Ein Welterbe im "schröcklichen Gebirg"

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Mit der Bahnstrecke über den Semmering hat die UNESCO erstmals eine Bahnanlage zum Welterbe und damit zu einem schützenswerten Ensemble erklärt.

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Mit der Bahnstrecke über den Semmering hat die UNESCO erstmals eine Bahnanlage zum Welterbe und damit zu einem schützenswerten Ensemble erklärt.

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Was haben die Zauberberge des Semmerings und ihre Bahn mit den Pyramiden und Abu Simbel in Ägypten, der Großen Mauer in China, der Akropolis in Griechenland, mit den Altstädten von Rom und Venedig in Italien sowie mit Schönbrunn und Salzburg in Österreich gemeinsam? Alle genannten Stätten sind von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt und genießen damit auch den "verbrieften" Schutz der internationalen Staatengemeinschaft.

Heuer im Mai, 145 Jahre nach der feierlichen Eröffnung der Ghega-Bahn, wurde in einem festlichen Akt die Urkunde der UNESCO an die Semmeringgemeinden übergeben. Damit fand insbesondere der Einsatz und die Initiative des privaten Vereins "Allianz für die Natur", der seit 1993 darum bemüht war, einen erfolgreichen Abschluß.

Politiker wie die für den Denkmalschutz ressortzuständige Bundesministerin Elisabeth Gehrer und der allzuständige Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll, strichen die Bedeutung der Semmeringbahn als Zeichen einer gelungenen Symbiose zwischen Natur und technischem Fortschritt, einer Technik mit menschlichen Dimensionen, heraus.

Die mitbetroffene "Landeshauptmännin" (Zitat nach den Ansprachen) der Steiermark, Waltraud Klasnic, ließ sich entschuldigen und ihre Freude und Verbundenheit mit einem "kräftigen, steirischen Glück auf" durch einen Landtagsabgeordneten zum Ausdruck bringen. Der so erkennbare Wermutstropfen der Auseinandersetzung um den "Basis-Tunnel" sei aber zurückgestellt.

Die Verantwortung dafür liegt derzeit auf höchster juristischer Ebene beim Verfassungsgerichtshof, auch wenn dort nur die Frage der Kompetenz am "Prüfstand" steht. Das Ergebnis wird abzuwarten sein und soll die Bedeutung der Tatsache, daß Österreich eine vierte Weltkulturerbestätte (neben Schönbrunn, Salzburg und Hallstatt) erhalten hat, nicht schmälern.

Die Absicht der UNO im Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt ist dem Bundesgesetzblatt Nr. 60/1993 zu entnehmen. Demnach besteht die Bedrohung des Kultur- und Naturerbes nicht nur in der natürlichen Erosion durch Wind und Wetter, sondern auch im Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Ohne den Fortschritt - insofern er den Menschen dient - entgegenzutreten, ist doch auch zu bedenken, daß der Verfall oder der Untergang eines wesentlichen Bestandteiles des Kultur- und Naturerbes eine beklagenswerte Schmälerung für alle Völker der Welt darstellt.

Eisenbahn-Welterbe In diesem Sinne sind bisher über 500 Denkmale in die sogenannte Welterbeliste aufgenommen worden. Nur wenige davon verbinden Kultur- und Naturerbe so gut miteinander, wie dieses jüngste und im übrigen erste Eisenbahn-Welterbe.

In eine durch eine "geologische Gemengelage" zwischen Grauwacke und verschiedenen Kalkformationen vorgegebene, im Mittelalter noch als "schröckliches Gebirg" bezeichnete Landschaft, fügen sich die 16 Viadukte der Ghega-Bahn - zumindest für den heutigen Betrachter - ungemein harmonisch ein.

Die Ghega-Bahn ist damit nicht bloß ein Zeichen des technischen Fortschritts des 19. Jahrhundert, einer erfolgreichen und vorbildlichen österreichischen Ingenieursleistung. Nein, sie ist noch mehr: Nämlich ein Zeichen dafür, daß Mensch und Natur in Harmonie miteinander stehen können und müssen. Sofern die Grenzen nicht durch die technischen Möglichkeiten aktuell abgesteckt sind, finden sich solche im Empfinden des Menschen selbst.

Die Straßenbrücke über Schottwien - so wertvoll sie für den Verkehr auch sein mag - sprengt diese Dimension zweifellos. Hätte es da nicht im Interesse der Landschaft einfühlsamere Möglichkeiten gegeben? Auch die technischen Schwierigkeiten noch vor der Eröffnung dieser Talüberquerung lassen mit Vorsicht in die Zukunft blicken.

Doch zurück in die Geschichte des "schröcklichen Gebirges", das gar kein solches ist, sondern nur ein Paß zwischen Sonnwendstein und Pinkenkogel: In der Römerzeit ohne überregionale Bedeutung (die Umgehung über pannonisches Gebiet war leichter), entwickelte sich dieser über lange Zeit gegen die Bedrohung aus dem Osten gesicherte Übergang im ostalpinen Raum zu einer Hauptverbindung nach dem Süden.

