Auf den Menschen Jesus schauen

Die Frage nach der einzig richtigen Position ist eine falsche. Ja, da gebe ich Herrn Khorchide Recht. Bloß: Wie erkläre ich das dem Kind, das wissen will, warum sich da eine in Gottes Namen in die Luft gesprengt hat? – Jüdinnen und Juden, und also auch Herrn Homolka, beneide ich um ihren Talmud: so viele geistreiche Geschichten, so schöne dialektische Wendungen, so viel Witz! Daran kann wahrlich seinen Verstand und seine Moral schulen, wer klug genug ist. – Herrn Bucher aber verstehe ich nicht ganz: Warum macht er es sich so schwer? Warum sagt er, der Christ, nicht einfach: GOTT ist und bleibt widersprüchlich, aber Jesus von Nazaret ist der Mensch, an dem wir uns orientieren sollen. Dieser eigensinnige Zimmermannssohn hat, nach allem, was wir wissen, tatsächlich nie jemanden umgebracht. Obwohl er gute Gründe dafür gehabt hätte. Und obwohl ich das Dogma, er sei „ohne Sünde“ gewesen, wohl nie verstehen werde.

Alles in allem finde ich es eine ziemlich geniale Idee zu sagen: GOTT bleibt jenseits meiner Vernunft, aber wie ich als Mensch zu leben habe, das hat SIE mir deutlich gezeigt: in diesem geborenen Menschen, der Fehler gemacht hat wie ich, der aber auf ebenso einfache wie anspruchsvolle Weise gezeigt hat, was es bedeutet, DIE LIEBE (1 Joh 4, 8) in die Mitte von allem zu stellen. Ob Jesus von mir als GOTT im strengen trinitarischen Sinne geglaubt werden muss, da bin ich mir nicht so sicher. Aber dem flotten Christenspruch „Mach’s wie Gott, werde Mensch!“ kann ich trotzdem etwas abgewinnen. Ja es stimmt, Herr Bucher: die Bibel ist und bleibt eine „bunte Sammlung von Perspektiven und Genren“. Aber wenn mir diese ganze Sache mit dem widersprüchlichen GOTT zu verzwickt wird, dann weiß ich als evangelische Christin doch eigentlich ganz genau, wohin ich schauen muss.

* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz