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Das Gespenst China

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Bei einer von sowjetischer Seite nicht behinderten Zusammenkunft west-und osteuropäischer Politiker, Diplomaten, Universitätsprofessoren und freischaffenden Publizisten in Grundlsee wurde offen eine von Ideologien unabhängige engere Zusammenarbeit west- und osteuropäischer Staaten angestrebt. Auf dieser von der Öffentlichkeit nur unzureichend beachteten Tagung, zu der der Verfasser dieses Artikels eingeladen worden war, bestätigte auch ein offizieller Vertreter Rumäniens den Standpunkt seines und „anderer sozialistischer Länder“, daß „die Teilung der Welt in Militärblocks einen Anachronismus darstellt und ein Hindernis auf dem Wege zu staatlicher Zusammenarbeit bildet“. ,

Kann man Rotchina bezwingen?

In aller Welt und auf den verschiedensten Ebenen ist heute Rotchina bemüht, den Moskauer Planungen entgegenzuarbeiten und den Einfluß der Sowjetunion zu unterhöhlen. Auch bezüglich Europa hat Mao Tse-tung selbst erklärt, daß er das zwischen den USA und der Sowjetunion liegende Europa als „dritte Kraft“ betrachte, die sich „im eigenen Interesse“ von den „Bevormundungen“ der Supermächte lösen sollte. So spürt auch Europa die Folgen des Machtkampfes der kommunistischen Großmächte. Er tobt heute am heftigsten in der innerasiatischen Pro-

vinz Sinkiang, wo, nur wenige hundert Kilometer von den Grenzen Sowjetasiens entfernt, die rotchinesischen Atomanlagen und fast das ganze Uranvorkommen und die Hälfte der Ölquellen Chinas liegen. Nach Schätzungen japanischer Nachrichtendienste und japanischer Experten, von denen immer wieder die zuverlässigsten Angaben über die chinesische Atomaufrüstung stammen, kann Rotchina heute schon etwa hundert Atombomben vom Hiroshima-Typ im Jahr herstellen, und außerdem noch einige Wasserstoffbomben mit einer mehreren hunderttausend Eiseiibahnwaggons konventionellen Sprengstoffs gleichkommenden Sprengkraft.

Die nukleare Macht der Sowjetunion ist nach Schätzungen von Sachverständigen ungefähr tausendmal größer. Da ihr ungehemmter Einsatz zur Vernichtung Rotchinas, zur Unbe-wohnbarkeit der ganzen Erde einschließlich der Sowjetunion führen würde, rechnen die Pekinger Machthaber offenbar nicht mit der Ingangsetzung eines totalen Atomkrieges, treffen aber vor der Weltöffentlichkeit in anderen Ländern nur wenig bekannte umfassende Vorbereitungen für die Abwehr gegen einen beschränkten Atomkrieg (Anlage der wichtigsten Kommandostellen bis zu hundert Meter unter der Erdoberfläche, die unauffällige Evakuierung der wertvollsten Bevölkerungsele-

mente aus den Großstädten und die Schaffung autarker Siedlungszentren in den entlegensten Gebieten Chinas). Außerdem werden besonders wichtige Anlagen einschließlich der Atombombenfabrikationszentren in Sinkiang zur Irreführung der gegnerischen Luftaufklärung durch “ die Anlage zahlreicher ihnen ähnlicher Scheinbasen getarnt. Auch ein beschränkter Atomkrieg könnte daher Rotchina nicht in die Knie zwingen, ebensowenig wie der umfassendste Einsatz konventioneller Waffen, der nur zu einem endlosen und aussichtslosen Abnützungskrieg führen würde. Daher sprechen gute Kommentatoren bezüglich der Möglichkeiten einer Besiegung Rotchinas durch die Sowjetunion von der „Ohnmacht der Ubermacht“. Gerade diese „Ohnmacht der Übermacht“ scheint heute manche Pekinger Führungspersönlichkeiten dermaßen zu beeindrucken, daß sie glauben, sich die verschiedensten Überheblichkeiten leisten zu können, fast ebenso wie jener chinesische Kaiser, der zur Zeit als England die größte Weltmacht der Erde war, dem „kleinen König von England“ mitteilen ließ, daß er „von ihm nichts halte“ und als Herrscher des „Reiches der Mitte“ nicht einmal seine Vertreter empfangen wolle.

„Sowjetrußland“, erklärt die Pekinger Propaganda, „verfolgt heute anderen Ländern gegenüber eine

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