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Die verhinderten Neun

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WAR ICH EIN NAZI? Mit Beiträgen von neun Autoren und einer Einleitung von Ludwig Mar cus e. Rütten+Loening Verlag, München-Bern-Wien. Geb., 160 Seiten, DM 9.80.

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WAR ICH EIN NAZI? Mit Beiträgen von neun Autoren und einer Einleitung von Ludwig Mar cus e. Rütten+Loening Verlag, München-Bern-Wien. Geb., 160 Seiten, DM 9.80.

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Ein unnützes Buch! Neun ehrenwerte Männer nehmen sich die Mühe, sich wegen ihrer Haltung im Dritten Reich wortreich zu entschuldigen. Da alle Schrifltsteller sind, gewinnt man — überdeckt mit vielen Bonmots und gelungenen Formulierungen — schließlich den Eindruck, daß so manche der Schreiber fast dem Martyrium nahe gewesen und eigentlich dem inneren Widerstand zuzurechnen sind. Alle waren eile zudem Individualisten. Nur im Dritten Reich paßten sie sich der Masse an, zumindest vor der großen Menge. Auf diese Weise verabsäumiten sie es (wie einem der aufrechten Neun in einem im Buch publizierten Brief, dem besten des Buches, J. Amery vorwirft), einzelne in der vollen „Authentizität“ zu sein.

„Beruhigend“ wirkt, daß so gut wie jeder der Autoren sein projüdi-sches Alibi vorweisen kann. Als ob die Frage des Nationalsozialismus lediglich ein Phänomen des Antisemitismus plus Krieg gewesen sei.

Dank ihrer schriftstellerischen Eloquenz wissen die Autoren auf die peinliche Titelfrage eine erheblich bessere Antwort als die vielen kleinen Parteigenossen, die sich nach 1945 den verschiedenen Spruchkammern stellen mußten und lange Zeit auf jene Chancen zu warten hatten, die den Wortreichen uniter den Parteigenossen sofort ab 1945 zur Verfügung standen. Auch in Österreich. Vielleicht wäre dieses Buch nicht geschrieben worden, wenn nicht immer wieder von Personen, die im Dritten Reich schon volljährig gewesen, nachträglich ein Übermaß an Heldentum (mit Vorweis einschlägiger Belege) verlangt würde, meist von Leuten, die selbst im Dritten Reich viele Gelegenheiten versäumt hatten, ihr inneres Heldentum nach außen zu transportieren. Auch Emigranten haben nicht in jedem Fall das Recht von denen, die nicht emigrierten, Widerstandsbelege zu verlangen. Nicht jede Emigration war Flucht vor dem Verderbnis. Dieses Buch konnte nur von Deutschen geschrieben werden, weil es Deutsohe sind, die derlei Bücher lesen und immer wieder verlangen. Wäre nicht dieses Verlangen nach Selbstbeschuldigung da, häitten die Autoren, zum Teil bekannte Schriftsteller, ihre Zeit für nützlichere Arbeiten verwenden können.

PROBLEME DER REICHSGRÜNDUNGSZEIT. 1848 bis 1879. Herausgegeben von Helmut Böhme. (Neue Wissenschaftliche Bibliothek Nr. 26) Köln-Berlin, Kiepenheuer & Witsch, 1968. 505 Seiten. DM 22,80.

Der Herausgeber hat sich vor längerer Zeit durch eine sehr interessante Dokumentation zur Vorgeschichte des Bismarck-Reiches als besonderer Fachkenner dieses Problems legitimiert. Deshalb war es ein ausgezeichneter Gedanke, eine Reihe von Einzelarbeiten verschiedener Historiker zusammenzufassen, wobei auch die jüngste Forschungstätigkeit zu diesem Thema berücksichtigt wurde und vor allem auch schon sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Arbeiten Aufnahme fanden. Der Herausgeber selbst hat auf die eminenten wirtschaftspolitischen Motive und Strömungen in der preußischen Politik seit 1848 hingewiesen, ebenso darf nicht übersehen werden, daß die Handelspolitik eine wichtige Antriebskraft der deutschen Einigunigsbewegung darstellte. Ohne eine Wertung der einzelnen Beiträge zu versuchen, sei auf Theodor Schieders abgedruckten Aufsatz zu den Grundfragen der neueren Geschichte und zum Thema „Der Nationalstaat in Verteidigung und Angriff“ verwiesen. Daß in einem solchen Sammelwerk eine Übersicht über den neuesten Stand der Kriegsschuldfrage von 1870/71 von B. Schot nicht fehlen kann, ist klar.

Dankenswerterweise wurden auch die Folgen der Einigung Deutschlands beleuchtet, darunter auch auf die besondere Problematik des Reichslandes „Elsaß-Lothringen“ verwiesen.

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