Millionen im Einkaufsnetz

19451960198020002020

Hrabal war keine Erfindung des tschechischen Surrealismus.

19451960198020002020

Hrabal war keine Erfindung des tschechischen Surrealismus.

Werbung
Werbung
Werbung

Bohumil Hrabal (1914-1997) war ein typischer tschechischer Schriftsteller, den man mit dem Erfinder Schwejks, Hasek, oder Jan Neruda vergleichen konnte. Doch mußte man sich zuweilen fragen, ob es ihn wirklich gab oder ob er eine Erfindung des tschechischen Surrealismus war. Wer eine Hrabal-Biographie schreibt, kann nur scheitern - ehrenvoll oder banal.

Monika Zgustova ist für ihre Biographie viel getadelt worden. Vielleicht hat sie mit dem Untertitel "Bohumil Hrabal - Leben und Werk" falsche Erwartungen geweckt. In Wirklichkeit hat sie wohl gewußt, daß man diesen Poeten der absurden Widersprüche nur erfassen kann, wenn man ihn in eigene Poesie einspinnt. Sie hat ja Hrabals Bücher ins Spanische und Katalanische übersetzt. Wie getreu, ist hier nicht zu beurteilen. Jedenfalls hatte sie das literarische Werk Hrabals im (Zu-)Griff, hatte viele Gespräche mit ihm, konnte vieles Autobiographische in ihr poetisches Mosaik einfügen.

Dem Dichter Hrabal kann man sich nur mit Nachsicht und Liebe nähern, gewiß nicht, indem man auf halt- und beweisbare Fakten pocht. Nehmen wir zwischendurch das Buch "Ich dachte an die goldenen Zeiten" zur Hand, das der Suhrkamp-Verlag als Schlußteil der Autobiographie "Hochzeiten im Hause" vorlegt, der zuerst 1988 auf englisch in Toronto erschien.

Da erzählt Hrabal sich mit den Augen seiner Frau: wie schwer sie es mit ihm hat, wie er lebenslang um Nachsicht betteln muß: "... dieser Mann hielt mich all die Jahre so auf Trab, er verärgerte und verdroß mich dermaßen, daß ich darüber vergaß, ein Kind zu haben, denn mein Mann, das war nicht nur ein Kind, mein Mann machte mir so viel zu schaffen wie eine ganze Klasse geistesgestörter Kinder in einer Sonderschule ... Ich zuckte mit den Schultern, was soll's?"

Aber sie hatten ja so liebe Katzen. Die Erlebnisse mit dem Kater Etan sind Höhepunkte des Buches. Dennoch: was macht man mit einem Mann, der zu Zeiten, als er gut verdiente, als seine Bücher in Riesenauflagen so schnell vergriffen waren, daß man sie nie in einer Buchhandlung sah, was macht man, wenn er sein Honorar, viele gute Kronenscheine, im Einkaufsnetz nach Hause trägt? Wie nimmt man ihn denn, wenn er die meiste Zeit in Prager Bierlokalen verbringt, den heimatlichen mährischen Wein auch nicht verachtet und ein lebensgefährliches Gallenleiden hat - ohne sich vom Alkohol trennen zu können?

Soviel ist sicher: Hrabal hat sich als Sohn eines höheren Brauerei-Angestellten schon als Kind mit Limonade im Wirtshaus wohlgefühlt. Er hat in seinem ungeheuer aufnahmefähigen Hirn unzählige Geschichten gespeichert samt der volkstümlichen Sprache und dann gut umgerührt ausgewertet. Er hat die Rechte studiert, bis in der NS-Zeit die tschechischen Universitäten geschlossen wurden und nach dem Krieg promoviert, hat sich in die Philosophie vertieft und in chinesische Dichtung.

Gleich nach dem Krieg entdeckte er den Surrealismus im Gefolge jenes tragikomischen Mißverständnisses, dem schon in der Zwischenkriegszeit seine tschechischen wie auch die französischen Kollegen zum Opfer fielen: sie erkannten einen Zusammenhang, eine Weggemeinschaft mit dem Kommunismus, als Stalin längst den "Sozialistischen Realismus" ausgerufen hatte. So wurde er 1945 Kommunist, nahm aber schnell wieder Abschied: "Dieselben Gründe, die mich in die KPC eintreten ließen, zwingen mich nun dazu, wieder auszutreten." Zgustova zitiert auch das Bekenntnis des Surrealisten zur Wirklichkeit, "die ich nicht geschaffen habe, die bereits war, bevor ich es war, der ich mir nichts anderes wünschte, als sie widerzuspiegeln, weil selbst die furchtbarsten Ereignisse so viel Schönheit für mich hatten".

So ging es ihm auch in den Kriegsjahren. Als Eisenbahn-Bediensteter sah er die Munitionszüge gen Osten, die Züge mit Verwundeten und Toten gen Westen fahren, konnte gegen die deutschen Besatzer so wenig Haß empfinden wie später gegen die Landsleute, die ihn immer wieder zu Verhören vorluden. Hatte er in den sechziger Jahren wachsenden, auch internationalen Erfolg (der Film, den Jiri Menzel nach seiner Novelle "Scharf bewachte Züge" drehte, erhielt einen Oscar), so erlebte er die Unterdrückung des Prager Frühlings in seiner ganzen Absurdität. Er wurde verboten, dann wieder erlaubt, seine Bücher erschienen im Ausland. Auch die raffiniertesten Sicherheitsorgane waren seiner sperrigen Widersprüchlichkeit nicht gewachsen. Er hatte schon so viele Berufe ausprobiert, daß er sich immer irgendwie durchschlagen konnte.

Und seine Frau arbeitete zeitweilig in der Altpapierverwertung, wo sie viele der beschlagnahmten Bücher wieder aus dem Abfall fischen konnte. Bis zum Ende bleibt sein Leben rätselhaft: Hat er sich im Krankenhaus aus dem Fenster gestürzt oder nur beim Taubenfüttern zu weit hinausgelehnt?

Und da soll einer eine hieb- und stichfeste Biographie schreiben!

ICH DACHTE AN DIE GOLDENEN ZEITEN Von Bohumil Hrabal Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999 220 Seiten, geb., öS 263,-/ e 19,11 IM PARADIESGARTEN DER BITTEREN FRÜCHTE Von Monika Zgustova Deuticke Verlag, Wien 1999 391 Seiten, geb., öS 350,-/e 25,44

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung