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Ein Wiener Bohemien

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Die Abstempelung eines Künsders, wie dies besonders eine vergangene Literaturgeschichtsschreibung liebte, hat für uns Österreich im allgemeinen und Wiener im besonderen — der Großteil der Geschichtswerke war ja- von „Kleindeutschen“ oder, was auf dasselbe hinauslief, von „Großdeutschen“ geschrieben — eine bedauerliche Folge gehabt. Wie es Stelzhamer erging, der, wenn überhaupt irgendwo erwähnt, als besserer Bummler figurierte, so kaum anders dem „Wiener“ Ferdinand Saurer. Viel dazu trug die Unklarheit der biographischen Quellen bei; erst in neuerer Zeit ist es durch eingehende Forschungen auch um Sauter heller geworden. Wir schrieben: „Wiener.*“ Eigentlich ist ja Sauter m

Werfen bei Salzburg (am 6 Mai 1804) geboren, aus einer gutbürgerlichen Familie; sein Vater war fürsterzbischöflicher Rat in Werfen, selbst künstlerisch — musikalisch — begabt; die Mutter stammte von Titt-monig bei Salzburg und war die Tochter eines Brauers. An ihr hing der Sohn mit großer Liebe; der Vater starb schon drei Jahre nach Geburt des Sohnes. In Salzburg, besuchte er mit wenig Erfolg das Gymnasium, er kam bis zur Fünften und wählte sich einen, wie er meinte, praktischen Beru'fi Handlungsgehilfe. Als solcher war er iflt Haag und in Wels tätig und kam da bereits mit der Literatur in Berühnrng. Aber schon rührten sich die zwei verschiedenen Lebens-stromungen in der Seele des Mannes: der Gegensatz zwischen der nüchternen, praktischen Tätigkeit und der Dichtung, die ihn während der kargen Mußestunden anzog, wurde überaus mächtig, alles Niederzwingen dieser wehmütigen Stimmungen nützte nichts. So faßte er den Entschluß, im Herbst 1825 nach Wien zu gehen, wo er eine Stelle bei der „Klein-Neusiedler Papierfabrik“ bekam. Trotz der wenig ebenbürtigen Stellung fand Sauter, wie dies neuerdings erwiesen wurde, Anschluß bei den namhaften Dichtern seiner Zeit, wie Anastasius Grün, Johann Nepomuk Vogl, Johann Gabriel Seidl, Nikolaus Lenau und Friedrich Halm. Schwind hat ein Bild von Sauter gemalt. Für sie alle hat er eine aufrichtige Verehrung empfunden, vor allem auch für Grillparzer,. auf den er in der Künstlergesellschaft „Con-cordia“ einen Toast mit dAi Verszeilen „Viel dankt dir die Zeit, die flache, du ihr wenig oder nichts“ ausbrachte. Auch für die Musik hat er zeitlebens ein großes Empfinden gehabt. Das aufgefundene Gedicht anläßlich Josef Lanners Tod und die Worte zum Vokalchor, der am Jahrestag des Hinscheidens Beethovens gesungen wurde („Und das Leben wird zum Klang“), spreche dafür.

In die Wiener Öffentlichkeit trat Sauter Mitte der Dreißigerjahre mit Gedichten in Almanachen und Zeitschriften, aber auch, und das ist seine Eigerart, mit Flugblättern. Leider sind viele dieser Gelegenheitsdichtungen verlorengegangen, flogen über die Tische der Wiener Vorstadtgasthäuser des Lerchenfelds und seiner „Blauen Flasche', des Hernais- Weinhauses, oder über die Voglsche Tafelrunde in „Carls Gasthaus“ in der Mechitaristengasse. Die Lebensweise Sauters war so, daß er um acht Uhr aufstand, im Kaffeehaus frühstückte, Zeitungen las, dann ins Büro ging, Mittag im Michaeler Bierhaü's war, dann ins Cafe1 National ging, um wieder das Amt aufzusuchen. Nach fünf Uhr kam er abermals ins Kaffeehaus, der Abend gehörte den Gasthäusern des Lerchenfelds. Die ungeregelte Lebensweise färbte auf das Äußere dos Mannes ab, trotzdem sich die Freunde um ihn bemühten, sank er immer tiefer. Am 28. Oktober 1854 starb er an der Cholera, wurde im Hernalser Friedhof beigesetzt und von dort später in ein Ehrengrab auf den neuen Hernalser Friedhof überführt.

Sauter hat seine Werke nie gesammelt. Stifters Verfeger, Henckenasth in Pest, erbot sich über Stifters Einschreiten, Sauters Werke zu verlegen; aber die bemerkenswerte Selbstkritik — er meinte, von den 200 seiner Gedichte wären nur 60 des Druckes wert — verhinderte dies. Julius von der Traun hat dann nach dem Tode Sauters die erste Ausgabe veranstaltet, Karl von Thaler folgte und verdienstvolle Arbeiten Wegmanns, Dr. Waches, Rudolf Holzers, Hieronymus Lorms, Ludwig August Frankls, Friedrich Schlögls haben viel zur Kenntnis des Sauterschen Wesens beigetragen; leider war — wie übrigens auch im Falle Stelzhamer — die heimische Literaturgeschichte (Nagl-Zeidler) zu knapp und die Einreihung in das Volks-sängertum hat die schiefe Bummlerbetrachtung unterstützt. Übrigens ist 1917 ein Bühnenstück mit Alexander Girardi als Sauter (von Rudolf Holzer) erschienen. Die erste Gesamtausgabe der Gedichte Sauters hat erst 1918 Wilhelm Börner gesammelt.

Was uns an Sauter fesselt, ist die tiefe Empfindung für die Sprache seiner Zeit, die Volksverbundenheit: wer weiß, ob überhaupt seither je ein Poet so ins Volk gedrungen ist. Sauter war von der Tragik seiner Zeit und Umgebung gezeichnet: die Wohllebenheit nach den Barrikaden von 48, selbst aber im besdiaulichen Biedermeier wurzelnd, nicht charakterstark, aberursprünglich von sozialem Empfinden und erfüllt mit einer unerschütterlichen Liebe für Wien und Österreich. Die Lyrik Sauters, ist impressionistisch, die Gefühlskomponente stärker als die gedankliche, betrachtende; wehmütig und oft verzweifelt, weil der Dichter sich bemühte, aus der Wirrnis seiner Lebensart herauszukommen. Irgendwelche Einflüsse auf das Schaffen Ferdinand Sauters — mit Ausnahme seiner Shakespeareverehrung und der Liebe für Goethe und die befreundeten österreichischen Dichter — sind eigentlich kaum nachzuweisen. Ob es, wie man meint, wirklich zutreffend st, Sauter als einen „ins Wienerische übersetzten Heine“ zu nennen, muß dahingestellt bleiben; hiefür fehlt ihm vor allem, trotz aller Satire, die Gottesleugnerschaft, die politische Aggressivität, die publizistische Wirksamkeit. Viel eher mag er als Seidls Genoß gelten, als ein Stelzhamer in Wien (den Oberösterreichern zog es ja auch an die Donau), als ein liebenswürdiges, zartes, wenn auch kleines Bild auf einer Bk dermeierkommode, eine alabasterne Standuhr, die nicht mehr die Zeit hält, ein erster Akkord jener beglückenden, mit dem Tode Johann Strauß' Sohn beendeten Periode des Wienertums.

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