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Ein ungeheuerlicher Vorschlag und der Bruch

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Man hat inzwischen darauf hingewiesen, daß nur einige Jahre später die Gummiplantagen in Malaia durch kommunistische Stoßtrupps zerstört werden sollten.

Im übrigen enthält der Brief Stalins vom 15. September einen phantastischen Vorschlag:

„Es erscheint mir, daß Großbritannien ohne Risiko 25 bis 30 Divisionen in A r-changelsk landen könnte, oder daß diese Divisionen quer durch Persien in die südlichen Teile der UdSSR transportiert werden könnten.“

Damit war Churchill zum erstenmal klar geworden, daß Stalin zuerst so in das Studium der deutschen Macht, dann in die Aufgabe, ihr zu widerstehen, versunken war, daß er die Eigengesetzlichkeit der maritimen Mächte ebensowenig begriff wie Hitler.

In seinem Telegramm an Sir Stafford in Moskau stellte Churchill fest:

„Sie hatten ganz recht mit ihrer Feststellung, daß die Idee, 25 bis 30 Divisionen an die russische Front zu werfen, ganz einfach eine physische Unmöglichkeit ist! Hat es doch acht Monate gebraucht, zehn Divisionen über den Kanal nach Frankreich zu bringen! Die Russen haben fünf Divisionen in Persien, die wir bereit sind, abzulösen, sicherlich sollten diese Divisionen ihre Heimat verteidigen, ehe wir eine der wenigen Versorgungslinien noch mit dem Nachschub eigener Truppen verstopfen.“

Er hätte hinzufügen können, daß selbst für den eigenen Kräfteausbau im Nildelta amerikanische Schiffe von Roosevelt hatten entliehen werden müssen!

Es erwies sich nun als notwendig, einen Mann des Kriegskabinetts :— die Wahl fiel auf Beaverbrook — nach Moskau zu schicken, das nicht mehr lang Sitz der Regierung bleiben sollte. Wieder benutzte Churchill die Gelegenheit, den Russen die britischen Prioritäten einzuhämmern:

„Unsere erste Pflicht und Aufgabe ist es, die Seeverbindungen offen zu halten, unsere zweite Aufgabe liegt in der Erringung der Luftherrschaft.“

Dies widerspricht natürlich der verbreiteten Auffassung einer frühzeitig versprochenen, dann „verratenen“ zweiten Front.

Im November desselben Jahres beschloß dann Churchill, Wavell, der fließend russisch sprach, mit General Paget zu Stalin zu schicken. Indes war es nun offenbar geworden, daß der deutsche Stoß sich verbraucht habe, und die Gegenkräfte begannen in die Versammlungsräume zu strömen. Da erklärte Stalin plötzlich, weder Paget noch Wavell empfangen zu wollen, es sei denn, sie wären autorisiert, weitreichende politische Abkommen zu schließen.

Nach dieser ebenso hochfahrenden wie unerwarteten Absage hüllte sich Churchill in eisiges Schweigen, und es waren schließlich doch wieder die Russen, die den Faden aufnahmen:

„Bs war sicherlich nicht die Absicht Stalins, irgendein Mitglied der Regierung, am wenigsten aber den Premier vor den Kopf zu stoßen“, versicherte Maisky. Aber trotz allem war nun eine Bruchlinie eingetreten,

Churchill dürfte erkannt haben, daß eine Kameradschaft in guten und schlechten Zeiten, wie sie ihn mit Roosevelt verband, hier nicht angestrebt werden konnte. Mit dem Kriegs,glück schien ihm hier der Umgangston allzu innig verbunden zu sein.

Im Dezember fuhr dann Eden nach der russischen Hauptstadt; da Stalin politische Probleme hatte erörtern wollen, war der ihm persönlich bekannte englische Außenminister der geeignetste Mann. Churchill fuhr zur selben Zeit auf dem Schlachtschiff „Duke of York“ nach den Vereinigten Staaten. Eden aber wurde in Moskau bestürmt, sich auf bestimmte Nachkriegsgrenzen festzulegen. Mit geschmeidigem Takt erfüllte er Churchills Erwartung, mit dem russischen Premier nicht „rough“ zu sein, trotzdem aber auf seine Forderungen, besonders auf Anerkennung der baltischen Inkorporationen, nicht einzugehen. Es ist eigenartig, zu erkennen, daß die Hauptsorge der Russen bereits Dezember 1941 die Gestaltung der Welt nach dem Siege war und ihrePolitikbereitsdamals weniger eine Kriegs- als eine Nachkriegspolitik war. Noch einmal, im nächsten Sommer, sollten die Russen indes an den Rand des Abgrunds gedrängt werden.

Bei den amerikanischen Besprechungen Churchills aber war Rußland ein wenig in den Hintergrund getreten. Mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour war ein noch viel mächtigerer Koloß, die USA, in die Arena getreten. Auch in Washington sprach man in jenen Tagen über künftigen Frieden ... aber in welch allgemeinen und ideellen Worten! Der Vertrag der „Vereinten Nationen“ sollte eine Bestimmung über religiöse Freiheit enthalten, die Litvinow sich nicht zu unterfertigen traute. Mit diesem burlesk-melancholischem Zwischenspiel schließt das russische Thema der „Grand Alliance“:

„Er (Litvinow) wurde eingeladen, mit uns im Zimmer des Präsidenten zu speisen... später sprach der Präsident mit ihm über sein Seelenheil und die Fährnisse höllischen Feuers. Der Bericht, den uns Roosevelt gab, war eindrucksvoll. Ich' versprach, ihn für die Stelle eines Erzbischofs von Canterbury vorzuschlagen, sollte er bei der Präsidentenwahl scheitern...“

Es gab Augenblicke, da die Ironie Churchills transparenter war.

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