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Modellfall Nasser

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Merkwürdig wie diese Erpressungsspiele alle einander ähnlich sind. Wenn in zwei Jahren der Assuandamm fertig ist, werden die Touristen ihn als Denkmal des Sowjet-Kommunismus bestaunen (wetten wir: von den Reisebüros in Moskau wird man Flugfahrkarten halb geschenkt bekommen!). Damals stand die Weltbank mit Nasser in Verhandlungen. Sie verlangte Garantien, daß die Millionen Dollar zur Finanzierung des Assuandammes auch wirklich dafür ausgegeben werden und nicht ... Nasser lehnte den „Eingriff in die ägyptische Souveränität“ ab. Die Weltbank forderte Maßnahmen gegen die inflationistische Gefährdung des Preisniveaus infolge des Einströmens von Hunderten von Millionen Dollar. Nasser lehnte ab, das sei typischer Kolonialismus. Das letzte Exempel: An jenem Tage, da Argentiniens Delegierter in Sao Paolo seine Unterschrift unter die Beschlüsse der OEA setzte, annullierte der neue Präsident Illia mit einem Federstrich die Petroleumverträge und dekretierte die Sozialisierung. Die Entschädigung wird für die Vereinigten Staaten unter Bedingungen erfolgen, die fast einer Enteignung gleichkommen. Der Präsident des benachbarten Brasilien, Goulart, konnte seine Genugtuung nicht für sich behalten, er sandte lllia telegraphisch seine Glückwünsche, nachdem er kurz vorher mit der Sowjetunion einen Fünf Jahresvertrag über 200 Millionen Dollar zur Förderung des Wirtschaftsaustausches abgeschlossen hatte.

So nimmt es nicht wunder, daß die Berichte, die zum Jahresende bei der nordamerikanischen Führungsstelle der „Allianz für den Fortschritt“ eingehen, wenig erfreulich sind, im Vergleich zu früher fast entmutigend. Während die nationale Rente Lateinamerikas pro Kopf während der sechs Jahre vor der „Allianz“ um 4,2 Prozent stieg, erreichte sie 1962/63 nicht einmal ein Prozent.Kennedys großartiges Hilfswerk zu einem neuen Quell des Haders werde“ („Gazeta“). In Brasilien reißt Goulart die Dämme, die sein Wirtschaftsminister Carvalho Pinto gegen die Inflation heute errichtet am anderen Tag mit seiner roten Demagogie nieder. Die Pfründenwirtschaft steht immer noch in voller Blüte. Das hungernde Volk wartet nur noch auf den Tag des „Aufräumens“. Dann wird niemand mehr von einer Allianz reden. Die Skeptiker werden recht bekommen: Fortschritt bedeutet zunächst Massenelend. Man hüte sich, das hier laut zu sagen, denn sie meinen offenbar, der Wohlstand der reichen Länder sei vom Himmel gefallen. Welcher Politiker wagt es hier, dem Volke die Wahrheit zu sagen? Daß die unterentwickelten Länder den harten Weg der Amerikaner und Europäer nachholen müssen. Daß der Traum vom Weihnachtsmann, der ihnen Sie modernsten Maschinen beschert, ausgelöscht werden muß. Der Industrialis-mus, der hier einbricht, bedarf weniger Hände, aber großen Kapitals. Diese Länder brauchen aber nicht arbeitsparende, sondern kapitalsparende Maschinen. Der Traktor, der im Nordosten Brasiliens auf freiem Feld verrostet, erklärt alles. Man erhoffte, mit ihm den Sprung in den Fortschritt machen zu können. Es zeigte sich aber bald, daß einem gewöhnlichen Pflug aus Holz (wer weiß in Cearä, was ein Pflug ist!) mit einer eisernen Klinge (in Spanien sah ich ihn noch in der Urge-stalt eines Astes!) der Sprung in den Fortschritt gelang und ohne Kapital.

Die berühmten Investitionen haben hier geschadet und genützt. In der Schrift des „20th Century Fund“ („Approaches to Economic Development“ von Buchanan & Ellis, New York) wird der beglückende Mythos der amerikanischen Sozialisten, eine bessere Versorgung der unterentwickelten Länder mit Maschinen und technischem Wissen werde den Lebensstandard der armen Völker heben und dem Kommunismus den Wind aus den Segeln nehmen, unter die Lupe genommen. In den lateinamerikanischen- Ländern zeigt es sich, daß dort, wo die Industrialisierung ein Werk des Staates ist, eine Klasse heranwächst, die dem Geiste der freien Welt eher feindlich gesonnen ist. Ist es nicht merkwürdig, daß Brasilien mit den großzügigsten Investitionen heute das größte Massenelend erlebt und eine atemberaubende Inflation?

U Thant, der Generalsekretär der UNO, sieht richtig, wenn er vor kurzem sagte: „Die wirtschaftliche Hilfe wird die Lösung des Problems nicht bringen. Obwohl wünschenswert, kann sie nicht die günstige Wirkung ersetzen, die von der Festlegung gerechter und stabiler Preise und von der Schaffung von Märkten für diejenigen ausgeht, welche die ihrer Industrialisierung entgegenstehenden Hindernisse beseitigen.“ Auch südamerikanische Finanzexperten vertreten die Ansicht, daß die während der letzten zehn Jahre geleistete Wirtschaftshilfe nicht ausreiche, um die Verluste durch das Abgleiten der Weltmarktpreise für ihre Rohstoffe ausgleichen zu können.

Warum machen die reichen Länder den Bedürftigen nicht dieses Geschenk? Als Gegenleistung sollen diese feierlich erklären, sich zu dem elementaren Prinzip des internationalen Rechts zu bekennen: „Pacta sunt servanda.“ Sie werden nicht zögern, zu unterschreiben.

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