DAs VERsAGEN der Dichter und Denker

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Meine ganze Libido gehört Österreich-Ungarn", begeistert sich Sigmund Freud rund einen Monat nach dem folgenschweren Attentat von Sarajevo. Zu diesem Zeitpunkt marschiert Europa schnurstracks in den Ersten Weltkrieg -ein warnender Aufschrei der geistigen Elite bleibt aber aus. Im Gegenteil, Freud schreibt: "Ich fühle mich vielleicht zum ersten Mal seit 30 Jahren als Österreicher (...). Die Stimmung ist überall eine ausgezeichnete."

Tatsächlich herrscht in der Doppelmonarchie überschwänglicher Patriotismus; nicht zuletzt in intellektuellen Zirkeln. Dafür gibt es zuhauf Belege in Zeitungsartikeln und Grundsatzpapieren. So schreibt Stefan Zweig im August 1914 in der Neuen Freien Presse: "Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muss Deutschland jetzt zuschlagen (...) Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt vor Mut und Zuversicht." Intellektuelle Euphorie, wohin man blickt: Ludwig Wittgenstein meldet sich gleich nach Kriegsbeginn freiwillig und wird für seinen Kampfeinsatz an der Ostfront mehrfach ausgezeichnet. Die Begeisterung des Philosophen ging so weit, dass er eine Million Kronen (heute rund 3,75 Millionen Euro) für die Konstruktion eines riesigen Geschützes spendete. Die Beispiele lassen sich fast beliebig fortsetzen: Auch Franz Kafka oder Hermann Hesse wollten freiwillig zu den Waffen, sie wurden aber nicht einberufen. Rilke, Hofmannsthal, Musil oder Thomas Mann fabrizierten kriegsbefürwortende Schriften.

Gegen "Mongolen und Neger"

Ein bezeichnendes Sittenbild gibt weiters der "Aufruf an die Kulturwelt" ab. Das im Oktober 1914 veröffentlichte Pamphlet diente als Rechtfertigung des deutschen Einmarsches im neutralen Belgien. Unterzeichnet wurde es von 93 Wissenschaftlern und Künstlern, darunter Max Reinhardt, Ludwig Fulda, Gerhart Hauptmann, Max Planck oder Wilhelm Röntgen. Unverhohlen wird hier die rassistische Klaviatur gespielt: "Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht (England und Frankreich; Anm.), die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen." Für den heutigen Beobachter erscheint die Idealisierung des Krieges fast irreal. Wäre es möglich, dass der "Aufruf an die Kulturwelt" oder die literarischen Ergüsse Zweigs, Manns, Rilkes und anderer bloß Einzelaufnahmen darstellen und ein Zerrbild der vergangenen Zeit liefern? Leider kann dieser Persilschein nicht ausgestellt werden.

Oliver Rathkolb, Historiker an der Universität Wien, räumt ein, dass freie Meinungsäußerung in Zeiten der Zensur und propagandistischer Gleichschaltung tatsächlich schwer möglich war. Er unterstreicht aber, dass die Stimmung in der akademischen Welt, zumindest in der Anfangsphase, ohnedies bereits vorbehaltslos für den Krieg ausgeschlagen hat: "Das belegt ein Blick in zeitgenössische Medienberichte und auf zahlreiche Veranstaltungen im universitären Bereich. Die Universität war bereits vor 1914 ein Hort der Aggression und Gewalt. Nicht selten kam es zu Demonstrationen und blutigen Schlägereien, etwa zwischen deutsch-national eingeschworenen und jüdischen sowie katholischen Studenten." In dieser aufgeladenen Atmosphäre wurde der Krieg als Schritt der Neuordnung begrüßt -die Zustimmung der Akademiker war laut Rathkolb "evident".

Nicht zuletzt sei auf die enormen praktischen Folgen der intellektuellen Vorbildwirkung hingewiesen: Viele Lehrer und Professoren forderten ihre Schüler und Studenten direkt zum freiwilligen Militärdienst auf, woraufhin sich ganze Klassenzimmer und Hörsäle leerten und die Studierenden reihenweise zu den Fahnen eilten.

