Ilse Helbich wird 100: „Sternregen auf diesen Stern“
Erst spät ist Ilse Helbich als Autorin in die Öffentlichkeit getreten. Ihre Literatur ist ein seltener Glücksfall. Soeben sind ihre Dorfgeschichten „Wie das Leben so spielt“ erschienen. Ein Porträt zum großen runden Geburtstag am 22. Oktober.
Erst spät ist Ilse Helbich als Autorin in die Öffentlichkeit getreten. Ihre Literatur ist ein seltener Glücksfall. Soeben sind ihre Dorfgeschichten „Wie das Leben so spielt“ erschienen. Ein Porträt zum großen runden Geburtstag am 22. Oktober.
Mut und Entschlossenheit braucht es fürwahr, um mit 80 Jahren eine literarische Karriere zu starten. Die österreichische Autorin und Publizistin Ilse Helbich, die am 22. Oktober ihren 100. Geburtstag feiert, verfügt über beides. Wenn der Literaturkritiker Anton Thuswaldner in seiner Laudatio zu ihrem 90. Geburtstag von der „rebellischen Generation der Unberechenbaren“ spricht, die nicht daran denkt, im Alter zu schweigen und dem Lauf der Welt untätig zuzusehen, dann trifft dies wohl in besonderer Weise auf Ilse Helbich zu. Denn gerade sie hat im Laufe ihres Lebens mit zunehmendem Alter Sicherheiten immer kühner hinter sich gelassen und Traditionen schon zu einer Zeit den Rücken gekehrt, als weibliche Autonomie noch keine Selbstverständlichkeit war.
Helbich ist 1923 in Wien geboren. Ihre Kindheit verbringt sie in einer wohlhabenden, aber kühlen und strengen Familie samt abenteuerlichen Ferienzeiten am großelterlichen Anwesen im Waldviertel oder am Mittelmeer. Als Frau kommt sie für die Nachfolge im Betrieb ihres Vaters nicht in Frage, daher darf sie studieren. Nach grauenvollen Kriegserfahrungen mit traumatischen Erlebnissen folgt ein Intermezzo in einem Verlag, bis sie eine von Anfang an unglückliche Ehe eingeht, in der sie als Mutter von fünf Kindern und Hausfrau ausgelastet ist. Dennoch wendet sie sich schon früh dem Schreiben zu und publiziert gelegentlich verstreut kleinere literarische Texte für den ORF, das Feuilleton der Presse oder DIE FURCHE.
Späte Neuorientierung
Als markante Zäsur in ihrem Leben kann man wohl die Trennung von ihrem Mann nach 30 Jahren Ehe sehen. In ihrem Debüt „Schwalbenschrift“ (2003), in dem sie später ihre eigene Geschichte autofiktional mit bemerkenswerter Präzision verarbeitet und unprätentiös in einem breiten sozialhistorischen Zeitgemälde verortet, reflektiert sie diesen Schritt: „Sie hat über den Entschluss nicht lange nachgedacht – von einer auf die andere Stunde weiß sie, dass sie gehen muss [...] Sie vergisst fortan nicht, dass Freiheit sich auch im materiellen Freisein gründet.“ Ihre finanzielle Absicherung resultiert aus dem Verkauf ihrer Firmenanteile, was für sie Neuanfang und Autonomie um vieles leichter macht. Erst retrospektiv kann sie in einem Gespräch mit dem Wien Museum feststellen, dass sich diese Befreiung aus patriarchalen Strukturen bei ihr als „eruptiver Ausbruch“ und nicht als sanfte Entwicklung vollzogen hat. Es braucht Zeit, um eine Neuorientierung zuzulassen.
Schreiben als Echoraum
Irgendwann möchte sie ein eigenes Haus am Land. In Schönberg am Kamp wird ihr die zentral gelegene baufällige Alte Post zum Kauf angeboten: „Die Besitzer haben dem alten Gebäude die Fenster ausgebrochen, wie Wunden sitzen die neuen Glotzfenster in der Fassade. Notdürftig sind die weiten Räume in schluffartige Kammern geteilt und außen und innen billige ‚Verschönerungen‘ angebracht worden. / Der Garten, in den das U-förmig angelegte Gebäude hineingestellt ist, zeigt sich als eine Wildnis, Brennnessel, Brombeeren, unbekanntes Krautwerk wuchern hüfthoch, Efeu schlingt sich dicht um alte Bäume“, schreibt sie in ihrer „Schwalbenschrift“. Helbich ersteht und renoviert das Haus. Es trägt Spuren einer langen, wechselvollen Geschichte in sich.
Später setzt sie dem Prozess der baulichen Metamorphose in ihrem Roman „Das Haus“ ein Denkmal. Im Nachhinein bewertet sie im Standard diese Phase auch als wesentlich für ihre persönliche Weiterentwicklung: „Indem ich dieses Haus erlöst habe, habe ich mich selbst erlöst. Das war keine gute Tat, es war eine Notwendigkeit. Mit dieser Aufgabe sind viele Bedrängnisse und Ausweglosigkeiten von mir abgefallen. Ich bin mit diesem Haus eine andere geworden.“ Hier in ihrer neuen Bleibe mit mittlerweile prächtig blühendem Garten gibt sich Ilse Helbich, die ihren literarischen Vorlass bereits dem niederösterreichischen Literaturarchiv übergeben hat, fortan unermüdlich dem Schreiben hin. „Die Tätigkeit des Schreibens liegt in einer Sicherheitszone“, hält sie später in „Anderswohin“ fest.
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