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Show mit Shaw

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Am Anfang stand der Plan von Direktor Kutschera, im Theater an der Wien nicht nur amerikanische Musicals nachzuspielen, sondern etwas Eigenes, möglichst Bodenständiges zu produzieren. Bereits 1968 wurde ihm ein Libretto von einem gewissen Peter Goldbaum vorgelegt. Der Stoff stammte von G. B. Shaw („Helden“ — „Arms and the Man“), die Liedertexte von Walter Brandin, die Musik von Udo Jürgens.

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Am Anfang stand der Plan von Direktor Kutschera, im Theater an der Wien nicht nur amerikanische Musicals nachzuspielen, sondern etwas Eigenes, möglichst Bodenständiges zu produzieren. Bereits 1968 wurde ihm ein Libretto von einem gewissen Peter Goldbaum vorgelegt. Der Stoff stammte von G. B. Shaw („Helden“ — „Arms and the Man“), die Liedertexte von Walter Brandin, die Musik von Udo Jürgens.

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Daraus wurde zunächst nichts, zumal das Libretto zu sehr von dem Shawschen Text abwich, der, laut Verfügung der Nachlaßwalter, zu mindestens 70 Prozent erhalten bleiben mußten. — Also wurde ein neues Team zusammengestellt: der Schweizer Hans Gmür (Nebelspalter, Weltwoche, Anabelle) schrieb das Buch, der deutsche Satiriker Eckart Hach-feld und Walter Brandin (deutsche Fassung von „Porgy and Bess“, „Hair“ u. a.) die Liedertexte — und Udo Jürgens die Musik. Das Arrangement stammt von dem in Budapest lebenden Andros Bagya und dem Wiener Karl Kowarik.

Man sieht: viele Köche haben an diesem Brei mitgekocht, und es kamen noch einige weitere Mitarbeiter hinzu, bis er serviert werden konnte.

Und wie schmeckt er?

Nachdem bei der Galaaufführung am vergangengen Freitag die „geballte Wiener Prominenz“ (so Österreichs auflagengrößte Tageszeitung) das neue Werk bejubelt hatte, gaben auch die Spitzen von Partei und Staat — die Wehrmacht hat sich noch nicht zu Wort gemeldet — ihr enthusiastisches Urteil ab. Als Prominentester der Herr Bundespräsident: „Wenn man in 50 Jahren von den Premieren im Theater an der Wien sprechen wird, dann wird man ganz bestimmt an erster Stelle .Helden, Helden' nennen.“ — Zum Dank für den offiziellen Empfang im Rathaus und das Lob von höchster Stelle hatte sich dann Herr Udo Jürgen Bockelmann, als er am folgenden Abend, der eigentlichen Premiere, vor den Vorhang trat, eine rote Nelke angesteckt.

Uber diesen „Troubadour der milden Mitte“ ist sich, wie die deutsche Zeitung „Heim und Welt“ schreibt, „die Nation einig“. Ein großes Wort. Und dem Herrn Bundeskanzler Kreisky kommen, laut eigener Aussage, die besten Ideen, wenn er Udo-Jürgens-Platten hört. Kein Wunder, daß da auch das Fußvolk aller Lager und Schichten mitmarschiert: angeblich sind mehr als die Hälfte der Karten für die 91 vorgesehenen Aufführungen im Theater an der Wien bereits verkauft.

Rebus sie stantibus hat der Kritiker eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Da er den Erfolg dieser „Helden“ weder bremsen noch fördern kann, hier nur einige kurze Informationen:

Das Stück hat zwei Akte mit je neun Musiknummern (Szenen) und eine Gesamtdauer von drei Stunden. Auf der gut funktionierenden Drehbühne sind von Gerhard Hruby lustige Bühnenbilder aufgebaut, in denen sich die vielen Akteure und das Ballett in freundlich-bunten Kostümen von Maxi Tschunko unter der routinierten Regie von Rolf Kutschera bewegen. Der Leutnant Saranoff mit goldenem Helm und ebensolchem Brustpanzer, unter wallendem weißen Mantel ein zweiter Lohengrin, fällt besonders auf. Ansonsten ist das Optische durch bulgarisch-serbische Folklore bestimmt. Von ihr profitieren auch die besten Musiknummern: das Männer-chorensemble des 1. Bildes sowie die Finalsätze des 1. und 2. Aktes. Der letztere scheint auch unter dem Gesichtspunkt „Applausregie“ angelegt zu sein. Doch auch das muß man können. Sowohl der Regisseur Kutschera wie der Choreograph Todd Bolender haben das glänzend gemacht.

Im Ensemble, das von Stefan Sol-tesz sauber einstudiert wurde, sind schauspielerisch eigentlich alle gut: Peter Branoff als Major Petkoff und Julia Migenes als Dienstmädchen Louka lassen auch schöne, starke Stimmen hören. Irmgard Seefried spielt entfesseltes Theater, Gabriele Jacoby bleibt als Raina merkwürdig blaß und geziert, Louis Riess spielt virtuos einen unangenehmen Schnösel von Leutnant, Ossy Kolmann ist ein überaus menschlicher, liebenswerter Diener. Aber der unheldische Held des Abends ist Michael Heitau, der verlegen, nachdenklich und unerschüttert in bestem Schwyzer-Dütsch den Hauptmann Bluntsohli artikuliert. Er hat zwar wenig zu singen, aber Charme für drei und ist der eigentliche Gewinn dieser Aufführung.

Und die Musik? Was ist mit dei Musik dieses Musicals? Schon vergessen. Obwohl sie Johannes Fehring mit dem hauseigenen Orchestei nicht nur mit Elan, sondern auch mi feiner Hand für Lyrismen interpretiert hat ,

Der weitere Weg der „Helden“, zumindest in den nächsten Etappen, is' bereits vorgezeichnet: Im Februai 1973 werden die Kostüme und Dekorationen nach Hamburg verfrachtet von dort kommen sie ins Theater des Westens nach Berlin — und wenn sie dann noch brauchbar sind, werden wir sie in einer zweiten Aufführungsserie im September/Oktobei 1973 im Theater an der Wien wiedersehen. Vielleicht ist die Musik bis dahin besser geworden. — Eine Schallplattenfirma, die zur Premien angeblich 150 deutsche Journalister zur Uraufführung nach Wien eingeflogen hat, hofft, ihre Erzeugnisse mil der Premierenbesetzung noch aui den Weihnachtsmarkt werfen zu können ...

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