Ein Gläubiger ohne Religion

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Susanne Biers "In einer besseren Welt“, Auslands-Oscar-Preisträger 2011, kommt ins Kino. Das dänische Beziehungsdrama nimmt einmal mehr die Fragen von Vergeltung und Vergebung auf.

Mit dem Beziehungsdrama "Open Hearts“ sorgte Susanne Bier vor acht Jahren für Aufsehen. Ähnlich erfolgreich war die Dänin mit "Brothers“, das von einem traumatisierten Kriegsheimkehrer erzählt. Für "Nach der Hochzeit“ über einen idealistischen Helfer folgte eine erste Oscar-Nominierung, und ein Hollywood-Ausflug mit "Things We Lost In The Fire“. Dieses Jahr bekam die 50-Jährige den Auslands-Oscar für "In einer besseren Welt“. Erzählt wird darin von zwei Kindern und mehreren Antworten auf die Frage nach Vergeltung oder Vergebung.

Das Märchen von der Nachtigall von Hans Christian Andersen steht am Anfang dieses Films, dessen deutscher Titel "In einer besseren Welt“ ebenfalls ein Märchen verspricht. Der zwölfjährige Christian trägt es am Sarg seiner Mutter vor und es passt, als eine Parabel über das Echte und das Künstliche, die Schönheit und den Tod, die Regierung und das Volk, Loyalität und Verrat.

Das Gedicht von der Nachtigall

Bald nämlich wird Christian durch den gleichaltrigen Elias zuerst Gefallen finden an der Vergeltung, wann immer er Unrecht erlebt. Er wirft dem eigenen Vater Heuchelei im Umgang mit dem langwierigen Krebstod der Mutter vor, urteilt als großes Kind moralisch rigoros. Im Herzen solidarisch mit den Schwachen, will er Elias, der in der Schule gemobbt wird, helfen, doch er kämpft für das Richtige mit den falschen Mitteln. An Elias’ Vater Anton (Mikael Persbrandt), der als Arzt die meiste Zeit in einem sudanesischen Flüchtlingslager Hilfe leistet, prallt sein Verständnis von "Gerechtigkeit“ ab, was ihn zutiefst verstört. Anton ist die dritte Figur im Zentrum dieses Films. Als pazifistischer Held näht er in Afrika schwangere Frauen zusammen, denen ein Serientäter den Bauch aufgeschlitzt hat. Seine Ehe geht trotzdem in die Brüche, und daheim hält er immer noch die andere Wange hin, nachdem ihn ein Typ wegen nichts geschlagen hatte. Die Jungs verstehen sein Nicht-Handeln nicht.

Der Satz "Schlägst du ihn, schlägt er dich, du schlägst zurück, und es hört nie auf, so fängt Krieg an“, fällt relativ früh im Film, und die "bessere Welt“ bleibt ein Märchen. Die Realität, von der Bier erzählt, ist ein Labyrinth aus Gewalt und Rache, Egoismus und Machtstreben, falsch verstandener Männlichkeit und fehlgehender Liebe, ein Irrgarten. "Dänemark wird gern als ideale, harmonische Gesellschaft beschrieben“, erklärt Bier dazu. "Mich hat interessiert, wie es sein könnte, wenn Ereignisse eine derartig verstörende Wirkung auf Personen hätten, dass das paradiesische Image dieses Ortes zerstört würde.“

Ethik im Realitätscheck

Seit mehreren Jahren dreht Bier Filme, deren strenge Dramaturgie mit komplexen Fragestellungen immer bestimmte ethische Prämissen unter realistischen Bedingungen auf die Probe stellt. Unterstützt wird sie dabei meist von Drehbuchautor Anders Thomas Jensen. Eine besondere Qualität ihrer Filme sind die Reaktionen ihrer Charaktere auf Impulse und emotionale Intensitäten. Auch in diesem Film verbinden sie so zwei Welten, um sein zentrales Thema durchzuspielen: die Realitätsmächtigkeit einer pazifistischen Grundhaltung in unterschiedlichen Situationen, in unterschiedlichen Kulturen und auf unterschiedlichen Kontinenten. "Mich reizt es, Moral infrage zu stellen und auf ihre Beständigkeit zu testen“, umreißt es Bier. "Wenn wir eine Geschichte entwickeln, stellen wir uns oft Fragen wie ‚Was hättest du auf der Titanic getan?‘. Dieser Films spielt extrem mit bestimmten Erwartungshaltungen.“

Anton sei ihr Sinnbild eines "Gläubigen“, so Bier, wobei sie damit nicht an Religion denke: "Er glaubt an seine Prinzipien. Rein körperlich könnte er zurückschlagen. Aber er wählt die Möglichkeit, es nicht zu tun. Diese Art von Männlichkeit interessiert mich sehr und zieht sich durch die Protagonisten all meiner Filme.“ Biers exzellentes Gespür für feine Schauspielführung ist auch hier evident und führt das Ensemble zu Höchstleistungen.

Ein Happyend - oder doch nicht?

Dennoch: Zwischendurch und gegen Ende hin nimmt eine Didaktik und offensichtliche Symbolik überhand, die diesen großen Film kleiner werden lässt. Es werden schließlich doch die Widersprüche zwischen Autorenanspruch und Mainstream-Kino nivelliert und die letzten Szenen sehen aus, als stammten sie aus dem Hollywood-Remake. Doch der notwendige Verrat am Märchen gelingt jedenfalls. Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob "In einer besseren Welt“ wirklich ein Happyend hat oder eher nicht.

In einer besseren Welt (Hævnen)

DK/S 2010 Regie: Susanne Bier. Mit Mikael Persbrandt, Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Markus Rygaard. Filmladen.

113 Min.

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