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Das Recht auf Auswanderung

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Es ist bemerkenswert, wie die öffentliche Meinung westlicher Länder auf Verletzung von „Menschenrechten“ reagiert. Dieser Begriff hat neue und lebendige Bedeutung gewonnen, seit die Vereinten Nationen eine eigene Kommission zu seiner Entwicklung eingesetzt haben, in deren Entwurf auch die Auswanderung als ein Recht anerkannt wird, das von keiner Regierung verletzt werden dürfe.

Es ist immer nützlich, das „Soll" und „Haben“ der Kulturbilanz einer Zeit zu vergleichen. Vor weniger als hundert Jahren hat der Justizminister der Vereinigten Staaten, Jeremiah L. Black, in seinem Bericht an seinen Präsidenten geschrieben:

„Die meisten und größten Völkerrechtslehrer stimmen mit Cicero überein, der das Recht auf Auswanderung als die festeste Grundlage menschlicher Freiheit hinstellte, und mit Binkershock, der nachdrücklich bestreitet, daß das Gebiet eines Staates zum Kerker seiner Bevölkerung werden dürfe… In den Vereinigten Staaten darf der Gedanke an die Preisgabe dieses Grundsatzes auch nicht einen Augenblick lang auftauchen. Unter ihm wurde unser Land bevölkert, ihm schulden wir unsere Existenz als Volk… Ihn preisgeben oder ihn auch nur um ein Jota einschränken, wäre ein Verrat, der jeden Amerikaner mit dem Gefühle unerträglicher Schmach erfüllen müßte.“

Das war die Auffassung einer Periode, die in der Praxis, wenn auch nicht in der Theorie, mit 1914 abschloß. Bis dahin konnte jeder Mensch, der kein Verbrechen begangen hatte und keine Militärpflicht verletzte, un1 gehindert und ungefragt jedes Land d' eses Erdballes verlassen und sich in jedem anderen Lande niederlassen — nur Rußland und die Türkei ausgenommen. Diese Freiheit des Verkehrs von Menschen, wie von Gütern und Geld, war eine der Hauptursachen des wirtschaftlichen Aufstiegs jener Epoche.

Nach zwei Abstürzen in der Kulturentwicklung sehen wir, daß es auch nach dem Verschwinden Nazi-Deutschlands Staaten gibt, die ihre Bürger — oder jene, die lie zwangsweise zu Bürgern ernennen — als ihr Eigentum reklamieren; die verheiratete Frauen nicht ihren Gatten folgen lassen wollen, weil sie ihre Kinder für ihre, nicht für die Heimat ihrer Gatten zu gebären verpflichtet seien; die ihrer Bevölkerung das Verlassen des Staatsgebietes verbieten, es also so „zum Kerker seiner Bevölkerung“ machen, und sich sogar das Recht anmaßen, Ausgewanderte gegen deren Willen zur Rückkehr in die Heimat zu zwingen.

Verzeinzelte Vorfälle zeigen gleichzeitig, daß die Freiheit der Auswanderung noch nicht im Rechtsbegriff aller Völker fest verankert ist. Sie umfaßt als den minderen Begriff auch das Recht auf Ausreise. Lateinamerikanische Länder haben zuerst das Ausreisevisum erfunden, das sich wie eine Seuche auf viele Länder erstreckte und, mitunter willkürlich oder bürokratisch verweigert oder verzögert, wie eine Ausreise- und Auswanderungssperre wirkt. Australien hat Arbeitern und Angestellten, die auf den pazifischen Inseln und in Japan arbeiteten, nur kurzfristige Reisepapiere ausgestellt, um sie so zur baldigen Rückkehr in die Heimat zu zwingen, damit sie die im Ausland verdienten Dollar dem heimatlichen Staatsschätze abliefern — als ob Devisenrecht vor Menschenrecht ginge. Die Vereinigten Staaten haben in vereinzelten Fällen Bürgern Pässe — allerdings nur zeitweise — verweigert, die sich zu einem von der Regierung nicht gebilligten Zwecke ins Ausland begeben wollten. In der zu Unrecht angegriffenen Mundt-Bill ist nur der eine Schönheitsfehler enthalten, daß dieses Vorgehen im amerikanischen Rechte verankert werden soll. Auch der von einer Regierung ins Ausland Geschickte hat selbstverständlich das Recht, die Rückkehr zu verweigern und sich im Lande seiner Wahl niederzulassen, wie von den Vereinigten Staaten zutreffend anerkannt wurde, als ein Angestellter ihrer Mission ir Moskau den Wunsch äußerte, sich in Rußland niederzulassen. Damit wurde ein wertvolles Präjudiz für Ereignisse der letzten Zeit geschaffen. Und schließlich — wer hat das Recht, entwurzelte Menschen, die kein Verbrechen begangen, sondern nur Leid erlitten haben, auch nur einen Tag länger an einem Zwangsaufenthalte festzuhalten, sobald sie die Möglichkeit der Niederlassung in irgendeinem Lande erlangt haben?

Gewiß ist das Recht auf Auswanderung ein Heft ohne Klinge, wenn ihm nicht die Möglichkeit der Einwanderung in ein anderes Land gegenübersteht. Aber in zahllosen Fällen ist die Klinge da und kann nur wegen willkürlicher Verweigerung des Heftes nicht gebraucht werden.

Die richtige Auslegung des nunmehr von dem Ausschüsse der Vereinten Nationen an erkannten Grundsatzes der Freizügigkeit, die im Einklänge mit den Lehren hervorragender Völkerrechtler steht, ist die, daß keine Regierung ihrem BürgerdasAus- weispapier verweigern darf, das er zu seiner freien Bewegung ins und im. Auslande benötigt. Tut sie es, so löst sie damit das Schutzverhältnis zu ihm. Der Aufenthaltsstaat ist dann verpflichtet — wie es viele amerikanische und einige westeuropäische Staaten tun —, ihm ein Reisedokument auszustellen, mit dem er sich frei in allen Ländern bewegen kann, die, entsprechend dem Grundsätze der Freizügigkeit, solche Dokumente anerkennen.

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