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Der Idealfall

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DER HEILIGE KAISER. Otto III. und seine Ahnen. Von Michael de F er dinandy. Tübingen, Rainer-Wunderlich-V'erlag, Hermann Leins, 1969. 540 S., 8 Bildtafeln, 32 DM.

Andere Teenager begeistern sich für hohe Ideale, wenn sie von guten Lehrern Latein und Griechisch lernen; im selben Alter lernte dieser Knabe Latein und Griechisch, begeisterte sich für Ideale — und war schon Kaiser, und versuchte sie zu verwirklichen. Er mühte sich, den Idealfall des christlich-abendländischen Mittelalters zu verkörpern; er wollte der Römische Kaiser sein, der neben dem Römischen Papst in der Kaiserstadt regiert, und christliche Könige zu Freunden, zu Freunden des Römischen Volks hat. Es war sein Großvater Otto der Große, der das Kaisertum, das Reich an die Deutschen brachte; doch ist es auch das Werk des jungen „Weltwunders“, wenn dieser Name: Kaiser Otto, etwas Besonderes bedeutete. Als der Widerchrist unserer Zeit im deutschen Sprachraum eben diese Tradition, die katholische Möglichkeit vernichten wollte, sprach er vom „Fall Otto“. Das Unterfangen endete auch ganz so, wie es ein mönchischer Seher jener Zeit hatte voraussagen können; but that is another story. Der Geschichtsfreund, zumal aber der Leser deutscher Zunge, muß sich von Herzen freuen, wenn diesem einzigartigen Lebenslauf ein umfangreiches Werk gewidmet ist. Auch das Hervorheben der Verwandtschaftsverhältnisse ist höchst nützlich. Hier bleibt freilich einiges zu wünschen übrig. Man hätte betonen können, was v. Dungern über das Karolingerblut der Ottonen geschrieben hat; man hätte das hintere Vorsatzblatt mit einem Stammbaum der Konkurrenz — der Sippe des Theo-phylakt — ebenso ausstatten könne, wie das vordere Blatt die Verwandtschaft der Ottonen zeigt.

Zwei Vorteile dieser Arbeit müssen erwähnt werden. Die Zitate aus zeitgenössischen Quellen sind reichlich; der Gesichtskreis des Autors ist weit. Er schreibt nicht deutsche Geschichte, er schreibt die Geschichte jener Christenheit, die Otto III. regieren wollte. Wenn sich der Autor allerdings an die Ausdeutung der Ereignisse, an die Geistesgeschichte macht, dann geht er gelegentlich entschieden zu weit. Der Leser verliert die Orientierung, den Zusammenhang mit den Geschichtstatsachen, er verliert sich in unbestimmten und weit hergeholten Begriffen und Bildern. Wenn S. 301 der Kaiser „im Namen erneuerter geistig-apollinischer Gestik“ etwas tut, muß der Leser an den Dialog denken, den Karl Kraus aus den Kreisen des Jugendstils wiedergibt: „Hat der Pollak bezahlt?“ — „Das nicht, aber er hat hieratische Gesten ...“ Man verzeihe diese Anmerkung; es gibt eine Unzahl durchaus klarer Ausführungen, eine Unzahl von Sätzen, die zu weiterem Denken hinführen. .,Wie es den Kaisern bis zu Karl V. noch geziemte“, meint etwa der Autor, „so soll auch Otto klaren, bewußten Geistes in den Tod gegangen sein.“ Nur noch bis zu Karl V.? Wir wissen noch von einem Kaiser Karl... — „Ich bete wirklich nur noch um die Beseitigung des Schismas in Böhmen... Ich kann nicht oft genug darauf zurückkommen.“ Und wer hat außer von Kardinal Beran noch von einem Patriarchen der tschechoslowakischen Naitionalkirche etwas gehört?! — Man muß sich wirklich über ein so lehrreiches Buch freuen, auch wenn dieser und jener Satz zur Debatte aufzufordern scheint.

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