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Der Nachlass der Kunsthistorikerin und Schriftstellerin Lilly Sauter, geboren 1913 in Wien und 1972 in Innsbruck verstorben, gelangte 2004 an das Brenner-Institut. Sie war 1950 bis 1958 Mitarbeiterin am Innsbrucker Institut Français und seit 1962 Kustodin auf Schloss Ambras. Hier organisierte sie die Sammlungen völlig neu und gründete die bis heute bestehenden Ambraser Schlosskonzerte.

Kunst und Intimsphäre

Nun liegt als erste Frucht der Arbeit am Nachlass der Band "Mondfinsternis“ vor, der die beiden Interessen Sauters vereint: das Thema ist überwiegend die Kunst, das Medium ist die Literatur. Versammelt sind Novellen, Erzählungen, Bildgedichte, verstreut erschienene Lyrik und Prosastücke, Zeitungs- und Katalogtexte. Darunter ist auch eine autobiografische Erinnerung, die den sozialen Kontext Sauters zeigt: Das 18-jährige Mädchen nimmt im Paris des Jahres 1932 kurzerhand ein Taxi, um zu Kokoschkas Villa am Stadtrand zu gelangen.

Was die Lyrik betrifft, scheint sie dem heutigen Leser von sehr weit herzukommen, einzelne Verse und Bildideen lassen freilich immer wieder aufhorchen. Unter den Erstveröffentlichungen aus dem Nachlass ist auch einer der wenigen der Literatur gewidmeten Texte, es ist die etwas gewunden formulierte Einbegleitung aus dem Jahr 1957 zu einer Lesung Ingeborg Bachmanns, die für Sauter auf der Suche nach einer "höheren Heimat“ ist. Auch die längste und titelgebende Künstlernovelle entstand 1957. Sie beantwortet die Frage, ob Kunst über dem Schutz der Intimsphäre stehe, negativ. Damit die Familienlüge der alten Herrschaft auf Castell‘alto erhalten bleiben kann, stimmt die Erzählerin und Kunstkuratorin der Vernichtung aller im Haus erhaltenen Blätter eines fiktiven Malers zu. Mit den verräterischen Zeichnungen verbrennt der einzige Beweis des Ehebruchs der verstorbenen Magda, und so muss niemand sein verklärtes Bild von ihr revidieren.

Es fällt schwer, diese Erzählung im Rückblick nicht politisch zu interpretieren. Künstlerparabeln waren in den 1950er-Jahren, als man die jüngste Vergangenheit nur symbolhaft verschoben anzusprechen wagte, ein beliebtes Mittel, das Verschweigen der historischen Schuld mit Humanität zu überschreiben. Ein Satz wie: "Und ich erkannte von neuem, was mich immer von neuem erschreckt, daß jeder Schritt uns hineinträgt in Verantwortung für die Menschen neben uns“, ist eine der zeittypischen Formeln, um die verhängnisvollen Verstrickungen im Nationalsozialismus nicht konkret ansprechen zu müssen.

Über Geschichte wird geschwiegen

Vielleicht liegt diese Interpretation vor allem dann nahe, wenn man Sauters 1951 erschienenen und seither nie wieder aufgelegten Romanbericht "Ruhe auf der Flucht“ aus den Tagen der Befreiung daneben hält. Für die Hauptfigur Barbara liegt hier das Übel weniger im Faschismus, denn in der Rücksichtslosigkeit der Lebensmittel plündernden Frauen als Zeichen einer "Auflösung, die keinen bestimmten Namen trug“. Dass Onkel Ferdinand regelmäßig den "Feindsender“ BBC gehört hat, scheint ihr eine Art "Indianerspiel“. Barbaras ganzes Mitleid aber gehört jenen ganz jungen Soldaten, die hier gelandet sind und es ihrerseits empörend finden, dass sie wegen ihrer treudeutschen Uniformen verachtet werden. "Es geht viel an den Buben aus“, man kann sie vielleicht vor physischen Racheakten der Bevölkerung schützen, nicht aber vor Spott und Hohn, überlegt Barbara, ohne dass dabei ein Gedanke an die Opfer der Schoa auftauchen würde. Zumindest wird er - wie in der Novelle "Mondfinsternis“ - nicht ausgesprochen, und damit fügt sich Sauters Prosa mit ihrer allgemeinmenschlichen Verbrämung nahtlos dem Schweige-Konsens der 1950er-Jahre ein.

Mondfinsternis

Ausgewählte Werke von Lilly Sauter Herausgegeben von Karl Zieger und Walter Methlagl Haymon Verlag 2013.

280 Seiten, gebunden, e 24,90

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