Aus der Sonne INS FEUER

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Er schrieb Weltliteratur und glaubte an eine "süße Revolution": Vor 75 Jahren wurde Isaak Babel im stalinistischen Moskau hingerichtet.

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Er schrieb Weltliteratur und glaubte an eine "süße Revolution": Vor 75 Jahren wurde Isaak Babel im stalinistischen Moskau hingerichtet.

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Man hat ihn mit Goya und Chagall verglichen, mit Gogol und Flaubert, Kafka und Maupassant. Schon die Spannungsbreite zwischen jedem dieser Vergleichspaare deutet einiges von den Ambivalenzen an, die Isaak Babel und sein schriftstellerisches Gesamtwerk kennzeichnen: Schrecken und Schönheit, Grauen und Gelöstheit, Schwermut und Sinnlichkeit sind bei diesem russischen Juden aus der Sonnenstadt Odessa untrennbar miteinander vermengt.

Er zog für die Revolution in den Kriegund war starr vor Entsetzen über die Gräuel der Bluttaten auf beiden Seiten der Front. Er pries als Rhapsode des Fortschritts die für viele althergebrachte Lebensformen zerstörend wirkenden gesellschaftlichen Umwälzungen in seinem Land - und beschwor doch in seinen berührendsten Geschichten aus der Moldovanka, dem jüdischen "Ansiedlungsrayon" von Odessa, mit elegischer Hingabe die wie aus der Zeit gefallenen Riten und Bräuche, die festgelegten religiösen und sozialen Bindungen der dortigen familiären Gemeinschaft. Er konnte mit der Schärfe und Expression des scheinbar kühlen Chronisten das Fanal eines entfesselten Pogroms in einem galizischen Schtetl beschreiben, die in Brand gesetzten Häuser und Menschen - und im rauschhaften Duktus von expressionistisch aufschwingenden Satzperioden wie in einem Kaddisch den Tod eines Pferdes auf dem Schlachtfeld beklagen.

Revolutionär und Romantiker

Wo immer man sich in diesem schmalen, aber gewichtigen Lebenswerk Babels festliest, ist man mit dem so aufregenden wie reizvollen Phänomen schöpferisch genützter Widersprüche, Antithesen, unauflöslicher Gegensätze konfrontiert. So entsteht aus der Kunst des früh um sein Leben gebrachten schwärmerischen Revolutionärs und kühnen Romantikers Isaak Babel ein Abbild vom großen Paradox der mitten zwischen Aufbruch und Niederlage, Hoffnung und entmenschter Barbarei geworfenen Existenz des europäischen Zeitgenossen im letzten Jahrhundert.

Dieses Exemplarische einer von extremen polaren Spannungen geprägten Erfahrung gründet bei Babel unzweifelhaft in frühen traumatischen Erlebnissen des Terrors, der blutigen Pogrome, verübt von Russen an der jüdischen Bevölkerung im Odessa der letzten Dekaden zaristischer Herrschaft. In einer seiner berühmtesten autobiographisch deutbaren Geschichten schildert Babel, wie er als Neunjähriger vom Vater endlich das Geld für den Kauf lang ersehnter Tauben erhielt. Auf dem Heimweg vom Tiermarkt geriet er mitten in ein vom Mob entfesseltes Massaker im Ghetto. Ein sadistischer Krüppel im Rollstuhl entriss dem Knaben den Sack mit den Tauben und zerschmetterte eine davon an seiner Stirn: "Ich lag auf der Erde, und die Innereien des zerquetschten Vogels liefen mir die Schläfe herab. Sie wanden sich meine Wangen entlang, besudelten mich und machten mich blind. Zartes Taubengedärm kroch über meine Stirn, und ich schloss das letzte unverklebte Auge, um die Welt nicht zu sehen, die sich vor mir ausbreitete."

Von Maxim Gorki entdeckt und begleitet

Der 1894 ins Judenviertel von Odessa hineingeborene Isaak Emmanuel Babel, der neben der Talmudschule auch das russische Gymnasium besuchen durfte, musste sich mit solchen Bildern im Kopf mit ganzer Seele den Revolutionären überantworten, die Fortschritt und soziale Besserstellung der Armen verhießen, nicht zuletzt auch um das Alte,von den Vätern Überlieferte vor weiterer zerstörerischer Willkür zu retten. Der junge Poet schloss sich, von Maxim Gorki in seinen ersten literarischen Versuchen väterlich beraten, begeistert Lenins Revolution an.