Globalisierung treibt in den Krieg

Aus welchen Wurzeln nährte sich nun die nachweisbare intellektuelle Kriegsbegeisterung? Rathkolb sieht eine Ursache in der von der "ersten Globalisierung"(ab 1850 rasante Technologisierung und Industrialisierung) verunsicherten Bildungs-Elite. "Der Krieg sollte eine reinigende bis befreiende Wirkung ausüben, der Moderne zum Durchbruch verhelfen und die alten erstarrten Konventionen überwinden und zerstören", so Rathkolb.

"Bei den deutschsprachigen Intellektuellen waren vor allem zwei Richtungen ausgeprägt: Zum einen ging es um den Konflikt zwischen Germanentum und einem als minderwertig betrachteten Slawentum. Zum anderen wurde eine überlegene deutsche Helden-Kultur einer fehlgeleiteten utilitaristischen ,westlichen Zivilisation' gegenüber gestellt", konstatiert die unter anderem auf Kriegstheorie spezialisierte Wiener Politologin Irene Etzersdorfer.

Als "westliche Zivilisation" ist speziell der Weg Englands gesehen worden. Dieser stehe für ausufernden Kapitalismus, eine rein materialistische Grundausrichtung, die Konzentration auf eine strenge Kosten/Nutzen-Relation und das Fehlen "wirklicher Ideale"."Intellektuelle stellten sich die Frage, welches Prinzip nun obsiegen wird? Die deutsche Kultur oder die ,westliche Zivilisation'?" Dabei wurde laut Etzersdorfer einem alten Kriegsverständnis gehuldigt: "Krieg wurde als Konzentration der Kräfte in Raum und Zeit im Sinne einer Entscheidungsschlacht gesehen. Wer obsiegt, könne dem anderen auch seinen Willen aufzwingen."

Eine naive Vorstellung, die auch auf die fehlende Kriegserfahrung der Intellektuellen um 1914 zurückzuführen ist. Mitteleuropa war von größeren bewaffneten Auseinandersetzungen seit Jahrzehnten verschont geblieben. "Die Kriegssensibilität ist in der Phase des Friedens verloren gegangen", stellt der Wiener Kulturphilosoph Alfred Pfabigan fest. "Gleichzeitig herrschten Unzufriedenheit und Verunsicherung, wie sich die Zukunft entwickeln sollte. Es kam zu einem Zusammenprall zweier Lebensformen: Spätes Biedermeier versus aufkeimende Moderne, gekennzeichnet durch Urbanisierung, Individualismus, Technologisierung und Industrialisierung".

Dieses brodelnde Gemisch wurde von Intellektuellen stärker wahrgenommen als vom "Durchschnittsbürger". Deshalb schrie gerade die geistige Elite nach einer klaren Linie, nach schnellen Lösungen, nach Reinigung. Diese Katharsis schien der Krieg zu bieten. "Hinzu kam die Fehleinschätzung, dass der Konflikt nur wenige Wochen dauern würde. Bildlich gesprochen regierte die Vorstellung, dass man ruhmreich von der Front zurückkehren würde, wo Siegesparaden und Cheerleader bereits auf die Helden warteten", so Pfabigan.

Bellizismus 2014?

Ist eine derartige Kriegsbegeisterung heute unvorstellbar? Historiker Rathkolb zeigt sich vorsichtig: "In Europa sind Intellektuelle durch zwei blutige Weltkriege sensibilisiert und gegenüber bewaffneten Konflikten höchst skeptisch. Ich war allerdings überrascht, wie schnell in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September aus kritischen Beobachtern sehr schnell Kriegsbefürworter geworden sind." Manche Heroengeschichten zu den Feldzügen gegen Afghanistan und Iran in -auch schöngeistigen -US-Medien haben Rathkolb beinahe in die Berichterstattung aus 1914/1915 zurückversetzt. Und Rathkolb setzt nach: "Wenn der Erste, aber auch der Zweite Weltkrieg einmal zu ,kalter Geschichte' werden sollten, werden wir in Punkto Kriegsakzeptanz sehen, wie weit die politische Bildung in Europa gediehen ist."

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