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Der Rücktritt des Staatspräsidenten Dr. Benes

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Im ersten Weltkrieg hatte Masaryk versucht, sich auf die Westmächte zu stützen. Als die erhoffte Hilfe ausblieb oder nur zögernd gewährt wurde, wandte er sich an die zaristische Regierung, die alsbald die mit den russischen Heeren kämpfenden tschechischen Legionen als Armee einer kriegführenden Macht anerkannte. Diese Deklaration war die Grundsteinlegung zur neuen Tschechoslowakei.

Obwohl der Osten die tschechischen Bestrebungen kräftiger unterstütz hatte als der Westen, erkalteten die Sympathien des tschechischen Volkes für Moskau. Nicht nur aus politischen Erwägungen heraus. Der Philosoph in der Prager Burg war sich dessen bewußt, daß das tschechische Volk im westlichen Kulturkreis gereift sei und daß die Zukunft des Volkes nur dann gesichert werden könne, wenn aus klaren kulturellen und geschichtlichen Gegebenheiten die nötigen politischen Konsequenzen gezogen werden. Dr. Bene?, Masaryks Lieblingsschüler, dachte nicht anders als sein Meister. Als Außenminister, als führendes Mitglied des Völkerbundes, als Präsident der Republik — immer stützte er sich vor allem auf den Westen. Die Kleine Entente war ihm nichts anderes als eine Kopie der Westmächte. Die Ereignisse im großen Rußland wurden mit innerer Anteilnahme registriert, die Gottwalds und Zapotockys fanden aber wahrlich im tschechischen Volke nicht sonderliche Sympathien. Engste Bindung mit dem Westen und der Kleinen Entente: das war das große Konzept Dr. Bene?’. Wenn wir in den Jahren 1937 und 1938 dem Präsidenten gegenüber Zweifel hegten, ob denn die Freundschaftsbeteuerungen aus Paris und London im Ernstfall die Probe bestehen würden, pflegte er energisch zu widersprechen. Er war davon überzeugt, sein Programm könne nicht Schiffbruch leiden, weil es philosophisch und geschichtlich untermauert sei.

Nach Hitlers Machtergreifung erkannte Bene? wie kein zweiter die drohenden Gefahren. Als Europäer und ab Tscheche wußte er, der Bestand des Friedens in der Tschechoslowakei müsse durch einen Ausgleich mit den deutschen Mitbürgern gesichert werden. Die tschechische Öffentlichkeit, die die Gefahren nicht erkannte, ahnte nicht, wie oft der Staatspräsident den tschechischen Führern widersprach, die von einem umfassenden Übereinkommen mit den Deutschen nichts wissen wollten.

Im zweiten Weltkrieg etablierte Bene? seine Regierung in London. Daß er die Stadt an der Themse wählte, war eine Überraschung. London und Paris hatten in der Stunde der Gefahr nicht nur das österreichische, sondern auch das tschechische Volk im Stiche gelassen. Aber trotz dieser bitteren Enttäuschung versuchte Dr. Bene?, die alte Allianz wieder anzuknüpfen. Aus rein politischen Erwägungen und vor allem getrieben von seiner Weltanschauung. Und dann brachen dennoch Bene? und Srämek ihre Londoner Regierungszelte ab und zogen nach Moskau. Das war einer der folgenschwersten Entschlüsse, die jemals von Führern eines Volkes gefaßt wurden. Was dann in der neuen Tschechoslowakei geschah — Vertreibung der Deutschen, radikale Enteignungen —, offenbarte den vollzogenen Bruch mit der Vergangenheit. Nach dem beispiellosen militärischen Zusammenbruch Deutschlands hätte Dr. Bene?, wäre er seiner früheren Überzeugung treu geblieben, seine größte Chance gehabt: er hätte als einer, der mitten im Kraftfeld der Entscheidungen stand, damals seinem Volke und Europa klarmachen müssen, der Feind von gestern sei einzugliedern beim Aufbau einer zerstörten Welt. Statt dessen finden wir Doktor Bene? an der Spitze der Rachegötter. E r gab das Signal für die unmenschlichen Aussiedlungen von Millionen Menschen.

In den Jahren 1945 bis 1948 versuchten die Westmächte, in der Tschechoslowakei das verlorengegangene Terrain wieder zurückzugewinnen. Sie waren in ihren Methoden wenig glücklich und alles war umsonst. Der Westen hoffte, Jan Masaryk und Bene? würden imstande sein, im letzten Augenblick das Steuer herumzuwerfen. Während der Staatskrisis im Februar 1948 schien es, als ob Bene? zu seiner Vergangenheit zurückfände. Er enttäuschte auch diesmal. Er entschied sich für den Osten, er sanktionierteita Staatsstreich. Hiefür trägt er vor der Geschichte die Verantwortung.

Wir wollen Benfes nicht als den allein Schuldigen bezeichnen. Die kommunistische Machtergreifung war vor allem deshalb möglich, weil die Führer der nichtkommunistischen Parteien beim Neuaufbau der Republik versagt hatten. Die Kommunisten arbeiteten wie besessen, die anderen aber raunzten. Auf der einen Seite Männer, die wegbewußt, die fanatisch auf ihr Ziel zustrebten, auf der anderen verbrauchte Menschen, die nicht wußten, was sie wollten. Mit ihnen war keine Schlacht zu gewinnen.

In den letzten Wochen sah Dr. Beneš aber doch, der jetzige Kurs könne seinem Volke zum Verhängnis werden. Beneš, der Testamentsvollstrecker Masaryks, erkannte, er habe das Gelöbnis gebrochen, das er seinem großen Vorgänger gegeben hatte.

Nicht aus Krankheit, sondern aus Verzweiflung, aus der F.rkenntnis: Wir sind einen falschen Weg gegangen! Aus dieser späten Einsicht heraus hat Benes sein Amt niedergelegt.

Das tschechische Volk ist nun führerlos. Die ergreifenden Abschiedsworte, die der Staatspräsident an sein Volk richtete, werden in den nächsten Wochen stündlich von den Lautsprechern überschrien werden. Es wird aber die Zeit kommen, da sich das tschechische Volk auf seine europäische Sendung besinnen wird. Dann werden die Besten dieses Volkes mit den Besten der andern europäischen Völker versuchen, eine neue, eine bessere Welt aufzobauen, in der „alle in Toleranz, Liebe und Nachgiebigkeit leben und arbeiten.”

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