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Aufgewärmter Antisemitismus

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Jeweils am 1. Jänner eines jeden Jahres übernimmt in der Schweiz ein neuer Bundespräsident die Amtsgeschäfte. Er ist allerdings nicht eigentliches Staatsoberhaupt, sondern eher der Vorsitzende des kollegial regierenden Ministerrates, und er behält auch während des Präsidialjahres sein Ressort als Fachminister inne. Insofern hat der jährliche Turnus keine allzu große Bedeutung.

Bundesrat Ludwig von Moos, Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, also der Justizminister der Schweiz, wird aber sein am letzten 31. Dezember zu Ende gegangenes Präsidentenjahr nicht so schnell vergessen. Die „Neue Linke“ hat ihm zwei Tage vor der „Machtübergabe“ die Suppe gehörig versalzen. Die linksstehende Monatsschrift „Neutralität“, deren Redakteur Ignaz Vogel kürzlich ein Drittel des Friedrich Dürrenmatt überreichten Berner Literaturpreises erhalten hat, veranstaltete eine Pressekonferenz, auf welcher dem damals noch amtierenden Bundespräsidenten von Moos Antisemitismus während der Jahre 1935 bis 1942 vorgeworfen wurde. Zum Beweis legte man Ausschnitte jener kleinen Lokalzeitung „Ob-waldner Volksfreund“ auf den Tisch, deren einziger Redakteur Ludwig von Moos in Jenen Jahren gewesen ist.

Unter dem 29. Februar 1936 hieß es dort:

„Muß man sich wundern, wenn das schweizerisch empfindende Volk geradezu von Wut erfaßt wird, wenn es sieht, wie ein Ostjude am anderen, sozusagen am laufenden Band in unser Bürgerrecht schlüpft, während Leute mit altbewährten ehrsamen Schweizer Namen stempeln oder-entsuxendern müssen?“ ■ - B^tsras Am“ 21. Juli 1937 schrieb der „Ob-waldner Volksfreund“: „... wo die Juden ernstlich Fuß fassen, wächst für die Christen wenig Gras mehr..

Und vom 7. August 1937 stammt folgendes Zitat:

„In den friedlichen Mauern Zürichs, in der neutralen Schweiz, finden also Tagungen des Weltjudentums von hochpolitischer und aktuellster Bedeutung statt. Es ist bedauerlich, daß unsere Behörden die Gefährlichkeit solcher weltpolitischer Kongresse nicht einsehen ...“ Bundespräsident Ludwig von Moos hat sich gegen die Vorwürfe gewehrt, indem er die aufgeführten Zitate als „aus dem Zusammenhang gerissen“ bezeichnete und darauf hinwies, daß er zum Beispiel im Anschluß an die „Reichskristallnacht“ vom November 1938 entschieden gegen die antisemi-

tischen Ausschreitungen Stellung genommen habe.

NS - Weggenossen...

Dies alles war vorauszusehen. Zitate und Gegenzitate. Das wahre Problem liegt tiefer. Ludwig von Moos, 1910 in der Zentralschweiz geboren, war als junger katholischer Politiker der dreißiger Jahre von der ständestaatlichen Idee besessen. Die Statuten des „Jungkonservativen Bundes“ seiner engeren Heimat Obwalden, datiert vom 25. März 1934, tragen

seine Unterschrift. Sie sind in einem Stil geschrieben, der katholisches Gedankengut mit dem In Deutschland eben an die Macht gelangten Nationalsozialismus zu. vereinen schien.

Damit aber gelangten nicht nur Ludwig von Moos selbst, sondern mit ihm andere bürgerliche Parteiorganisationen in bedenkliche Nähe der sogenannten „Nationalen Front“, der Gruppierung der schweizerischen Nationalsozialisten. Auf jeden Fall bezeichnete Ludwig von Moos diese Organisation am 11. April 1934 als „uns nahestehend“ und schon am 28. Oktober 1933 hatte er sie ausdrücklich „als Weggenossen“ begrüßt.

Soweit liegen die Dinge klar, genau wie auch feststeht, daß Ludwig von Moos im Laufe der Jahre wieder zur demokratischen Gesinnung zurückgefunden hat. Die Frage bleibt offen, warum die „Neue Linke“ ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt gegen einen Magistraten geschossen hat, der bereits zehn Jahre in der Regierung

sitzt und dessen „Jugendsünden“ seit langem bekannt sind. Schon vor seiner Wahl in den Bundesrat, im Dezember 1959, war diese „Vorgeschichte“ Traktandum heftiger Diskussionen. Und auch später wurde diese „Vergangenheit“ nochmals aktenkundig, als der Protokollchef des Außenministeriums im Beisein von Bundesrat von Moos antiisraelische Äußerungen machte, ohne daß der Minister interveniert hätte. Israelitische Organisationen haben die Vergangenheit von Ludwig von Moos genau unter die Lupe genommen. Sie fanden, daß diese Vergangenheit zwar über gewisse Abschnitte leicht bräunlich angehaucht war, daß aber von einem eigentlichen Antisemitismus nicht die Rede sein könne. Die „Neue Linke“ will sich jetzt offenbar päpstlicher zeigen als der Papst — oder besser: anti-antisemitischer als die Juden selbst! Man wittert dahinter ganz einfach politische Schachzüge, die mit den erhobenen Vorwürfen nichts zu tun haben, und eine solche hinterhältige Attacke wäre verwerflich.

Wem vergibt man?

Das Problem, bis zu welchem Grad politische Irrtümer zu verzeihen und dem Irrenden eine Chance zu neuen, besseren politischen Taten zu geben sei, besteht nicht nur in der Schweiz, aber die Schweiz ist — wie das Beispiel von Moos beweist — davon nicht verschont. Man kann sich zu diesem Problem stellen, wie man will; so oder so muß die Stellungnahme aber eine gerechte sein, wenn sie ernst genommen werden soll. Das bereits zitierte „Hamburger Echo“ erwähnte in seinem Bericht vor zehn Jahren, daß der verdiente Führer der Sozialdemokratie, Walther Bringolf, nur deshalb nicht Bundesrat wurde, Weil er einmal Kommunist gewesen sei, wogegen die politische Vergangenheit einem Ludwig von Moos nicht angekreidet wurde. „Man sieht“, hieß es weiter im „Hamburger Echo“, „auch in der Schweiz zieht McCarthy noch seine Kreise und man verzeiht einem früheren Extremisten von rechts dessen Fehler leichter als einem solchen von links.“ Soweit hatte das „Hamburger Echo“ recht. Nur darf die „Neue Linke“ ihrerseits nicht in den gleichen Fehler verfallen. In Wirklichkeit verzeiht sie nämlich jenen Leuten, die vor und während des zweiten Weltkrieges mindestens so weit rechts standen wie Ludwig von Moos, die Vergangenheit großzügig unter der Voraussetzung, daß diese jetzt ganz links hinübergewechselt haben. Wer nur zur demokratischen Mitte zog, dem bleibt diese Gunst versagt.

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