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Drei Schritte zurück — fünf vorwärts
In einem dem ungarischen Bischofskollegium aufgezwungenen, von Rom aber nicht sanktionierten Vertrag hatte die kommunistische Regierung Ungarns seinerzeit, nach Mindszenty Verhaftung, angekündigt: Religionsfreiheit. Dieser Vertrag war der Grundvertrag, der das Verhältnis Staat-Kirche in Ungarn bis ins Detail regelte. Der Staat gesteht die Freiheit der Religion zu, die Kirche anerkennt die Herrschaft des Kommunismus und verpflichtet sich, die Regierung in der Kollektivisierung der Landwirtschaft nachhaltig zu unterstützen.
Ginge es bloß darum und wäre die kommunistische Regierung ein fairer Partner, so könnte man über die fragwürdigen Umstände des Vertragsabschlusses sogar hinwegsehen (2000 Mönche waren verhaftet worden), wenn man das größere Ziel: die ungestörte seelsorgliche Betreuung eines Volkes, als Gewinn üfld Aufgabe betrachtete.
Sehen wir uns aber die „Religionsfreiheit" an. Unter freier Religionsausübung wird der „freie Besuch offizieller Messen“ verstanden. Die Abhaltung von Missionen, Exerzitien und Einkehrtagen ist verboten. Triduum ist höchstens in der Fastenzeit möglich. Festliche Prozessionen sind unerwünscht, der Rundgang darf nur um die Kirche erfolgen. Weiter ist der Religions unterricht in den Schulen nicht obligatorisch, er darf nur eingeschriebenen Schülern erteilt werden, das ist etwa ein Fünftel aller Schulpflichtigen. Der alljährlich zu wiederholenden Einschreibung geht eine heftige, lautstarke Hetze voran. Sein Kind dennoch einschreiben zu lassen, erfordert Courage. So riskieren Staatsangestellte dabei ihre Stellung ... Nichteingeschriebene Kinder dürfen nicht religiös unterwiesen werden. Jede Einflußnahme darauf ist „staatsgefährdend “ und wird strafrechtlich geahndet. Nur in der Kindermesse ist eine Möglichkeit gegeben, sich an die nichteingeschriebenen Kinder durch die Predigt zu wenden. Die Kirche hilft 9ich so, indem sie, um die Kinder in die Liturgie einzuführen, zahlreiche Ministrantengruppen bildet. Mit elterlicher Zustimmung knien gewöhnlich nicht zwei Buben, sondern ein ganzes Dutzend am Altar.
Die Religionsstunde hat man an den Schluß des Unterrichtes gesetzt. Daß die Kinder nach fünf Stunden Unterricht, mittags, wenn sie, hungrig und müde, unruhig auf der Bank wetzend, kein besonderes Interesse an der religiösen Unterweisung haben, ist verständlich und von kommunistischer Seite wohlbedacht. Ueber- dies wirkt der neben dem Katheder postierte Lehrer, der den Religionslehrer während der Religionsstunde zu überwachen hat, eigenartig. Dieses Aufpassersystem hat eine lange kommunistische Tradition — früher stellte man ja neben die Offiziere den politischen Kommissar. Nun wird jedem ungarischen Bischof ein dem System williger „Friedenspriester“ beigegeben. Das sind meist Koexistenzialisten, die von dem Regime für Spitzeldienste gebraucht werden. Daß sie in Priesterseminare eingeschleust werden, dürfte jedem, der einigermaßen mit kommunistischer Taktik vertraut ist, als selbstverständlich erscheinen.
Um den Religionsunterricht weiter zu erschweren, wird der Mangel an Katechismen staatlich gefördert. Ein Paradoxon und wohl nur im kommunistischen Staat möglich: Der Staat hat ein Monopol auf die Herausgabe von Bibeln und Katechismen. Er druckt eine Auflage von einigen Tausend. In der Klasse gibt es daher für sechs und mehr Schüler e i n Buch. Diktieren ist verboten, Vervielfältigung auch. Jede Ueber- tretung wird mit dem Entzug der Lehrberechti- gung bestraft. Die Kinder wissen oft weder die Zehn Gebote noch die Grundwahrheiten des Glaubens. Die das Plansoll erfüllenden Eltern sind abends zu müde, um die in der Schule sabotierte religiöse Unterweisung daheim nachzuholen. Ergebnis: Glaubenslosigkeit. Ueberdies ist der atheistische Staat in jedem Falle der ungleich stärkere. Von morgens bis abends stehen die Kinder unter seinen roten Fittichen, sie halten dem atheistischen Dauerregen, verstärkt durch eine raffinierte Propaganda, durch Märchen mit kommunistisch-atheistischem Grundgehalt, durch Buch, Film und Vortrag, selten stand. Und das seit zehn Jahren. Sonntags setzt das Regime zur Messezeit die üblichen Pflichtveranstaltungen an: Pionierversammlungen,
Bücher- und Schulungsstunden, Ausflüge usw.
Der Kommunismus folgt der alten Taktik Lenins: Drei Schritte zurück und fünf Schritte vorwärts. Erst will man die Kirche in die bloße Liturgie zwängen, will ihr verbieten, sich mit sozialen und moralischen Fragen zu befassen. So kann der in bloßer Passivität verdorrende Glaube leicht ganz gebrochen werden. Es fehlt ihm nicht nur die Kraft, sich mit sozialen Problemen zu messen und auseinanderzusetzen, er ist ihnen einfach entfremdet. Ein diabolischer Gedanke.
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