Handelsleute, Kreuzfahrer und Pilger erklommen mühsam die steile Paßhöhe. Die heute als wildromantisch empfundene Landschaft der Adlitzgräben waren nicht die einzige Gefahr für die Reisenden. Unwetter, Raubtiere, Räuber und Wegelagerer ließen den Menschen diese Gegend mehr als bedrohlich erscheinen.

Doch weiter östlich war's mit den Magyaren, später mit den Türken noch schlimmer. Der letzte steirische Markgraf Ottokar gründete 1160 ein Hospital am Semmering. Mehr als 500 Jahre später ließ Kaiser Karl VI. nach dem Wiener Neustädter Kanal - im Zuge der merkantilistischen Handelsförderung auch eine neue Straße über den Semmering (und für sich ein sehenswertes Denkmal auf der Paßhöhe) bauen.

Diesem schon durch Tradition geprägten Verkehrsweg folgte dann auch die Eisenbahnplanung. Die für die Habsburger-Monarchie wesentliche Nord-Südverbindung bestand 1848 auf gesichertem österreichischem Gebiet (die Abspaltung Ungarns mit dem heutigen Burgenland wurde ja 1848 Realität) bereits bis Gloggnitz und auf der anderen Seite des Semmerings von Mürzzuschlag bis an Meer.

Das "missing link" gab vielen Frächtern und Wirten, Menschen und Tieren mit Umladen, Vorspann, Zwangsrasten und dergleichen Arbeit und Brot. Militärische mehr als wirtschaftliche Überlegungen führten zur Ausarbeitung verschiedener Modelle einer zeitgemäßen Überwindung dieser Paßhöhe.

Werfels zweite Heimat Die große Revolution von 1848 brachte die Entscheidung zugunsten des Ghega-Planes. Der gebürtige Venezianer Ghega war der römischen Tradition des Steinbaues verbunden. Die bereits bekannte Technik von Eisenbrücken wurde - zum Leidwesen der Eisenhütten - nicht angewandt. Zehntausende arbeits- und brotlose Erdarbeiter, Proletarier, potentielle Revolutionäre aus Wien wurden zum Semmering verlegt und der Bahnbau begonnen.

Die Revolution in Wien fand bereits im Oktober/November 1848 ihr blutiges Ende. So wie auf die Bauernbefreiung wirkte sich dies aber nicht auf den Bau der Semmeringbahn aus. Die militärische Notwendigkeit des italienischen Kriegsschauplatzes förderte eher den Baufortschritt. Bereits 1854 konnte die erste Gebirgsbahn der Welt den Verkehr aufnehmen und den an sie gestellten Anforderungen bis heute gerecht werden. So wurde beispielsweise im Zweiten Weltkrieg ein Vielfaches der heutigen Tonnage über diese Strecke verbracht.

Die neue Bahnverbindung bildete im 19. Jahrhundert die Voraussetzung für die Erschließung der Wunderwelt der Zauberberge: Semmering, Rax und Schneeberg für Sommerfrische und Tourismus.

Die Dampfroßverbindung war zwar nicht für alle von Vorteil. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wegen des Entfalles des nicht mehr notwendigen Vorspannes oder für die auf die Köhlerei angewiesenen Waldbauern, deren Produkt durch die mit der Bahn billig herangeführte Steinkohle verdrängt wurde, ging über die Probleme der Erzählung Peter Roseggers "Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß" weit hinaus.

Das Großkapital der Gründerzeit ermöglichte es aber, daß die Ringstraße zwischen den Zauberbergen auf Sommerfrische ging. Der Last der kleinen Leute beim Bau der Semmeringbahn setzte Ferdinand von Saar mit den Steinklopfern ein frühes literarisches Denkmal.

Kunst- und Kulturschaffende wie Schnitzler, Hoffmansthal, Zweig, Salten, Werfel, Kokoschka, Kolo Moser, Loos und viele andere fanden hier eine zweite Heimat.

Ausdruck des "high life stils" waren auch der Wintersport mit Ski-, Bob- und Eislaufkonkurrenzen, Autorennen und der erste Golfplatz Österreichs, auf dem König Edward von England (nach seiner Abdankung) oder z. B. Robert Musil Gäste waren.

Der Zweite Weltkrieg bescherte dem Semmering das Oberkommando des Balkankrieges; das Panhans diente dann verschiedenen Exilregierungen von Hitlers Gnaden als letzte Zuflucht.

Die russische Besatzungsmacht der Nachkriegszeit setzte dem Prunk vergangener Jahrzehnte deutlich zu. Trotzdem blieb aber wohl durch diesen touristischen Rückschlag auf diese Art mehr erhalten, als in wirtschaftlich erfolgreicheren Regionen.

Bei veränderten Vorstellungen über Erholung hat die Semmeringregion, und zwar sowohl was die Natur als auch die Kultur betrifft, viel zu bieten. Die Semmeringbahn steht in einer harmonischen Kombination mit einer romantisch bis bizarren Natur und kann daher zu Recht sowohl als Kultur- als auch als Naturerbe gelten.

Der Autor ist Hofrat am Verwaltungsgerichtshof in Wien.

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