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SALVADOR DE MADARIAGA / CATO DES WESTENS

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Die freie Welt feiert den fünfundsiebzigsten Geburtstag von Salvador de Madariaga. In Österreich horchte man zum erstenmal auf diesen bedeutenden Spanier hin, als er in den düsteren Jahren nach , dem Ende des ersten Weltkrieges in der westlichen Welt auf Wien hinwies und vorschlug, Wien zur Hauptstadt des Völkerbundes zu machen. Madariaga selbst war als spanischer Diplomat 1922 Leiter des Abrüstungsamtes beim Völkerbund in Genf, wurde 1931 nach Gründung der Republik Botschafter Spaniens in Washington. Seit 1936 ist er Inhaber einer Professur für spanische Literatur in Oxford. Durchaus unkonventionell begann bereits die Laufbahn dieses spa nischen Denkers und Publizisten, der sich leidenschaftlich wehrt, in ein Schema eingeordnet zu werden: Er begann als Bergbauingenieur im Dienste einer nordspanischen Eisenbahngesellschaft. Dann zog es den jungen Mann nach London. Madariaga studierte daselbst englische Literatur und brachte sein erstes Buch heraus; es ist Shelley und Calderon gewidmet. Unvereinbar erscheinen für viele diese beiden Geister: der glühende Sänger einer prometheischen Freiheit und der Dichter der strengen großen Ordnung des Barocks. Unvereinbar erscheinen für nicht wenige Menschen die Elemente, die Salvador de Madariaga als politischer Denker, als philosophischer Kopf, nicht zuletzt als Dichter und Romanautor in seiner Brust vereint: Dieser glühende Republikaner ging im Bürgerkrieg ins Exil und hat sein heiß geliebtes Heimatland seither nicht mehr betreten, doch behielt er bis heute die spanische Staatsbürgerschaft.

Dieser Ehrenpräsident der Liberalen Weltunion ist in vielen Zügen seines politischen Denkens konservativer als viele Politiker, die sich selbst konservativ nennen. Madariaga schreibt als Leitartikler und führender Publizist in der „Neuen Zürcher Zeitung” seine vielbeachteten weltpolitischen Betrachtungen, in denen er kühl und streng den Westen kritisiert und den Kommunismus bekämpft. Phantasielos hat man des öfteren diese ständigen Mahnungen dieses

Cato des Westens genannt. Freien Lauf läßt er seiner Phantasie in seinen Romanen, hält aber auch in diesen gern einen festen historischen Kern fest, wobei er eines der größten Themen der spanischen Geschichte umkreist, die Eroberung Mexikos und Lateinamerikas durch die Spanier, die frühen Begegnungen zwischen christlichen Europäern und heidnischen Amerikanern („Das Herz von Jade”, „Krieg im Blut”, „Ein Tropfen Zeit”). Zwischen seinen Büchern und seinen Vorlesungen in Oxford weilt er, zur „Erholung” und Arbeit zugleich, auf ausgedehnten Vortragsreisen in Amerika, hält ein politisches Seminar in Genf ab und spinnt unermüdlich seine Fäden weiter, als Essayist, Romancier, Historiker.

Diese „muntere” Betriebsamkeit und Vieltätigkeit, die Vitalität seiner Erscheinung, die frisch, jugend- haft, voll Feuer und Spannung geblieben ist, wie vor mehr als dreißig Jahren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine tiefe Tragik sein Leben überschattet. Dieser in der ganzen freien Welt bekannte und beliebte, gern gesehene und oft eingeladene Spanier denkt in jedem Herzschlag die Tragödie seines Landes mit. Tief betroffen über die Greuel, die im Bürgerkrieg auf beiden Seiten, von beiden Kriegsparteien begangen wurden, ging er ins Ausland. Madariaga ist durch, und durch Spanier; gleichzeitig gehört er zu jener geistig bedeutendsten Gruppe spanischer Intellektueller, Dichter und Wissenschafter,

die sich seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts um eine Öffnung Spaniens nach Europa, tn den Westen hinein, bemühen. Von Una- muno bis Ortega y Gasset haben diese Spanier sich immer wieder die Frage gestellt: Was sind die Gründe für die spanische Dekadenz in der Neuzeit, für das Drama der spanischen Geschichte im 19., für ihre Tragödie im 20. Jahrhundert? — Salvador de Madariaga sieht gleichzeitig bestürzt auf das Schwinden des Freiheitssinnes in der westlichen Welt. Meisterhaft hat er die „Fortschritte” der Gleichschaltung des Denkens und Meinens im Westen in den letzten Jahren untersucht, wie da unter der Decke vieler schöner Worte und Phrasen der Mensch ausgelaugt wird und in die Fänge einer riesenhaften Maschinerie gerät. Der lebendige Mensch: der Mensch, der die Freiheit braucht und die Freiheit liebt, der Mensch als froher Mitarbeiter Gottes, als Liebhaber aller schönen, guten Dinge auf Erden — dieses wundersame, starke und leicht verletzliche, verführbare Wesen Mensch steht im Zentrum der Achse, um die Madariaga als Politiker, Publizist, Historiker und Schriftsteller kreist. Für seine vielen Freunde in der westlichen Welt ist er zugleich ein lebendiges Mahnmal, das an jenes offene, freie Spanien erinnert, das heute in Spanien und außerhalb Spaniens durch eine Handvoll Männer und Frauen verkörpert wird

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