Die Prager Traumfabrik

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"Mission impossible", "Hostel" und demnächst "Omen 666": Großfilme aus den Prager Barrandov-Studios, deren Gründung eng mit der Familie Havel verknüpft ist.

Kameramann ist ja nicht gerade der häufigste aller Berufe, aber im Sprachgebrauch der Tschechen tritt er erstaunlich oft in Erscheinung. In Reiseberichten, in Reportagen von Volksfesten, Sportereignissen und politischen Veranstaltungen ist der kameraman immer dabei und drückt schon durch den fremden Klang des Wortes die Sehnsucht nach der großen weiten Welt und nach Fortschritt aus.

Genau diese Sehnsucht stand auch Pate bei der Entstehung zunächst des Villenviertels und der Terrassen sowie später der Filmstudios von Barrandov. "Meine Inspiration war Amerika", erinnerte sich Václav Havel, der Vater des späteren Präsidenten: "Bei einem Besuch der Universität in Berkeley bin ich in ein prachtvolles Viertel der kalifornischen Reichen geraten. Und dort ist mir, im Jahr 1924, Barrandov eingefallen."

Die Realisierung der Idee lag dann in der Hand seines Bruders MilosÇ, der zusammen mit ihm den vom Vater errichteten Lucerna-Palast am Wenzelsplatz geerbt und sich schon in den Zwanzigerjahren als Filmproduzent profiliert hatte. Auch Max Urban, der mit dem Entwurf des Villenviertels und des Terrassenrestaurants am südlichen Stadtrand von Prag beauftragt wurde, hatte sich als Kameramann und als Filmregisseur hervorgetan.

Alter Name, neue Architektur

So modern die Architektur sein sollte, so geschichtsbezogen war der Name, der für das urbanistische Experiment gewählt wurde. Jacques Barrande war mit dem Bourbonenkönig Karl X. nach Prag gekommen, als dieser 1830 den französischen Thron räumen musste. Der Gelehrte unterrichtete kurze Zeit den präsumtiven Thronfolger, stürzte sich aber bald auf das Studium der Geologie und Paläontologie. Als ein Ahnherr der Naturwissenschaft bei den Tschechen - Barrande lernte ihre Sprache und vermachte seine Bibliothek und Gesteinssammlung dem heutigen Nationalmuseum - steht er in Prag bis heute in hohem Ansehen. Er verwaltete später 30 Jahre lang die bourbonischen Güter in Frohsdorf bei Wiener Neustadt und ist auf dem Friedhof von Lanzenkirchen begraben.

Auf die Eröffnung des fashionablen Lokals auf den Barrandov-Felsen hoch über der Moldau folgte am 23. September 1931 die Grundsteinlegung zu den Filmstudios, und nur vierzehn Monate später fiel die erste Klappe. Die Planung des Hauptgebäudes und der dahinter liegenden Produktionsstätten oblag abermals Max Urban.

Nazis und Kommunisten

In den wenigen Jahren, die der Ersten Tschechoslowakischen Republik verblieben, entstanden hier neben zahllosen Unterhaltungsfilmen Klassiker des tschechischen Kinos wie der Anti-Hitlerfilm "Die weiße Krankheit". Als die Nationalsozialisten im März 1939 in Prag einmarschierten, fielen ihnen hervorragend ausgestattete Ateliers in die Hände, die noch dazu den Vorteil hatten, bis kurz vor Kriegsende keinen Fliegerangriffen ausgesetzt zu sein. Goebbels ließ drei weitere Studios errichten, die bis heute verwendeten Neuen Hallen.

Doch in der Aktiengesellschaft A-B sorgte er durch zwangsweise Übernahme der Mehrheitsanteile für eine Entmachtung vor allem des bisherigen Haupteigentümers MilosÇ Havel. Dieser suchte seine Hand schützend über rassisch verfolgte und politisch verdächtige Mitarbeiter zu halten, doch konnte er nicht verhindern, dass etwa Sequenzen von "Jud Süß" hier gedreht wurden und am Regiepult eine Leni Riefenstahl zum Zug kam. Noch während des Krieges wurde er deshalb von linksgerichteten Filmschaffenden bei der Exilregierung in London angeschwärzt und 1945 mit dem BenesÇdekret Nummer 50 enteignet. Er ging nach München ins Exil und kehrte nie mehr zurück.

