So sieht und hört man Musicals sehr gerne

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Maria Happel ist der umjubelte Star der ersten Musiktheaterproduktion der neuen Saison: Jule Stynes Erfolgsmusical "Gypsy" an der Volksoper.

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Maria Happel ist der umjubelte Star der ersten Musiktheaterproduktion der neuen Saison: Jule Stynes Erfolgsmusical "Gypsy" an der Volksoper.

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Kisten und Koffer, ein paar Lampen und einige wenige sonstige Requisiten und schon ist in "Gypsy" an der Volksoper das Ambiente für dieses in den 1920-und 1930er-Jahren in einigen amerikanischen Städten wie Seattle, Los Angeles oder New York spielende Musical geschaffen. Ein Beweis mehr, dass es im Theater meist nur wenig Ausstattung -in diesem Fall stammt sie von Stephan Prattes - bedarf, um ein entsprechendes Ambiente zu suggerieren. Vorausgesetzt, Regisseur und Bühnenbildner haben die nötige Fantasie und die Produktion ist mit Schauspielern besetzt, die diese Räume mit ihrer Persönlichkeit zu füllen wissen. Wie in der Volksoper.

Übermutter

"Gypsy sagt etwas, das ziemlich schwer zu ertragen ist: dass jedes Kind einmal für seine Eltern verantwortlich wird. Du wächst ihnen über den Kopf ... sie werden deine Kinder. Jeder weiß das, doch keiner denkt gerne darüber nach", resümiert der Lied-Texter Stephen Sondheim das Sujet, das sich zuweilen wie ein Märchen ausnimmt, seinen Ursprung aber in der Realität hat: in den Memoiren von Rose Louise Hovick. Sie feierte unter dem Namen Gypsy Rose Lee - daher der Name des Stücks -Triumphe als Striptease-Königin im Amerika der 1930er-Jahre. Auch ihre Schwester, Ellen Evangeline, legte sich ein Pseudonym -June Havoc - zu, um besser im Filmgeschäft reüssieren zu können und hatte damit Fortüne.

Gedrängt wurden die Schwestern von ihrer ehrgeizigen Mutter, Mama Rose, die nichts anderes im Sinn hatte, als ihre Töchter zu Stars zu machen. Dafür war ihr jedes Mittel recht, nahm sie persönliche Misserfolge in Kauf: das Scheitern dreier Ehen, aber auch, dass sie mitansehen musste, dass es eine Tochter in die Striptease-Szene trieb -was im Musical ungleich freundlicher dargestellt wird als es sich in der Realität abgespielt hat. Loslassen können ist jene Eigenschaft, die diese Übermutter so gar nicht beherrschte.

Abgesehen von den ersten Voraufführungen in Philadelphia war diese Musical-Comedy von Beginn an ein Renner, wurde mehrmals verfilmt und verriet schon bei der Uraufführung 1959 am New Yorker Broadway Theatre nichts von den Schwierigkeiten ihrer Entstehung. Bekanntlich hätte Stephen Sondheim gerne die Musik geschrieben. Zu mehr als einer Mitarbeit für Jule Styne ist es aber nicht gekommen.

"I had a dream" ist das Leitmotiv der Partitur, die zahlreiche applausträchtige Songs präsentiert, und schon durch eine effektvollbrillante Ouvertüre auffällt. Überhaupt ist dieses Stück so etwas wie ein Digest durch die Musikgeschichte, wird man doch mit Formen wie Vaudeville und Burlesque konfrontiert, lernt damit nebstbei auch etwas über die Vielfalt des Unterhaltungstheaters.

Nicht nur im wirklichen Leben war Mutter Rose die alles dominierende Persönlichkeit, sie ist es auch in diesem Musical, bekommt mehr zu singen, als beispielsweise Puccinis Turandot, wie der Dirigent dieser Produktion im Programmheft ausführt. Der das Orchester der Volksoper Wien schwungvoll leitende Lorenz C. Aicher ist auch ein wesentlicher Teil des Erfolgs dieser Produktion. Denn hat man sich, wie hier zu Recht, entschieden, im Wesentlichen auf Schauspieler und weniger auf Sänger zu setzen, ist der musikalische Leiter besonders gefordert.

Intensiv und glaubwürdig

Maria Happel wollte, wie sie in Interviews betonte, immer schon Musical spielen. Jetzt hat man ihr und sie sich diesen Wunsch erfüllt. Und wie: intensiver, auch glaubwürdiger kann man diese herausfordernde Aufgabe nicht meistern. Dass die Aufführung dennoch mitunter etwas an Spannung einbüßt, vor allem am Schluss an Tempo verliert, liegt an Werner Sobotkas sonst sehr musikalischer, ganz auf die Personen zentrierter Regie. Kürzungen in der deutschen Version von Henry Mason, die Sobotka selbst einrichtete, hätten diese Leerläufe vermutlich hintangehalten.

Maria Happel ist nicht das einzige Atout dieser Aufführung. Da hat Wolfgang Hübsch einen so kurzen wie profunden Auftritt als nicht gerade von seiner Tochter Rose verzückter Papa, demonstriert Toni Slama eindringlich als Herbie, wie schwierig es ist, mit Rose zusammen zu leben, zeigen die kleinen wie auch die in die Jahre gekommenen Töchter June und Louise -exzellent besetzt mit Livia Ernst und Katharina Kemp sowie Marianne Curn und Lisa Habermann -was es heißt, mit einer solchen Mutter leben zu müssen und welcher Anstrengungen es bedarf, sie wenigstens einigermaßen in die Schranken zu weisen. Aber auch die übrigen Protagonisten lassen es nie an Elan und Witz fehlen, brillieren mit virtuosen Steppeinlagen, vor allem mit pointenreichem Spiel.

Gypsy

Volksoper, 17., 23., 25., 28. September

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