Ausweitung der Schauspielzone

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Die Dramatisierung von Romanen hat Konjunktur – wie auch „Dr. Faustus“ zeigt (s. Kritik unten). Was ist davon zu halten und woher kommt das?

Romandramatisierungen sind zwar schon seit einigen Jahren verstärkt zu beobachten, aber noch nie zuvor waren sie auf den Spielplänen der deutschsprachigen Theater so gehäuft präsent wie in dieser Spielzeit. Beliebt scheinen vor allem die großen Romanklassiker zu sein.

So finden etwa die dicken Wälzer von Leo Tolstoj, Fjodor Dostojewski, Theodor Fontane, Franz Kafka, Vladimir Nabokov, Albert Camus, Max Frisch, Heimito von Doderer oder Thomas Mann den Weg auf die Bühne. Aber auch jüngere Publikumserfolge wie beispielsweise Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ und „Elementarteilchen“ oder etwa Orhan Pamuks „Schnee“, bis hin zu den aktuellen Bestsellern wie Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ oder Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ werden, meist ungeachtet ihrer epischen Breite, in konsumentenfreundlichem Zweistundenformat für das Theater adaptiert.

Houellebecq statt Tschechow

Wie aber lässt sich diese Konjunktur epischer Stoffe erklären? Was treibt die Theaterdramaturgen dazu, auf Romanvorlagen zurückzugreifen, während altgediente Bühnenklassiker wie Molière, Schiller, Ibsen oder Tschechow immer seltener gespielt werden? Ist es so schwierig geworden, den Stücken aus dem klassischen Bühnenrepertoire eine aktuelle Lesart abzuringen? Das mag ja sein, ist aber dennoch keine befriedigende Antwort.

Denn sie Situation ist geradezu absurd. Noch vor wenigen Jahren beklagten die Theater landauf landab den Mangel an neuen, zeitgemäßen Stücken. Eilig wurden an mehreren Theatern Schreibwerkstätten eingerichtet und Förderprogramme lanciert. Kaum einer aus der inzwischen stattlichen Zahl junger Theaterautoren vermag allerdings ein Stück über seine Uraufführung hinaus an andere Bühnen zu vermitteln. Wenn der werbewirksame Zusatz „Uraufführung“ einmal wegfällt, erlahmt auch das Interesse der Theater merklich. Der wirkliche Dramatikernachwuchs wird zurzeit aus dem schier unerschöpflichen Fundus der Romanschriftsteller rekrutiert.

… Was man gelesen haben sollte …

Das birgt für die Theater gleich mehrere Vorteile: Das Publikum, das sich tendenziell an den immer weniger neuen Klassikerinterpretationen sattgesehen hat, will mit immer Neuem, noch nie Gesehenem versorgt werden. Dramatisierungen berühmter Romane bergen wenig Risiko, kann man sich doch auf die unbezweifelbare Autorität des Verfassers verlassen. Zudem bedienen die Theater einen Anspruch des bildungsbeflissenen Theatergängers: endlich kennenlernen zu können, was man vielleicht immer schon lesen wollte (oder vielmehr sollte), wofür man aber nie die Zeit fand; Bücher über die man anderswo spricht, bescheren darüber hinaus auch dem Theater eine höhere Aufmerksamkeit. Schließlich gilt die Romanbearbeitung auch immer als Wagnis, als verwegene Tat, die den Regisseur als wilden, möglicherweise genialischen Hund erscheinen lässt.

In dem Zusammenhang sind die Romandramatisierungen Resultat des deutschen Regietheaters, das sich traditionell größere künstlerische Freiheiten im Umgang mit der literarischen Vorlage herausnimmt. So werden auch Dramen von hiesigen Regisseuren und Dramaturgen bearbeitet und auf die gewünschte Interpretation hin zusammengestrichen.

Und das ist auch gut so. Epische Stoffe haben die Attraktivität gerade darin, dass diese Freiheit qua Gattungszugehörigkeit noch um einiges größer ist. Daher sind Wertungen, ob Romandramatisierungen zulässig sind oder nicht, kaum allgemein zu treffen, sondern immer nur konkret, an der szenischen Umsetzung zu entscheiden. Eine entschiedene Lesart, ein gekonnter Zugriff mit theatertauglichen Mitteln vermag aus einer epischen Vorlage durchaus etwas Eigenes entstehen lassen, woraus weder dem Theater noch der Literatur ein Schaden erwachsen wird.

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