1948 konnten sich nunmehr die Kommunisten weitgehend intakter Strukturen bedienen, um ihren Propagandaapparat in Bewegung zu setzen. Die zentralistischen Tendenzen führten in der Folge zu einer engen Zusammenarbeit mit dem damals staatlichen Fernsehen, die heute in der Vermietung dreier Ateliers an das private TV Nova ihre Fortsetzung findet. Erhalten haben sich aus dieser Zeit auch die Abteilungen für Synchronisation und, heute mit modernster Lasertechnologie, für die Herstellung von Untertiteln - Bereiche, die für eine kleine Sprachgemeinschaft wie die tschechische von eminenter Bedeutung sind.

Doch in den Sechzigerjahren ereignete sich auch das Wunder einer tschechischen Nouvelle Vague. Ihr wichtigster Regisseur, MilosÇ Forman, ging zwar später ins amerikanische Exil, wagte aber noch zur Zeit der "Normalisierung" die Rückkehr für die Produktion seines "Amadeus". Die acht Oscars - unter anderem für Bühnenbildner Karel CÇerny´ und Kostümbildner Theodor PisÇteÇk; Kameramann Miroslav OndrÇícÇek wurde nominiert - machten Prag und Barrandov mit einem Schlag als Drehorte im Westen bekannt. Barbara Streisand folgte noch vor der Samtenen Revolution mit "Yentl".

Berühmt durch "Amadeus"

Heute machen ausländische oder koproduzierte Großfilme gut 80 Prozent aller Produktionen aus, und die Liste der Produzenten, die hier seit 1989 ein und aus gegangen sind, reicht von Dino de Laurentiis bis zu Quentin Tarantino, die der Regisseure von Brian de Palma bis zu Joseph Vilsmaier, jene der Schauspielerinnen von Mia Farrow bis zu Nastassja Kinski, die der Schauspieler von Johnny Depp bis zu Bruno Ganz. "HasicÇi - Fire Department": Längst ist auf dem noch etwas schmuddelig aussehenden Gelände (mehr Sein als Schein ist die für eine Traumfabrik erstaunliche Devise) alles zweisprachig angeschrieben und Englisch zur Lingua franca geworden.

Doch neben einer tschechischen und einer englischen Homepage gibt es auch eine in zyrillischer Schrift. Wie es wohl kommen mag, dass sich auch russische Produzenten Barrandov leisten können, obwohl es für sie nicht wie für die Amerikaner um 30 Prozent billiger ist als im eigenen Land? "Die haben Geld, und man kennt einander", meint OndrÇej David, der für die Koordination der ausländischen Produktionen zuständig ist, und spricht lieber von Reklamespots für Hugo Boss, Nokia und Weetabix oder von dem gleich anschließenden Freigelände, auf dem das Märchendorf für die "Brothers Grimm" und das Londoner Elendsviertel für "Oliver Twist" errichtet wurden ...

Der neue James Bond

Derzeit wehen vom Hauptgebäude neben der tschechischen Fahne der Union Jack und das Star Spangled Banner: Parallel zur Verfilmung von Bohumil Hrabals Roman "Ich habe den englischen König bedient" wird hier bis Mitte Mai an "Casino Royale", dem neuesten James Bond, gewerkt, danach wird in einem in Konkurs gegangenen Krankenhaus in Westböhmen weitergedreht. Nicht nur das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis und die hohe Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter sind es, die ausländische Auftraggeber anziehen, sondern auch die breite Palette an Spielstätten, an denen sich Szenerien aus ganz Europa nachstellen lassen. Für den Horrorfilm "Hostel" etwa, der Ende April auch in Österreich angelaufen ist, wurde der Bahnhof PorÇícÇany durch Weglassung der Hatscheks slowakisiert und der Prager Hauptbahnhof, indem nur mehr das Wort "Bahnsteig" zu lesen ist, sogar germanisiert.

Nach Inhalten darf man hier nicht fragen, geht es doch um einen beinharten Verdrängungswettbewerb, denn Ungarn, Rumänien, Bulgarien, ja sogar Litauen rüsten auf. So hat sich Moravia Steel, der rein tschechische Konzern, in dessen Besitz sich die Barrandov Studios seit zehn Jahren befinden, kürzlich zum großen Sprung vorwärts entschlossen (nur die devastierten Terrassen waren der Familie Havel restituiert worden). "Das hier ist unser Jubiläum", meint OndrÇej David auf die Frage, wie man den 75. Jahrestag der Grundsteinlegung zu begehen gedenke, und zeigt auf ein Grundstück, auf dem derzeit das größte und modernste Filmatelier Europas entsteht. Es muss wie zu MilosÇ Havels Zeiten schnell gehen - für Jänner 2007 ist die erste Produktion vereinbart. Die kameramani können es kaum erwarten.

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