In General Budjonnys legendärer sowjetischer Reiterarmee machte er 1920 den Feldzug gegen Pilsudskis Polen mit. Die Vorstellung, wie sich der schmächtige, intellektuelle Jude "mit der Brille auf der Nase und dem Herbst in der Brust", wie er sich selber sah, in getarnter Identität unter die wilden Kosaken, die eingefleischten Antisemiten mischte, enthält die ganze groteske Wucht von Babels Lebenszwiespalt. Mitten in der Kosakenkavallerie war er bei den wüsten Blutorgien des Kriegs, bei den grausamen Übergriffen und Zerstörungsakten gegenüber den galizischen und wolhynischen Dorfjuden anwesend.

Heimlich führt er ein (erst 1990 unzensuriert auf russisch wie auch auf deutsch erschienenes) Tagebuch, doch im Unterschied etwa zu dem Deutschen Ernst Jünger bleibt er gegenüber der entfesselten Lust am Töten rings um ihn vollständig immun. Wie einst Heine, der sich einen "Sohn der Revolution" genannt hatte, fühlte sich Babel bald abgestoßen von einer Umwälzung, die in Terror, Unfreiheit und Destruktion mündete. An eine "süße Revolution" hatte er geglaubt, lebenszugewandt, human. Die Bilder von Lenin und Maimonides in der Tasche, hatte er wie der Antiquitätenhändler Gedalje in der nach ihm benannten Erzählung für die Revolution kämpfen und zugleich den Sabbat heiligen wollen. Doch in seinem Kriegstagebuch, das er nachher in einen Band eindringlicher Prosaminiaturen "Die Reiterarmee" umgeformt hat, nahm er mit schmerzlicher Skepsis die Vorzeichen der heraufziehenden despotischen Gewaltherrschaft wahr, die ihn später das Leben kosten sollte.

Die Vorwürfe und Nachstellungen begannen noch vor Erscheinen der ersten Buchausgabe der "Reiterarmee", 1926. Der mächtige General Budjonny, der sich ein Heldenepos der Roten Armee erwartet hatte, tobte gegen Babel, zieh ihn mit den dann jahrzehntelang geläufigen Denunziationsvokabeln der Provokation der Sowjetunion, der Verleumdung und mangelnden dialektischen Fingerfertigkeit in der Handhabung der Wahrheit.

Hinrichtung nach schwerer Folter

Das Buch, das im In- und Ausland große Aufmerksamkeit erregt hatte, wurde verfolgt, verstümmelt; 1929 tilgte man auch den Namen Trotzkis. Schließlich wurde "Die Reiterarmee", in der mit kalter Präzision die Wahrheit über die marodierende Bürgerkriegsarmee festgehalten war, gänzlich aus dem Handel genommen - erst 1990 konnte die Erstausgabe, von Babels Witwe Antonina Piroshkowa herausgegeben, wieder in Russland erscheinen.

Den Autor selbst schützte neben seinem wachsenden internationalen Ruhm (der durch die meisterlichen Hell-Dunkel-Geschichten aus Odessa gestärkt wurde) lange Zeit seine Freundschaft mit Gorki, der wiederum den Respekt Stalins genoss. Als Gorki 1936 starb und bald darauf die berüchtigten Schauprozesse begannen, wusste sich Babel bereits in Lebensgefahr. 1939 wurde er verhaftet, seither hüllten sich die Behörden über seinen Verbleib in Schweigen - genau genommen 40 Jahre lang, denn erst 1988 erfuhr Antonina Piroshkowa die Wahrheit: dass Babel bereits 1940, nach schweren Folterungen, hingerichtet worden war.

Der Dichter Isaak Babel, den die Willkür des von Despotien verunstalteten 20. Jahrhunderts in den Tod gehetzt hat, konnte zeitlebens die Sonne Odessas ebenso wenig vergessen wie ihre Verdüsterung durch das Elend im Ghetto. Sein von den namhaften Übersetzern Bettina Kaibach und Peter Urban für eine vorbildliche deutsche Neuausgabe aus dem Russischen übertragenes Werk weist, durch Babels Beharren auf Schönheit und Humanität, weit über sein Jahrhundert hinaus, das so viele seiner Hoffnungen mit Blut, Gewalt und Tränen vernichtet hat.

Mein Taubenschlag

Sämtliche Erzählungen von Isaak Babel

Hg. von Urs Heftrich und Bettina Kaibach

Aus dem Russ. von Bettina Kaibach und Peter Urban

Hanser 2014

864 S., geb., € 41,10

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