6695961-1963_07_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Zeit der tätigen Stille

Werbung
Werbung
Werbung

Die geschlossenen Pforten von St. Peter könnten den Eindruck erwecken, daß auch das ökumenische Konzil, Vaticanum II, vorübergehend geschlossen ist, in Erwartung seiner Wiederaufnahme am 8. September, wie Papst Johannes XXIII. festgesetzt hat. Aber der Papst hat bei seinem Abschied von den Bischöfen im vergangenen Dezember auch festgestellt: „Das Konzil bleibt geöffnet.“ Vor einigen Wochen erst, als er den Bürgermeister und den Gemeinderat von Rom in Audienz empfing, hat er dazu bemerkt: „Eine angestrengte, aber nahezu stille Arbeit ist derzeit im Gange, die Vorbereitung für die zweite Sitzungsperiode des Konzils, die, so Gott will, den Abschluß bringen wird.“ Daß das Konzil nicht ruht, sondern fortdauert, ist auch dem Außenstehenden sichtbar geworden: Am 21. Jänner begannen nämlich die Sitzungen der gewählten Fachkommissionen, voran die von Papst Roncalli neugeschaffene Superkommission unter dem Vorsitz des Kardinalstaatssekretärs Cicognani, der die Kardinäle von Lille, New York, Venedig, München, Mecheln und der Sekretär der Kon-sistorialkongregation, Confalonieri, angehören, und nehmen ihre Arbeit für die Koordinierung der einzelnen von den Fachkommissionen bereitgestellten Schemata auf. Die Anwesenheit so vieler Kirchenfürsten und Bischöfe in Rom hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit neuerlich auf das Konzil gelenkt, um so mehr, als sich diese Arbeiten nicht wie in der ersten vorbereitenden Periode mehr oder weniger im Geheimen abspielen, sondern durch Pressekommuniques dem Publikum nähergebracht werden.

Worin besteht die „angestrengte, aber stille Arbeit“, von. der der Papst gesprochen hat? Wir erinnern uns, daß den Konzilsvätern zu Beginn der ersten Sitzungsperiode ein dicker Band übergeben worden war, der die vorbereiteten Schemata über die Quellen der Offenbarung, das Glaubensgut, die Familienmoral, die neuzeitlichen Mittel der Meinungsverbreitung und die Einheit der Christen enthielt, also wirklich die Grundlagen und Grundprobleme von Glaube und Kirche berührte und vertiefte, mit den modernen Ausblicken auf Fragen der Moral wie die Psychoanalyse, die Geburtenkontrolle, die Verantwortlichkeit von Rundfunk und Fernsehen. Die Bischöfe selbst waren es eewesen, die die Behandlung dieser Fragen durch das Konzil gefordert hatten, und sie konnten nur Befriedigung darüber empfinden, daß ihren Wünschen entsprochen worden war. Sie waren jedoch äußerst unbefriedigt über die Art und Weise, wie das geschehen war. Die Schemata erschienen unorganisch, zusammenhanglos, durch Wiederholungen viel zu lang, beschwert durch Einzelheiten und längst abgeschlossene Definitionen. Vor allem aber rief es Unbehagen hervor, daß diese -Vorlagen eher sinem theologischen Handbuch glichen, mit Warnungen und Verurteilungen und keineswegs eine Antwort auf die dringenden Fragen gaben, üe unsere moderne Zeit an die Kirche richtet. Sie widersprechen jenem Geiste, den Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Konzils am 10. Oktober gefordert und auf den er in seinem Auftrag zum Sessionsschluß nochmals angespielt hat, nämlich die gesicherte and unveränderliche Lehre in jener Form darzustellen, wie sie unsere Zeit verlangt, und die Dinge im übrigen so w präsentieren, daß sie dem Hirtenamt entsprechen, das heute die Essenz der Kirche ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung