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Solferino 1959

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Die »Hitze eines hohen Sommers. Strahlender, stahlblauer Himmel. Die Straßen der Lombardei sind geschmückt mit Fahnen. Ein dichtes Spalier von Menschen jubelt begeistert auf. Einhundertundein Salutschüsse haben das Düsenflugzeug aus Paris in Mailand begrüßt. General de Gaulle ist in Italien eingezogen. Mit Staatspräsident Gronchi besucht er die Schlachtfelder, auf denen hundert Jahre zuvor französische und piemonte- sische Truppen die Oesterreicher geschlagen haben. In der Mailänder Mittagssonne paradieren italienische und französische Truppen vor den beiden Präsidenten. Die französischen Truppen mußten eigens für diesen Zweck aus Frankreich importiert werden. Kranzniederlegung, im Gedächtnis der historischen Waffenbrüderschaft, in San Martino und Solferino. Aus italienischen Militärflugzeugen springen Fallschirmjäger ab mit Schirmen in den italienischen und französischen Nationalfarben. — General de Gaulle spricht: „Auf dem Schlachtfeld von Solferino hat Frankreich einen Teil dessen zurückgezahlt, was es Italien und dem antiken Rom an Sprache, Sitten, Kultur, ja an seiner staatlichen Organisation selber verdankt.“ — Ein Diner in der Villa Siliprandi, in der vor einhundert Jahren Napoleon III. weilte.

In diesen gleichen Sommertagen, in denen auf den Schlachtfeldern von Solferino der Nationalismus des 19. Jahrhunderts eine glühende und glänzende Renaissance feierte, geschah aber auch dies: Zwei Millionen Menschen streikten in Italien. In Algerien fielen die Rebellen in die Hafenstadt Böne ein, lieferten den Franzosen die größte Schlacht seit 1956. An der Brennergrenze beschlagnahmte die italienische Grenzpolizei zwei Säbel, die Angehörige der Schützenkompanie von Egg bei Sterzing am Brenner bei der Wipptaler Gedenkfeier in Steinach am Brenner getragen hatten. Der zweite

Schlag gegen die Südtiroler Trachtensäbel innerhalb von drei Wochen.

Auf dem Platz „Am Hof“ der Wiener Innenstadt steckt in einem Gebäude ein Haken in der Mauer. An ihm hängt ein Kranz mit einer rotweißroten Schleife. Hier stand einst das Kriegsministerium der Monarchie. Das Bundesheer gedachte so der Toten von Solferino und des Schweizer Dunant. Solferino ist für die Welt nämlich auch der Geburtsort des Roten Kreuzes. Es war die Tat eines Bürgers der freien Schweiz, der durch Zufall auf das Schlachtfeld kam und als Mensch handelte: Noi siamo tutti fratelli. Wir alle sind Brüder. In Solferino begann auch die Geburt eines neuen Europa, einer neuen Welt. Die, beide, bis heute von der blutigen Wirklichkeit eines anderen Europa überschattet sind..

Nichts gegen General de Gaulle. Nichts gegen Staatspräsident Gronchi. Beide sind ehrenwerte Männer, die nach bestem Gewissen das Beste für ihr Land, ihre Nation wollen. Alle Bedenken aber gegen die Ausdrucksformen dieser Unternehmungen. Muß das westliche Europa schon wieder das Gesicht der Reaktion tragen? Ein Gesicht voll Härte, Hochmut, Intransigenz. Ein Nationalismus, der nur sich selbst kennt und noch gefährlicher wird, da er es glänzend versteht, die Allianzen und Umgangsformen der Zeit anzupassen.

Diesem Schauspiel steht Oesterreich schok- kiert gegenüber, weithin aus eigener Schuld. Wir wollen hier nicht mißverstanden werden. Dieser Artikel wendet sich nicht an die Waffenbrüder von 1859, an die Italiener und Franzosen, sondern an unseren Staat, der es verabsäumt hat, zur rechten Stunde in geeigneter Form das Nötige zu tun. Die Feiern in Solferino wären unter Beteiligung Oesterreichs anders verlaufen. Man hätte Paris und Rom darauf aufmerksam machen können, daß doch die Schwächung und dann die Zerschlagung der Donaumonarchie zwischen 1859 und 1918 für Frankreich und Italien nicht nur Vorteile, sondern auch erhebliche Gefahren brachte. Hitler war nur durch die Vernichtung der europäischen Mitte möglich. . Die Nachfolge der Donaumonarchie hat, vor den Toren Italiens und Frankreichs, eine Macht angetreten, die sich durch die Paraden von Mailand und Solferino 1959 wenig beeindrucken läßt: das sowjetische Imperium.

Es gab also viele gute Gründe, den österreichischen Gegner von 18 59, den österreichischen Partner von 1959, in die Gemeinschaft einzubeziehen. — Nun hörte man von italienischen Einladungen an Oesterreich, an den Feiern ton Solferino teilzunehmen. Warum wurden diese abgelehnt? Nur deshalb, weil wir praktisch seit über einem halben Jahr „keine Regierung“, das heißt nur ein Lavieren ohne eigenständige Aktivität haben? Oder vielmehr deshalb, weil es uns gegenwärtig an repräsentativen Persönlichkeiten und Umgangsformen fehlt? Ist es nicht so, daß größere Privatfirmen im Ausland ein sichereres und eindrucksvolleres Auftreten zeigen, als die Repräsentanten unseres Staates?

Dies und anderes mehr sollte in Zukunft — bald — bedacht werden.

Solferino 1959 ist für uns Oesterreicher ein Mahnmal: wenn es uns nicht gelingt, bei unse- len Partnern im Westen mehr Achtung, mehr Rücksichtnahme bei staatspolitischen Demonstrationen und Aktionen zu erreichen, dürfen wir nicht hoffen, diese unseren Gegnern im Osten abzuringen.

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