entwicklung ist deshalb zu begrüßen, weil durch sie ein Ausgleich zum künstlichen Lebensraum der städtisch-industriellen Ballungen geschaffen wird.

In dieser Intensivzone des motori-, sierten Wiener Ausflugsverkehrs befinden1,sich die kalkalpine 1 Massive 1 von Rax und Schneeberg. Nicht umsonst werden diese Kalkstöcke als „Hausberger der Wiener“ bezeichnet, sind doch diese östlichsten Erhebungen der Alpen, die über die Waldgrenze hinausreichen, beliebte Ausflugsziele der Wiener Bevölkerung. Die kuppigen Plateaus mit ihren steilen randlichen Abstürzen bilden zusammen mit dem Höllental, dem Puchberger Becken und dem Sierningtal stark frequentierte Brennpunkte des Fremdenverkehrs. Da die beiden Kalkberge ihr Vorland bis zu 1000 Meter überragen, machen sie vom Osten und Norden aus einen imposanten Eindruck.

Bereits vor der Eröffnung der Schneebergbahn (1897) und der Raxseilbahn (1926) waren die verkarsteten Hochflächen das Ziel von kletterfreudigen Touristen. Schutzhütten und Wege wurden aber erst wenige Jahrzehnte vor der verkehrsmäßigen Erschließung angelegt. Während die Besucher zwischen den beiden Weltkriegen eifrig die Gelegenheit ausnützten, die in naher Entfernung von der Großstadt vorhandene alpine Pflanzen- und Tierwelt durch Fußwanderungen kennenzulernen. werden derzeit hauptsächlich nur die den Bergstationen benachbarten Schutzhütten stark benützt. In die entfernteren Teile des Raxplateaus, zum Habsburgund Karl-Ludwig-Haus, verirren sich nur mehr wenige Naturfreunde.

Wasserversorgung und Fremdenverkehr

Der verstärkte Zustrom kann an Hand eines genauen Zahlenmaterials bestimmt werden. Beispielsweise hat die Benützung der Rax-Seilbahn seit dem Jahr 1937 stank zugenommen. Vor dem zweiten Weltkrieg waren es etwas mehr als 4000 Menschen, die sich vom Schwarzatal auf das Kalkplateau bringen ließen. Die Frequenzziffem des Jahres 1962 hingegen weisen fast eine Vervierfachung auf — es waren rund 15.000 Erholungssuchende, die die Seilbahn benützten. Man muß jedoch dazu bemerken, daß gerade in diesem Jahr 1962 der Betrieb wegen notwendiger Motorisierung mehrere Wochen hindurch eingestellt war.

Es ist verständlich, daß das Ausflugsgebiet von Rax und Schneeberg zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde. In der vom Österreichischen Institut für Raumplanung durchgeführten Fremdenverkehrsplanung für den südöstlichen Teil von Niederösterreich werden jedoch Hinweise auf bestehende Interessengegensätze gegeben. Es braucht nicht erst darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß sich Rax und Schneeberg für den Ausflugsverkehr vom späten Frühjahr bis in den Herbst hinein sowie für den Wintersport gut eignen. Schwärmerische Naturen geben den Hausbergen der Wiener sogar den Namen „Kletterund Skiläuferparadies“.

Den Zielen des Fremdenverkehrs, die einen Ausbau dieses Wirtschaftszweiges beabsichtigen, stehen aber die Interessen der Wiener Wasserversorgung gegenüber. Bekanntlich beziehen die Wasserwerke der Stadt Wien über die I. Wiener Hoch quellenwasserleitung von den Quellen des Raumes Rax, Schneeberg und Schneealpe Trinkwasser für die Wiener Bevölkerung. Demnach stimmen die Interessen der großstädtischen Trinkwasserversorgung mit den Absichten des ausbauwilligen Fremdenverkehrs nicht überein. Will man auf der einen Seite verständlicherweise die Quellen und deren Einzugsbereich vor Verunreinigung oder gar vor dem Versiegen schützen, werden hingegen auf der anderen Seite fleißig Pläne zur weiteren Erschließung dieses attraktiven Erholungsraumes geschmiedet Die Rax soll nach diesen Projektoren zum „Arlberg von morgen“ werden.

Vorläufig sind jedenfalls alle diese Ausbaupläne der Fremdenverkehrswirtschaft im Hinblick auf die Notwendigkeit des Quellschutzes abgelehnt worden. Außerdem läßt sich derzeit auch noch kein Entwicklungsziel bestimmen, da augenblicklich ein Verfahren bei der Obersten Wasserrechtsbehörde im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft im Gange ist. Es wurde nämlich der Antrag gestellt, das Einzugsgebiet der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung zum Qüellschutzgebiet zu erklären. Vom Abschluß dieses Wasserrechtsverfahrens hängt es nämlich ab, wie sich der Fremdenverkehr und das Erholungswesen im Raum von Schneeberg und Rax entfalten werden können.

Derzeit besteht für die Fremdenverkehrsbetriebe dieses Ausflugsgebietes nur die Möglichkeit, die Hotels, Gasthöfe und Schutzhütten in qualitativer Hinsicht zu verbessern. Die Wasserrechtsbehörde hat wahrlich keine leichte Entscheidung zu fällen, denn Trinkwasser und Erholung dienen ja beide der großstädtischen Gesundheit. Im Gebiet von Rax und Schneeberg aber schließt wahrscheinlich eines das andere aus. Wie soll man da zu einer wirklich brauchbaren Lösung kommen?

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