6667897-1960_45_09.jpg
Digital In Arbeit

„Brüderliche Feindschaft“

Werbung
Werbung
Werbung

Herbst 1931 tollte dieses Werk erscheinen. Nun, da e endlich, zum zweiten Todestag des großen Dichters, Historikers und Sehers in unsere Hände kam, ward es zum letzten Stück -des Nachlasses. Nach dem Willen des Autors wäre es als Gegenstück zu seinem „Phir lipp II.“ geraten: als eine Tragödie der Macht — nicht, um im voraus ein dem Untergang zutaumelndes Abendland zu warnen, wie Josef Ratt in seinem Nachwort meint, sondern als zeitlos überzeitliche Vision der Widerspruchsspannung des Abendlands überhaupt. Es ist zuerst die Vision der Tragödie eines „christlichen Rom“, in dem unaufhebbar, im römischen Papst wie im römischen Kaiser (wie die Kaiser des Heiligen Reiches authentisch hießen) Cäsar und Christus gegeneinander stehen: „Cäsar und Christus erschienen zugleich: der Vollender Roms; der Zerstörer Roms, der wieder besiegt wurde vom Vollender. Vom ewigen Wechsel ihres Erscheinens lebt die Stadt“ (68). In diesem tödlichen Gegenüber zwischen Cäsar und Christus usurpiert sich (grundlegend in Karl dem Großen, vollends in Friedrich II.) der römische Kaiser zum eigentlichen „Vicarius Christi“ und zur Manifestation der göttlichen Majestät, aber usurpiert sich nachfolgend, wechselweise, der römische Papst (von Gregor VII. zu Alexander III., zu Innozenz III., zu Boni-faz VIII.) zum Imperator der Welt (wie der verhängnisvolle Bonifaz VIII. es in seiner Bulle „Unam Sanctam“ ins äußerste formuliert), aber so, daß hierin der römische Papst (am gewaltigsten in Innozenz III.) zum „Epigonen der Imperatoren“ wird (53). Und römischer Papst und römischer Kaiser sind in ihrem tödlichen Gegensatz zueinander gerade so auf Leben und Tod zueinander verbunden, da „mit den großen Kaisern ... die großen Päpste“ fallen (110), und dies nicht nur als Symbol des Mittelalters, das „berstend in Gegensätzen, von einem vulkanischen Aufruhr in seinem Innern ... die Einheit“ sucht (93), sondern zuletzt als Symbol dafür, wie metaphysisch Diesseits (manifestiert im römischen Kaiser) und Jenseits (manifestiert im römischen Papst) gegeneinander und ger rade so ineinander stehen: „unlösbar, mit jenem eisernen Griff, der keinem der Gegner zu fallen oder zu siegen erlaubt, ist das Diesseits im Jenseits verschlungen“ (106). — Diese Vision erscheint in Innozenz III. unheimlicher noch gesteigert in seinem Kampf mit den Albigensern. Ehe die Albi?enser. im Kampf mit der trviriIeerierf;!WÖflichkeit ihrer' Pro vence, He Menschliche- verteufelten (bis in den Wahnsinn, dieses Menschlich In-zügellosen Orgien Ins Geistige hinauf zu ertöten), diesem Mani-chäismus vorauf erscheint Innozenz III. selbst (in seinem Buch „de contemptu mundi“) als solcher „Verächter“ der gottgeschaffenen Welt, daß er geradezu zum (theoretischen) Vorläufer des Albigensis-mus wird, den er dennoch mit Schwert und Feuer ausgetilgt, um aber wiederum, nach vollendeter Austilgung dem Sohn des Grafen von Toulouse (des früheren Hauptes der Albingenser) seinen Seen zu geben zum Kampf gegen Simon Montfort (den Führer im Kampf gegen die Albigenser (31 ff.,

134 ff., 171 ff.), aber das alles doch so, daß zuletzt der von Innozenz verursachten Massenhinschlach-tung der Albingenser das Ende des gewaltigen Papstes antwortet (da man seinen nackten Leichnam in Perugia auf die Straße warf). Einzig die Begegnung zwischen Innozenz und Franziskus (die Schneider später zum gleichnamigen, letzten Stück seiner Trilogie vom „Reich“ ausgestaltet hat), bedeutet das „Licht“ in dieser „Finsternis“ mitten in den „ungeheuren Gegensätzen in Assisi und Rom“ (152). Der unselige Kampf zwischen dem Papstverächter der Welt und den albigensischen Ketzerverächtern derselben Welt klärt sich in diesem Gegenüber: da der heilige „Troubadour der Armut“ dem Papst sich unterwirft, und der Papst ihn bestätigen muß: „Vor dem größten Papst, dem Triumphator auf dem Stuhl Petri, steht der größte Nachfolger Christi (152).“

So aber werden diese zwei Visionen, in denen die Gestalt des „größten Papstes“, dem aber „die Kirche... den Namen der Heiligkeit“ zu verleihen nicht „wagte“ in seinem steten Widerspruch zwischen nein (gegen eine „verteufelte Welt“) und ja (zu einer Welt Gottes) unerhört sich manifestiert, werden diese Visionen zuletzt transparent ins letzte Geheimnis der Gegensätze im geschichtlichen Sein überhaupt. „Die Gegensätzlichkeit erst eröffnet den ganzen Umkreis“ (118) „zur Einheit der Fruchtbarkeit“ ebd). Ja, im Symbol der Feindschaft zwischen römischem Papst (Innozenz III.) und römischem Kaiser (Otto von Braunschweig) enthüllt sich das geschichtliche Sein als „brüderliche Feindschaft“, die eben so das höchste emportreibt: „Wie ein jeder die brüderliche Feindschaft im andern erkennt, findet er nun wirklich seinen Bruder in dem, der seine Tat störte, sein Leben zerbrach: den großen Mithelfer in der Erfüllung des Schicksals: den heilig-unheiligen Widersacher, der das Werk zwar nicht gedeihen ließ, wohl aber den Willen dazu ins Ungeheure trieb; den Ebenbürtigen unter fremdem Stern, der die Vollendung hinderte, das Vermächtnis zerstörte, und eben dadurch bis in die letzte finstere Stunde seines Hasses der Mitvollender wurde am ewig Unvollendbaren: am Leben, am Dienst“ (199 f.). Dies eben ist im Eigentlichen deutsches Schicksal: „Vielleicht haben wir ein größeres Recht als irgendein anderes Volk auf diese Versöhnung in der Unversöhnlichkeit, auf diesen Glauben an die Fruchbarkeit des unlösbaren Konflikts ... Unser Erbteil ist der Streit, das Leben in seiner leidenschaftlichsten Glut; wir zuerst müssen wissen von dem Gesetz, das die Edelsten und Ebenbürtigen zu Todfeinden macht im Namen der Vollendung ... Denn die Liebe zu unserm Vaterland ist nichts anderes als die Liebe zum Tragischen selbst.. . Das Leben im höchsten Sinn beginnt erst mit einer tragischen Konstellation; denn es ist die Erscheinung des Unendlichen in der Begrenzung“ (195 ff.). — Mit diesen gewaltigen Worten, wie sie kaum ein anderer Historiker für das Geheimnis des Geschichtlichen fand, schreibt Schneider selbst, in seinem „Epilog“ das wahre „Nachwort“ zu seinem Meisterwerk.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung