6545398-1947_12_04.jpg
Digital In Arbeit

Katholiken und Protestanten in Ungarn

Werbung
Werbung
Werbung

In Ungarn war die Reformation nicht sosehr das Ergebnis seelischen Ringens, religiöser Spannungen und metaphysicher Ungestilltheit, als vielmehr die Resultierende verschiedener gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Kräftefaktoren, die nach der Schlacht bei Mohacs im Jahre 1526 allseitig zum Durchbruch kamen. In der Schlacht, die für Jahrhunderte das Schicksal Ungarns entschied, -fiel inmitten seines in hoffnungsloser Minderheit bis zur eigenen Vernichtung kämpfenden kleinen Heeres nicht nur der jugendliche König Ludwig IL, so daß die seit dem Tode Matthias Corvinus' brüchige staatliche Zentralgewalt sich auflöste, sondern es verloren in ihr auch zwei Erzbischöfe, sechs Bischöfe und zahlreiche Mitglieder des höheren Klerus ihr Leben. Die Kirche wurde in einer Stunde verwaist, in der die Wellen der religiösen Wirren des Westens sich über die Grenzen Ungarns zu wälzen begannen. Aber die Protestantisierung Ungarns hatte nicht jene Formen, die sich in manchen Fürstentümern Deutschlands zeigten, und es war charakteristisdi, daß vielerorts, insbesondere in Transdanubien und Oberungarn, die traditionellen kirchlichen Einrichtungen fortlebten. Der Marienkult wurde zum Beispiel auch in der protestantischen Kirche Ungarns gepflegt und die Schutzpatronin Ungarns prangte auch auf den Fahnen der Honveds von 1848 und 1849. Wohl sind auch in der ungarischen Geschichte Kapitel zu lesen, die den Titel „Reformation und Gegenreformation“ führen, doch waren die Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten auch in den Zeiten dieser Wandlungen nidit von der Heftigkeit, die sie in deutschen Landen hatten. So zum Beispiel führte der Leiter der Gegenreformation, der wortgewaltige Kardinal-Fürstprimas Peter Pazmany, der vertraute Berater Ferdinands II., mit dem Haupte der ungarischen Protestanten Bethlen Gaber einen regen Briefwechsel und erklärte dabei wiederholt, Katholiken und Protestanten müßten einheitlich handeln; wo es um das gemeinsame ungarische Vaterland gehe. Und ebenso bezeichnend ist es, daß Bethlen Gabor die literarischen Pläne des Jesuiten Georg Kaldy unterstützte und 1 ihm finanziell zur Drucklegung seiner bis heute unübertroffenen ungarischen Übersetzung der Heiligen Schrift verhalf. Noch deutlicher charakterisiert die allgemeine kirchliche und staatsrechtliche Auffassung jener Zeit die geschichtlich beglaubigte Szene: als Bethlen Gabor ganz Oberungarn erobert hatte, machte ihm sein Feldgeistlicher Alvinczy den Vorschlag, daß er sich zum König von Ungarn krönen lassen möge. Bethlen Gabor erwiderte, das Recht der Krönung stehe ausschließlich dem katholischen Fürstprimas von Gran zu. Alvinczy antwortete: „Ernenne du mich zum Fürstprimas von Gran, und ich werde dich zum König von Ungarn krönen.“ Bethlen Gabor wehrte ab und entgegnete: „Um. dich zum Fürstprimas von Gran ernennen zu können, müßte ich gekrönter König von Ungarn sein.“

Der religiöse Aufschwung, der in Ungarn zu Beginn dieses Jahrhunderts einsetzte und auf katholischer Seite durch die Namen Prohaszka, Bangha und Toth gekennzeichnet ist, erweckte unter den Protestanten Ungarns ähnliche Reformbestrebungen, die sich schließlidi nach Austragung innerkirchlicher Kontroversen im gegenseitigen Entgegenkommen fanden. Die Zeit für den Bau der von Bischof Prohaszka erträumten „Regenbogenbrücke zwischen der Erzabtei Pannonhalma-Martinsberg und dem kal-vinischen Rom Debreczin“ wurde am aktuellsten in den Tagen, in denen über die endgültigen Ziele des Nationalsozialismus der letzte Zweifel fiel Damals war es, daß der reformierte Bischof Ravasz, ein geistig ebenbürtiger Partner Bischofs Prohaszka in der Akademie der Wissenschaften die Gedenkrede für den verstorbenen Bischof von

Stuhlweißenburg hielt, in der er Prohaszka als den „ungarischen Parzifal“ feierte.

Fast zur gleidien Zeit pilgerten kalvini-schc 1 heologen und Theologieprofessoren nach Pannonhalma, wo sie von Erzabt Chrisostom Kelemcn so herzlich empfangen wurden, daß Blätter etwas überschwänglich von einer Verbrüderung der Debrecziner Kalviner mit den Benediktinern beriditeten. Inzwischen eröffnete die vornehme Zeitschrift „Magyar Szemle“ des ^ungarischen Historikers Julius Szekfü., der heute Gesandter in Moskau ist, ihre Spalten für Aufsätze und Studien über die Verständigung zwischen Katholiken und Protestanten aus der Feder des Jesuitenpaters Bangha, der reformierten Bischöfe Ravasz und Revesz, des Franziskanerpaters Klemens König und anderer führender Persönlichkeiten beider Kirchen. Den größten Wurf jedoch bedeutete die von Pater1 König herausgegebene Zeitschrift „Egyseg .Utja“ — „Weg der Einheit“, ih der Katholiken und Protestanten mit vereinten Kräften an der Verständigung zwischen den beiden Kirchen mit großer Liebe arbeiteten.

Geist und Zielsetzung dieser schriftstelle-risdien Tätigkeit kennzeichnen nachstehende Zitate:

„Gehässigkeit, böse Absicht, Verneinung, Argwohn, Geringschätzung und Verleumdung müssen in unseren Reihen gänzlich verschwinden. ... In der Erschließung der geschichtlichen Vergangenheit dürfen wir uns nicht von Einseitigkeit und Vorurteilen leiten lassen; Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit müssen wir uns in der Erforschung geschichtlicher Wahrheiten zur Richtschnur nehmen.. .. Der Haß entzweit, die Liebe verbindet. Eben darum müssen aus den religionsgeschichtlichen Büchern alle verletzenden Stellen gestrichen werden.“ (P. Koni g.)

„Der Protestant denkt heute vielfach: Hat es einen Sinn, sich weiter zu zanken, weil Luther und Kalvin sich mit dem Papst zerworfen haben? .. . Der Anglikaner philosophiert: Ich verstehe wahrhaftig nicht, warum ich mich für Heinrich VIII. oder für Elisabeth ereifern soll, wie es meine Voreltern getan? . .. Aber auch der Katholik läßt sich Gedanken durch den Kopf gehen, wie: War es nicht schade, die Verwilderung jener Zustände zu dulden, die die Kirchenspaltung mit psychologischer Notwendigkeit herbeiführten? Wäre es nicht heilsamer gewesen, die ursprünglichen Gegensätze zu überbrücken, als durch übertriebene Schroffheit zu vertiefen?“ (P. Bangha.)

„Wir sind uns dessen bewußt, was uns in Christo verbindet, aber wir kennen auch die Gründe unserer Eigenständigkeit, trotzdem verkünden wir, daß eine Zusammenarbeit nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist.“ (Ref. Bischof Revesz.)

„Unter dem gemeinsamen Kreuz werden sich vor den Augen der kommenden Generationen Visionen auftun, die uns noch verborgen sind und die kraft ihrer inneren Dynamik uns heute noch unbekannte Kräfte aktivieren werden, die die „Absurdität“ der Union nicht nur als Möglichkeit heranreifen lassen, sondern sie sogar zum Gesetz erheben werden.“ (Johann Viktor, protestantischer Theologieprofessor.)

Es könnte nun die Frage gestellt werden, . ob diesen Bestrebungen audi ersprießliche Ergebnisse beschieden waren. Die Frage soll offen beantwortet werden:

Zunächst muß festgestellt werden, daß die allgemeine Atmosphäre für eine Verständigung sich wesentlich gebessert hat. Die Gegensätze, die Katholiken und Protestanten voneinander trennten, sind vielfach verschwunden. Beiderseits hält man sich die großen Zentralwahrheiten des Christentums vor Augen und vermeidet alles, was zu Kontroversen oder Gegensätzen Anlaß geben könnte. Schon Kardinal-Fürstprimas Justinian Ser£dy hat den Verband der ungarischen Religionsprofessoren mit der Revision der Religionsbücher in den Elementar- und Mittelsdiulen betraut. Ein ähnlicher Beschluß wurde auf protestantischer Seite gefaßt. In Debreczin hat sich aus Protestanten, Kalvinern und Katholiken eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, der der

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung