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Ende des „Zweiten Reichs

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ERINNERUNGEN UND DOKUMENTE. Von Prinz Max von Baden. Neu herausgegeben vom Golo Mann. Stuttgart, Ernst-Klett-Verlag, 1968. 692 Seiten, DM 37.50.

Die kleinliche Anmerkung zuvor. Wenn ein Buch neu herausgegeben wird, gehören die bibliographischen Angaben der ersten Ausgabe, und zwar komplett, auf die Rückseite des Titelblatts; hier wird auf S. 58 etwas über die früheren Ausgaben erzählt, und diese Art muß den aufmerksamen Leser verdrießen. Und nun zur Sache. Eine neue Ausgabe dieser Erinnerungen und Dokumente ist für jeden Freund neuerer deutscher Geschichte von größtem Wert. Die Erzählung des Prinzen beginnt mit seiner Tätigkeit seit dem Anfang des ersten Weltkrieges und endet 'abrupt mit der Verkündung der deutschen Republik und der Übernahme der Kanzlerschaft durch Ebert. Man könnte ein ebensolanges Buch schreiben, wollte man alles kommentieren, was diese Erinnerungen und Dokumente über die verschiedensten Fragen der deutschen Geschichte zu denken geben: über Legitimität und Revolution, über Monarchie und Republik (wobei diese Begriffspaare keineswegs identisch sind!!), über Altdeutschland und Preußendeutschland, Militarismus und Pazifismus, Autorität und Parlament, Klassenstaat und Klassenkampf, Soldatentum und Zivilcourage, Propaganda und Geschichte, Christentum und Neuheidentum; nicht, zuletzt über die anscheinend unüberwindliche Schwierigkeit aus der Geschichte zu lernen.

Die kommt an einer der dramatischen Peripetien des Buchs zum Vorschein; nämlich bei Ludendorffs „Waffenstillstandsangebot“. Von Angebot konnte nämlich keine Rede sein; Ludendorff sah sich gezwungen, um Waffenstillstand zu bitten. Was .hatte. Moltkevor 52 Jahren ge-V, sagt, als die,. Österreicher, .nach 'ftSmggrftz einen Waffenstillstand suchten? „Wenn die Österreicher einen Waffenstillstand brauchen, müssen wir Preußen schlagen und vorgehen.“ Ludendorff erklärte eindringlichst, die Deutschen müßten Ruhe haben, um nachher weiterkämpfen zu können; und rechnete nicht damit, daß Foch dies durchaus einsah.

Es ist nicht anders möglich, als daß Ludendorff die „figura porca“ der Schilderung abgibt. In seinem skrupulösen Objektivismus bringt der Memoirenschreiber zwar mildernde Umstände für den Feldherrn; er war übermüdet, er war durch allgemeine Fügsamkeit verwöhnt, er war auch leiblich unwohl. Immerhin ist klar, daß die herrische Unvernunft, die Ludendorff auch in der Nachkriegszeit so reichlich bewährte, ungeheuerlich viel zu Deutschlands Niederbruch beitrug. Was Wilhelm II. betrifft, ist unser Buch natürlich eine „oratio pro domo sua“. Wilhelm II. war gleich seinen weniger vernünftigen Getreuen des Glaubens, Prinz Max hätte die Ausrufung der Republik verschuldet. Prinz Max hatte nachzuweisen, daß Wilhelm selbst sie verschuldet hatte — indem er die unvermeidliche Thronentsagung unverantwortlicherweise verschob. Hier hat Prinz Max jedenfalls recht. Freilich bleiben auch zwei Argumente Wilhelms bei ihrem Wert; zwei Fragen nämlich. Hatte Wilson irgendein Recht, über Deutschlands Staatsform zu verfügen, und war es würdig, sich seinem Diktat zu beugen? Und hat er die Erfüllung seines Wunsches durch bessere Friedensbedingungen honoriert?! Doch diese Fragen würden eben zu jenen allgemeinen und tiefgehenden Erwägungen führen, die sich ein Rezensent versagen muß. Ad vocem „Deutschland als Verbündeter“ ist es kurios zu sehen, wie auch ein derart anständiger Deutscher wie dieser durchaus damit rechnete, daß Deutschland, wohlgemerkt noch das kaiserliche Deutschte land, sich Deutsch -Österreich einverleiben würde.

Wahrhaft tragisch ist das Schicksal der deutschen Sozialdemokratie, wie es hier geschildert wird. Die sozialdemokratischen Führer wußten und sagten, daß sie darum keine Ausrufung der Republik wünschen konnten, weil sie dann einer royali-stischen Bewegung oder gar Mehrheit gegenüberstünden. Gerade der Mann der die Republik ausrief, hatte all das gesagt und wollte nachher die Republik gar nicht zufleiß ausgerufen haben ..., aber er hat sie ausgerufen, weil die marxistische Doktrin das so wollte — und es ist alles so gekommen, wie er gesagt hatte. Die Republik ohne genügende Republikaner konnte nicht leben und nicht sterben; die Antirepublikaner (ich sage absichtlich nicht Monarchisten); denn mit der Anhänglichkeit an Wilhelm II. war das so 'ne Sache...) überschütteten Ebert mit den ungerechtesten Beleidigungen. Und so wurde schließlich „die Straße frei den braunen Bataillonen — die Straße frei dem Sturmabteilungsmann!“ Und Hitler behielt recht: es kam kein neuer 11. November, sondern etwas, wogegen Clemenceaus Sieg ein Schulausflug war.

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