Von Ohrschliefern und Menschen Titel

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In Giesberts düsterem Universum geht es bei den Menschen so zu wie bei den Tieren.sdfsdf

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In Giesberts düsterem Universum geht es bei den Menschen so zu wie bei den Tieren.sdfsdf

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Meiner Normandie" hat der Chefredakteur des "Figaro", Franz-Olivier Giesbert, seinen jüngsten Roman gewidmet. Das Buch heißt sehr symbolisch "Die Suhle", der Ich-Erzähler noch symbolischer Jesus. Das ist zwar sein zweiter Vorname, aber nachdem das "schließlich doch herausgekommen" ist, wird er nur noch so gerufen. Und eine weitere Hauptfigur heißt Epiphanie. Wo es derart symbolisch, symbolischer, am symbolischesten zugeht, ist erfahrungsgemäß ein gewisses Maß von Vorsicht angesagt.

Solche Vorsicht erweist sich beim Lesen des äußerst erfolgreichen Romans, der von der französischen Kritik in den höchen Tönen gepriesen wurde, zwar nur zum Teil, dies aber doch sehr wohl, gerechtfertigt. In Frankreich wurden davon immerhin 200.000 Exemplare verkauft. Einerseits ist das Buch ja auch leicht und schnell zu lesen, andererseits gibt es sich philosophisch. Es ist, in guter, durchaus moderner, auch durchaus französischer Tradition, ein Dorfkrimi mit literarischem Anspruch. Diesen meldet der Autor an, indem er die Geschichte einerseits ziemlich traurig ausgehen läßt, andererseits und vor allem aber, indem er einen zweiten Handlungsstrang einführt, der auf der Ebene der Ameisen und Ohrschliefer, der Kaninchen und Hasen, der Igel und Füchse spielt und der sich schließlich in der Geschichte des alten Ebers und der Jäger mit jener der Menschen verflicht.

Auf der tierischen Ebene wird man, als Ameise, unabsichtlich von einem Menschen zertreten, ansonsten frißt man und wird gefressen. Letzteres, so man eine Schnecke ist, auf hübsch ausgeführte Weise während eines langwierigen Schnecken-Liebesakts. Auf der menschlichen Ebene wird man zur Schnecke gemacht, beispielsweise durch plötzliche Rückforderung eines Kredits. Auf der tierischen Ebene signalisiert Giesbert dem blinden Leser mit dem Krückstock, soll heißen: so überdeutlich, daß es schon etwas ermüdet, wie er das Abgleiten der Liebesgeschichte des zuerst sehr schüchternen Bauernsohnes Maxime in eine traditionelle Prügelehe verstehen soll. Und das Verhalten der Schloßherrin, die ihre dienstbaren Geister ausbeutet und kränkt. Und des frustrierten Maxim Brutalität auch gegenüber den Tieren. Und die schnelle Schuldzuweisung durch den Dorftratsch. Und so weiter. Die beiden Morde, oder mindestens deren einer, gehen hingegen auf das Konto einer höheren Gerechtigkeit. Wer die repräsentiert, erfährt der Leser erst spät, falls er es nicht schon erraten hat, also lassen auch wir ihn lieber zappeln.

Jesus ist Knecht auf Maxims Hof, kriegt aber ein Buch von Spinoza zwischen die Finger und liest es auch. Diese Figur ist, weil sie das Geschehen aus einem seltsamen Mittelding zwischen Die-Welt-von-oben-Sehen und Die-Welt-von-unten-Sehen berichtet, tatsächlich eine interessante erzählerische Erfindung. Dabei entsteht eine Art Schwebezustand zwischen Rechten mit Gott und Hinnehmen der Welt, wie sie ist.

Es gibt auch eine Gegenwelt. Das ist die der armen, am Rande der Gesellschaft lebenden, ein bißchen diebischen, ein bißchen einbrechenden, ansonsten aber sympathischen Papavoines, die in diesem düsteren Roman sozusagen der Lichtblick sind. Und es gibt, diesseits des Randes, eine weitere positive Figur, nämlich den Pfarrer, bei dem die geprügelte, unter falschen Verdacht geratene, auch sonst geschlagene Epiphanie schließlich als Köchin unterschlüpft: Ein Schmetterling, dem das Leben allen Glanz von den Flügeln abgewaschen hat.

Der Rezensent ist weit davon entfernt, in den hymnischen Chor der französischen Kritiker einzustimmen, hat das Buch aber doch in einer halben Nacht gelesen. Was Giesbert schon vorher dem Blinden mit dem Krückstock eingebläut hat, faßt er zuletzt in dem Fazit zusammen, daß sich das Universum "ohne Anfang und Ende vorwärtsbewegt und alles auf seinem Weg vernichtet, die Starken wie die Schwachen, die Schuldigen wie die Unschuldigen, um sein Schicksal zu erfüllen. So ist das Wort." Das ist fast ein philosophischer No-na-Satz. Ein Satz, dem eine gewisse Trivialität anhaftet. So, wie dem ganzen, immerhin brillant geschriebenen Buch.

Die Suhle Roman von Franz-Olivier Giesbert, Übersetzung: Natalie Freund, Verlag Picus, Wien 1997 240 Seiten, geb., öS 291,

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