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Schiller, Mai 1955

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Die Schiller-Feiern sind verrauscht. Für viele von ihnen gilt das Wort Franz Grillparzers, das er 1S59 schrieb, als ihm nicht wenige Literaten seine ablehnende Stellung gegenüber der mit viel rhetorischem Lärm vorbereiteten Feier zum 100. Jahrestag von Schillers Geburt verübelten. „Wenn ich nicht Schiller für einen großen Dichter hielte, müßte ich mich selbst für gar keinen halten. Aber nun wird diese Feier mit einem solchen Lärm und einem solchen Hallo vorbereitet, daß die Vermutung entsteht, man wolle dabei noch etwas anderes feiern als Schiller, den ausgezeichneten Dichter und Schriftsteller: etwa das deutsche Bewußtsein, die deutsche Einheit, die Kraft und Machtstellung Deutschlands ...“ — Grillparzer kannte damals noch nicht die im Oesterreich des Jahres 1955 erscheinenden diversen provinziellen Schiller-Jahrbücher, in denen Schiller auf den Schild gehoben wird, um darunter Propaganda für pangermanisches Heidentum, Waffenglanz und Deutschtümelei aller Art zu machen. Grillparzer kannte damals noch nicht diverse Schiller-Feiern im heutigen Ostdeutschland, in dem seine Dramen im Sinne volksdemokratischer Kampfrufe ausgeschlachtet werden; unser großer Dichter kannte aber bereits jene Fülle fragwürdiger Feiern, in denen das Kulturphilistertum, die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit der Redner und ihres Publikums sehr deutlich erkennen ließen, daß der wahre Sinn dieser Feiern nicht darin bestand und besteht, Schiller zu ehren, sondern sich selbst, den eigenen Hochmut und Dünkel, recht nachdrücklich vorzustellen. — Wer an Hand der internationalen Presse die Schiller-Feiern in aller Welt verfolgt, findet neben einigen wenigen rühmenswerten Ausnahmen, so den Schiller-Reden von Thomas Mann, Theodor H e u ß und auch der Wiener Rede Heinrich D r i m m e 1 s, einen Wulst und Wust vor, einen Berg von Phrasen und Schlagworten, der die nackte Tatsache verstellt: hier geht es nicht um ein Sich-einfordernlassen,''in Ehrfurcht, von der Wirklichkeit des Mannes und Menschen Friedrich Schiller, sondern um eine mehr und minder rücksichtslose Plünderung Schillerscher Worte, die zur Herausstellung eigener Ideen und Winkelzüge verwendet werden. Der Dramatiker Friedrich Schiller ist also auch an seinem 150. Todestage dem Schicksal ausgeliefert worden, das ihm die Generationen des 19. Jahrhunderts bereitet haben: die ihn, in Leder und Gold gebunden, weidlich für ihre tagespolitischen Parolen und ihre „kulturellen Bedürfnisse“ ausschlachteten. Charakteristisch für diese Verwendung und Verfeierung Schillers, des führenden deutschen Tragikers, ist, daß sie geflissentlich über das Tragische und Dramatische in Leben und Werk dieses sehr deutschen Mannes hinwegsieht. Die harmonisierende, die harten und starken Akzente seines Gesichts verfälschende Büste, die Schiller-Kragen, Schiller-Bilder bekunden deutlich genug, worum es damals wie heute geht: um eine Flucht vor der Wirklichkeit, vor dem Ernst und der Würde dieses Schicksals, das Schiller heißt.

„Schiller, oder: die erstickte deutsche Erhebung“; „Schiller, oder: Sieg und Untergang des deutschen Bürgertums“, so oder ähnlich würden die Titel eines geschichtlichen Dramas lauten, das ihn und seine Zeit zu behandeln wagte. Schillers Lebensweg und Werk sind ein heroisches Bemühen, die Fesseln abzuwerfen, die damals und später noch, i m deutschen Volk stärkste Kräfte gebunden hielten; da sind als erste zu nennen die Fesseln, die dem Bürgertum auferlegt waren und die einen großen Teil der Volkssubstanz in unwürdiger Weise gefangen hielten (man vergleiche nur „Kabale und Liebe“). Da sind dann jene Fesseln zu nennen, aus denen Kant, der große Lehrer Schillers, sein Volk und die Menschheit seiner Zeit zu befreien versuchte: die „selbstverschuldete Unmündigkeit“ des Denkens, das es nicht wagt, sich aus alter Angst und Enge abergläubischer Ideologien und scheinbar religiöser Phrasen zu befreien. Da sind, zum dritten, die Fesseln des Sentimentalismus und Provinzialismus, die damals, wie so oft auch später noch, den deutschen Geist zu Schwärmertum, Eigenbrötelei, zur Selbstüberhebung, zur Geringschätzung anderer Völker verführten. Mit dem Zeitalter der Restauration und Romantik begann diese Bewegung, getarnt unter vielen glänzenden Fassaden, ihre Machtübernahme über den deutschen Geist und die deutsche Seele vorzubereiten, die sie denn auch zwischen 1870 und 1933 erkämpft hat.

Schiller, der so oft unrichtig als „Idealist“ verkannte Dichter, Schriftsteller und Journalist (er ist, mit Lessing, der erste große deutsche Journalist, weil ihm die Zeit, ihre Chance und Versuchung auf dem Herzen brennt), hat seinem überanstrengten, überforderten, übermüdeten Leib das Letzte an Arbeit, an Leistung abverlangt (weinend birgt der tödlich Erschöpfte sein Haupt im Kopfkissen, als ihm, wenige Tage vor seinem Tode, sein jüngstes Kind vorgeführt wird — et ist, als ob er alle Verführungen der unbetreuten, unversorgten deutschen Jugend der kommenden Geschlechter in diesem seinem Knaben leibhaftig erschaut hätte). Nicht aus Ehrgeiz, nicht aus Arbeitswut, arbeitsneurotisch, wie heutige Betriebsame. Dieser deutsche Poet sah nüchtern — seine Briefe bekunden das erschütterungsstark — wie sein Lebenswerk erst ein Anfang war, ein Werk, begonnen, die Deutschen zu mannesstarken Menschen zu erziehen, die wissen, daß der Kampf in der eigenen Brust zu führen ist; daß es um Selbstaufklärung, Erhellung der eigenen dunklen und wirren Kräfte geht, soll dieser Mensch befähigt sein, Verantwortung für seine Familie, seine Mitmenschen, sein Volk, für die Menschheit zu übernehmen. Schiller, der Ehrenbürger der französischen Nation, hat den Versuch gemacht, die tiefsten und reinsten Impulse der deutschen Aufklärung und des deutschen Bürgertums zum geschichtsmächtigen Einsatz zu bringen, in der Erziehung der Nation zu wahrer Menschlichkeit, zur Weltgültigkeit. — Schiller ist, wie vor ihm Lessing, zerbrochen in diesem Ringen. Seine Dramen und Tragödien sind die großen Bruchstücke dieses seines Kampfes. Man wird ihnen erst gerecht, wenn man sieht, wie weit sie über sich selbst hinausweisen. Es ist kein Zufall, daß sein stärkstes Werk, der „Demetrius“, auch äußerlich Fragment geblieben ist.

Eine Schiller-Feier 1955 hätte also zu beginnen und zu enden mit einer ehrfürchtigen Anerkennung des Dramas, der Tragödie, die Friedrich Schiller selbst war: ein Mann in seiner Zeit, siegend und untergehend in seinem Bemühen, Herz und Verstand seines Volkes zu erhellen.

Die S c h i 11 e r-Festaufführung des Burgthea-t e r s („Kabale und Liebe“) hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Positiv ist hervorzuheben der Versuch, hier das staatspolitische und gesellschaftliche Drama der Zeit scharf akzentuiert herauszustellen. Diesem Zweck dienen die gewalttätigen Straffungen und Kürzungen des Textes (Regie Rott) sowie das eindruckstarke Bühnenbild, das jeweils durch die Wände der Bürgerstube und Salons das herzogliche Prunkschloß mit seinen gezirkelten Gärten und Bauten im Hintergrund durchscheinen läßt: später Barock und Rokoko, als Fassade eines terroristischen Absolutismus, der sich als Großvater heutiger Tyranneien präsentiert. Positiv zu würdigen sind einige Besetzungen, so Judith Holzmeister als Lady Milford, Attila Hörbiger als Vater Miller. — Unglücklich Käthe Gold als Luise; schweigen wir lieber über diese Töne. Da auch ihr männlicher Partner (Erich Auer) das Strahlende, den zum Manne erwachenden Jüngling, nicht geben kann, fehlt der Aufführung, bei aller Forschheit und Forcierung, eine ganze Dimension: die innermenschliche, sehr sensible und sehr persönliche der jungen Liebe.

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