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Wer und was ist ppin?

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Unser gutes altes Geschichtsbuch zählt sechs Männer dieses Namens auf. Da aber in der musikalischen Komödie, deren Libretto Roger O. Hirson schrieb, auch Karl der Große und ein Bruder des Titelhelden namens Ludwig vorkommen, mag es sein, daß es sich um jenen Pippin handelt, der von 777 bis 810 lebte und regierte. Sonstige Ähnlichkeiten mit den historischen Figuren sind kaum erkennbar. In dieser Hinsicht haben es die weniger traditionsbewußten Amerikaner leichter als wir, indem sie aus irgendwem irgendwas machen.

Und was ist „Pippin“? Die vielen Autoren und Mitarbeiter nennen ihr Stück eine musikalische Komödie. Aber an das Genre „Komödie für Musik“, wie der Untertitel des „Rosenkavalier“ lautet, darf man dabei nicht denken. Es handelt sich vielmehr um ein Musical in historischem Gewand, um ein achtteiliges Bühnenspektakel mit Musik. Die letztere sowie die Liedertexte stammen von Stephen Schwartz, und von ihm, dem 26jährigen Autor dreier erfolgreicher Broadway-Musicals sowie des Textes der Bem-stein-Mass, muß zunächst die Rede sein.

Er hat eine feine, einfallsreiche Partitur geschrieben, die zwar keine Schlager enthält, mit denen uns andere Stücke dieses Genres zuweilen auf die Nerven gehen. Das also tut unser Komponist nicht. Hingegen darf man ihm bescheinigen, daß ihm im 7. Bild mit der Nummer „Von Liebe singen“ etwas besonders Apartes und Lyrisches gelungen ist, ein wenig an den Stil von „Hair“ anklingend, aber das stört nicht.

Secundo loco muß Bob Fosse genannt werden, an dessen für den Broadway gemachter Inszenierung und Choreographie die Produktion im Theater an der Wien sich orientierte, genauer: die sie genau kopierte. Desgleichen geschah's mit der Einstudierung durch Kathryn Doby, den originellen, sparsamen, aber effektvollen Bühnenbildern von Tony Walton, den Kostümen Patricia Zipprods und der Lichtregie von Fisher und Friedel.

Die Wiener Aufführung, die zugleich auoh die erste deutschsprachige in Europa ist, verwendet die Übersetzung von Robert Gilbert unter der Dialogregie von Rolf Kutschern. Am Pult stand, an dem Abend, da wir „Pippin“ zum ersten Mal sahen, Johannes Fehring, der auch für die Einstudierung verantwortlich zeichnet.

Namen über Namen, man mußte sich fürchten, daß die vielen Köche den Brei verderben würden. Aber siehe da: Es harmonierte alles so ausgezeichnet, daß wir einen überaus unterhaltsamen und vergnüglichen Abend verbuchen konnten, zugleich auch belehrt wurden, daß mit geringem szenischem Aufwand (aber mit viel gründlicher Arbeit) Bestes auf diesem Gebiet geboten werden kann. Zumal wenn ein so dominierender junger Künstler wie Joachim Kemmer, bescheiden als „erster Schauspieler“ angekündigt, der durch das Stück führt, halb Apollo musagetes, halb Mephisto, zur Verfügung steht. Denn sein Herr Pippin (Bela Erni) will alles kennenlernen, alles anders machen. Diese beiden Protagonisten können singen, tanzen und sprechen — und sind somit echte Musical-Stars. Kurt Hein-tel als Karl der Große hat eine mehr passiv-dekorative Rolle, ebenso Greta Keller als Großmama. In Nebenrollen befriedigen Helge Grau als Ludwig, Pippins Bruder, Anna-Luise Schubert als Fastrada und Gabriele Jacoby — recht brav und dekorativ — als Katharina.

Im Ganzen also: zwei Stunden guter Unterhaltung, der Eindruck von optischen Enfreuilichkeiten verbindet sich mit dem eines wohltrainierten Ensembles im Dienst eines Stückes, das ohne modische Plumpheiten auskommt und das sicher noch oft wiederholt werden wird.

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