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Die Schicksale Europas

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ABSCHIED VON DREITAUSEND JAHREN. EINE GESCHICHTE EUROPAS. Von Alfred Rapp. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 244 Seiten, 5 Karten, Leinen. Preis 19.50 DM.

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ABSCHIED VON DREITAUSEND JAHREN. EINE GESCHICHTE EUROPAS. Von Alfred Rapp. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 244 Seiten, 5 Karten, Leinen. Preis 19.50 DM.

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Der letzte Weltkrieg brachte eane globale Zäsur in der Geschichte Europas, „daß Europa nicht mehr die Welt, die Welt nicht mehr Europa ist... Europas Geschichte wird nicht mehr der Wellenschlag der Weltgeschichte sein. Diesen Zeitpunkt benützt Rapp, um die vorangegangenen drei Jahrtausende unseres Kontinentes auf 244 Seiten straff zusammenzufassen, von denen 18 auf das erste, 33 auf das zweite und 193 auf das dritte Jahrtausend entfallen. Diese Verteilung deutet an, wie mikroskopisch klein zeitlich entfernte Epochen werden können. Im ganzen bietet der Verfasser eine Art Regestenbuch zu den europäischen Geschichtswerken, und er bewältigt diese Aufgabe neben viel Geschick mit mancherlei Vorzügen: er bringt europäische Geschichte, ohne deren Quellen, die Staatengeschichten, zu vernachlässigen; er stellt lehrreiche Vergleiche zwischen verschiedenen Zeitläufen an und zeigt, wie sich die Geschichte doch immer und überall irgendwie wiederholt, weil sich die Menschen auch in Europa von 1000 v. Chr. bis heute nicht geändert haben; er entkleidet die nationalen Darstellungen ihres Egozentrismus und weckt dadurch den Sinn für eine Gesamtüberschau; für ihn gibt es nichts Isoliertes, für ihn ist die Geschichte die Frucht der Siege oder Niederlagen, diese sind das Ergebnis von Politik und Wirtschaft, und die Kultur bleibt die sich wandelnde Begleiterscheinung. Anregend sind einige Korrekturen an eingewurzelter Schulweisheit. So meint Rapp, die Griechen seien in heutiger Sicht ebenso erhaben wie verwerflich gewesen: die „falschen Glaubenskriege seien mehr der Machtpolitik als den Bekenntnissen gefolgt, deshalb gelte der Dreißigjährige Krieg alles eher als „der große Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten; in der spanisch-habs-burgischen Kolonialpolitik in Übersee werden in Anlehnung an Randa auffallend positive Seiten gegenüber anderen Kolonialunternehmungen erkannt: „Das spanische Kolonialreich entspricht nicht seiner schwarzen Legende', in Wirklichkeit erhebt es Spanien zur ersten europäischen Weltmacht; die Armada — so lesen wir weiter — wäre keineswegs nur einem Sturm zum Opfer gefallen, was übrigens die Militärgeschichte schon festgestellt hat Die in allen Abschnitten trotz der Konzentration eindrucksvolle Taschenbuchgesehich-te Rapps schließt unter Ausschluß des noch nicht Geschichte gewordenen Hitler-Krieges mit einer Absage an die Integration und einem Bekenntnis zu Metternich: „Einheit in der Vielheit und Vielheit in der Einheit.

Nicht alle Nationen werden mit der wechselnden Betrachtungsdichte einverstanden sein. Der Österreicher liest aber mit Genugtuung die Hervorhebung der cosa d'austria besonders mit dem Zeitalter Karls V., die Geschichte der Habsburger mit ihrem sich von Blut, Gewalt, Willkür und Machtrausch freihaltendem Ablauf und die Würdigung des Wirkens Metternichs am Wiener Kongreß. Eine Karte des Heiligen Römischen Reiches hätte die übrigen Karten bestens ergänzt, und auch ein Hinweis darauf wäre vorteilhaft gewesen, daß sich dieses Reich nur deshalb so lange behaupten konnte, weil es immer von den kaiserlichen Armeen geschützt wurde. Noch einige kleine Randbemerkungen: Der Namensgeber Amerikas (S. 66) war der Vorderösterreicher Waldseemüller; bei der Schlacht am Kahlenberg (S. 128) sind die Kaiserlichen als die Hauptstreitmacht nicht erwähnt; Franz II. legte die Krone des Heiligen Römischen Reiches erst nach und nicht vor der Errichtung des Rheinbundes nieder (S. 164). Neben einem Register würden ein den Text begleitendes Zeitband und eine Konkretisierung der Kapitelüberschriften die Benützung des Werkes sehr fördern. Der „Abschied von dreitausend Jahren wird jedem Gebildeten ein ausgezeichneter Behelf zum Uberdenken der Schicksale Europas sein und beweisen, wie nötig es ist, Unwesentliches zu übersehen, um die großen Zusammenhänge zu erfassen; weniger Ge-schichtskundigen wird die Lektüre eher fraglichen Nutzen bedeuten; Schulmänner werden lernen, wie man einen beängstigend angewachsenen Unterrichtsstoff auf beherrsch-barem Räume meistern kann.

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