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Kunst und Bürokratie

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oder: Die künstlerische Ausgestaltung des Wiener Westbahnhofes

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oder: Die künstlerische Ausgestaltung des Wiener Westbahnhofes

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Eine kurze Rekapitulation: Vor Jahresfrist hatte das Verkehrsministerium einen Wettbewerb zur künstlerischen Ausschmückung des neuen Wiener Westbahnhofes ausgeschrieben, einen Wettbewerb, der dank verschiedener Umstände von vornherein zum Scheitern verurteilt war — und tatsächlich so offenbar scheiterte, daß selbst die recht konservative Jury eingestehen mußte, es könne von der Ausführung eines dieser Entwürfe leider nicht die Rede sein. Dieses Ergebnis veranlaßte kurz darauf eine Mitteilung der österreichischen Bundesbahnen: sie gebe den Gedanken an das Projekt gänzlich auf. Nun, eine solche Lösung — an sich bedauerlich, denn es handelte sich ja um den größten Kunstauftrag, den der Staat seit 1945 zu vergeben gehabt hätte — war immer noch besser als die andere: nämlich etwas Halbes, Konventionelles, Ungenügendes zu schaffen. So legten wir das Projekt in die große Schreibtischlade, in der wir die Niederschriften all der guten Vorsätze aufbewahren, die von Zeit zu Zeit von der öffentlichen Kunstpflege gefaßt werden, und dachten nicht weiter daran. Bis zu jenem Augenblick, in dem plötzlich durch die Tagespresse die Mitteilung ging, daß drei namentlich genannte Künstler mit der Ausschmückung der beiden inneren Schmalwände des Westbahnhofes beauftragt worden seien

Hier beginnt die Geschichte interessant zu werden, ohne freilich etwas von ihrer Peinlichkeit zu verlieren. Was war geschehen? Zwei Künstler hatten, auf eigene Faust, einen neuen Entwurf ausgearbeitet, ihn der Bundesbahn vorgelegt und — man höre und staune — den Auftrag erhalten. Warum? Das ist nicht ganz klar — vielleicht, weil sie ein neues Mosaikverfahren ausgearbeitet hatten, dessen Güte wir — ohne es zu kennen — nicht bezweifeln wollen, und das, vor allem, sehr billig zu sein scheint. Mehr noch: Die Bundesbahnen mieteten sogar im Liechtenstein- Palais „geeignete Räumlichkeiten zur Herstellung der Entwürfe. Von einem Wettbewerb oder irgendeiner Form öffentlicher Diskussion war nicht mehr die Rede.

Von hier ab wird, was bisher nur interessant und peinlich war, auch ncch komisch. Die beiden Maler nämlich hatten als Thema der Ausschmückung eine „Weltkarte mit kulturellen Symbolen vorgeschlagen — ein Thema also, das man auch mit dem besten Willen nicht sehr originell finden kann, vielleicht aber dekorativ ganz hübsch zu lösen ist (in solchen Fällen bleibt che Dekoration freilich immer nur Kunstersatz). Unerwarteterweise stellte sich aber heraus, daß die Bundesbahnen auch künstlerische Intentionen hatten: sie erklärten sich mit der Weltkarte zwar einverstanden, verlangten aber, daß sie nicht „kulturelle Symbole", sondern die „Entwicklung des Verkehrs zeigen müsse — ein zweifellos sinniger Einfall: wenn schon nicht anders, so soll die Dekoration offenbar wenigstens belehrend wirken, und sei es auch nur auf dem Niveau von Schulklassen, die in Purkersdorf ihren Wandertag verbringen wollen. Aber, wohl oder übel, das Duo der Entwerfer scheint sich damit einverstanden erklärt zu haben; sie hießen außerdem noch einen dritten Künstler in ihrem Bund willkommen — er war ihnen ebenfalls von den Vertretern der Bundesbahnen aus Gründei) irgendeines künstlerischen Proporzes vorgeschlagen worden — und arbeiteten die Entwürfe zu dritt vollends aus.

Die Kartons wurden einer neuen Instanz, nämlich dem Verkehrsminister, vorgelegt. Er erklärte sich mit ihnen grundsätzlich einverstanden, äußerte etliche Detailwünsche und sprach den Wunsch aus, die Arbeitsgemeinschaft möge — erweitert, werden. Das wurde sie denn auch; nicht so, wie es die Beteiligten vorschlugen, sondern nach einem neuen, wenn auch nicht sehr nachahmenswerten Prinzip: alle bei dem früheren Wettbewerb ausgezeichneten Künstler, die damals ein Landkartenmotiv vorgeschlagen hatten, mußten nun in das sich zum Sextett wandelnde Trio aufgenommen werden. Wir wollen gewiß nicht ironischer sein, als die Vorgänge es verlangen, aber es fällt uns schwer, an diesem Punkt die Bemerkung zu unterdrücken, daß man ebensogut und mit demselben Erfolg auch alle jene Wiener Künstler zur Arbeit am Westbahnhof hätte heranziehen können, deren Namen mit dem Anfangsbuchstaben W (wie „Westbahnhof") beginnen. Der Auslesevorgang bliebe derselbe.

Der (vorläufig) letzte Akt dieser Tragikomödie wandelt eich gänzlich zur Farce. Die so unorganisch zusammengesetzte Arbeitsgemeinschaft, in deren Arbeit jeder drein- sprach, dem es einfiel, brach auseinander, ehe sie noch recht zu arbeiten begann. Es gab Protokolle, Eingaben, Gesuche, Beschwerden, zu alledem mischte sich auch noch die Berufsvereinigung der bildenden Künstler ein — und das (vorläufige) Ende heißt: Streit um die finanzielle und künstlerische Beteiligung

Man könnte die ganze Angelegenheit lächerlich finden, wäre sie nicht so entsetzlich traurig: es ergibt sich die Gelegenheit zu dem größten künstlerischen Unternehmen, das Österreich 6eit Jahrzehnten leisten kann. Das Geld ist daf wie ein Gesetz es vorschrieb. Die Künstler, die die Aufgabe bewältigen könnten, sind da. Sie kommen nicht zum Zug, weil Ängstlichkeit der Auftraggeber, Engherzigkeit der Behörden und die einseitige Haltung einer Berufsvereinigung ihnen jene Knüppel der Konventionalität zwischen die Füße geworfen hat, mit der, bildlich gesprochen, bei uns schon so viele Künstler erschlagen worden sind.

Es ist noch nicht zu spät. Hier ist ein Fall, der vor der Öffentlichkeit diskutiert werden muß, ehe man weiter von staatlicher Kunstförderung spricht.

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