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Italienische Häretiker der Spätrenaissance

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Die geographische Karte der italienischen Reformation bestand doch vielfach in weißen Flecken. Nur lose Zusammenhänge mit der gesamteuropäischen Reformation waren ersichtlich. Nunmehr besitzen wir genauere Eintragungen. Diese besorgte in gründlidier Weise Delio Cantimori, der Verfasser vorliegender Quellenarbeit, welche Werner Kaegi in ein klares, flüssiges Deutsch übertrug. Auf Grund ausgedehntester, noch vor dem Krieg abgeschlossener Archivstudien in Deutschland, England, Italien, den Niederlanden, Polen, vorzüglich in der Schweiz, gelang Cantimori eine erschöpfende Geschichtsschreibung der italienischen Reformversuche zur Zeit der großen Reformationsbewegung Luthers, Zwingiis und Kalvins. Hauptgegenstand seiner Forschung ist jene einflußreiche Gruppe italienischer „Humanisten“, so Giorgio Bian-drata, Sebastian Castellio, Mino Celsi, Matteo Gribaldi, Bernardino Odiino, Camillo Renato, Lelio Sozzini usw., allen voran Celio Secundo Curione (geboren 1503 in Turin, gestorben 1569 in Basel), welche aus Gründen des Glaubens als „Häretiker“ das katholische Italien verließen und in die Schweiz emigrierten und daselbst nodimals aus Gründen des Glaubens, nunmehr von den Reformatoren als „Häretiker“ verfolgt und gepeinigt wurden. Sie waren, diese „Eretici italiani“, eben „Häretiker für alle Welt“, Rebellen gegen jede Kirchlichkeit und konfessionelle Bindung, religiöse Klausner und Einzelkämpfer — nach Art des 1551 in Ferrata hingerichteten Antikatholiken und Antipro-testanten Giorgio Siculo. Wie in Rom, so wurden sie auch in Augsburg, Genf, Zürich und Basel als Ketzer und Quertreiber extra muros empfunden und gegeißelt. Der Verfasser belegt diese innerreformatorischen Inquisitionen mit einer Reihe hochinteressanter Glaubensprozeßberichte, aus deren groben Lettern ersichtlich wird, wie die in den Akkusativ versetzten Emigranten und Reformisten Italiens über die verzerrte und verwehrte Gewissensfreiheit auf evangelischem Schweizerboden enttäuscht und aufgewühlt waren, und am Ende von der religiösen Emigration in die religiöse Illegalität gerieten. Ihre entscheidende Stunde aber schlug mit dem Prozeß gegen den italienischen „Antitrinitarier“ Michael Servet, der die Trinitätslehre angriff und, deswegen von Kalvin und seinem Rat verurteilt, in Genf am 27. Oktober 1553 den Verbrennungstod erlitt. Die Erregung der „Neu“-Reformisten wurde noch vermehrt durch einen ähnlichen Prozeß — an einem toten Häresiarchen! Das geschah dem bekannten Wiedertäufer und Vorkämpfer für Toleranz innerhalb der Reformation, dem „Ketzermeister“ und Freund der italienischen Emigrätion: David Joris. Seinen wiederausgegrabenen Leichnam verzehrte endgültig der Scheiterhaufen. Diese Exzesse nun, hervorgerufen durÄ die Anmaßung der Reformatoren, die göttliche Wahrheit absolut zu besitzen, nicht zuletzt die theologisch-spitzfindige Begründung der schmachvollen Hinrichtung Servets durch Kalvin, bewirkten, wo noch die Möglichkeit bestand, eine Abwehr größten Stils, eine innerprotestantische Gegenreformation, wenn ich so sagen darf. Sie fand, was der Verfasser gut zusammenstellt, erstmalig ihren Niederschlag in der wirkungsvollen, in Basel 1554 erschienenen Anthologie: De haereticis an sint persequendl, woran zweifellos Castellio hauptsächlichst beteiligt war. Dagegen schrieb nun der Kalvin-Schüler T. de Beza: De haereticis a civili magistratu puniendis, eine hemmungslose Apologie der Ketzerverbrennung. Das aber nahm hinwieder Camillo Renato zum Anlaß, in seinem kritischem Poem gegen Kalvin den Standpunkt der italienischen Häretiker in der Schweiz zu wiederholen: Weder katholische Tradition noch protestantische Reformation! Damit wird, was der Verfasser stärker hätte herausarbeiten können, der Aufklärung Bahn gebrochen, die ein „Drittes“ formulieren wollte, eine Synthese nämlich, eine Kappe auf der These des Katholizismus und der Antithese des Protestantismus. Zahlreiche andere Häretiker machten jedoch diese Dialektik nicht oder nicht lange mit! Sie kehrten, worauf das vorliegende Werk leider nicht genügend reflektiert, zum Katholizismus zurück. Manche wurden auch aus ihrer Toleranzidee, welche den Katholizismus einschloß, Katholiken. Viele wurden es aus brennender Sorge um die Einheit der Christenheit. Wieder katholisch wurde so wahrscheinlich Mino Celsi, wieder katholisch wurde auch Francesco Pucci, der nach den erlebten Exzessen in der Schweiz die Reform nunmehr vom Papste erwartete, womit — nach dieser innerprotestantischen Gegenreformation — die katholische begonnen haben mag.

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