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Von Warschau bis Sofia
Die sowjetischen Berater sitzen bis zur Stunde recht zahlreich in Prag und in den wichtigsten Zentren. Doch sie intervenieren nicht und mischen sich offiziell in innerstaatliche Angelegenheiten der Ost- mitteleuropäer gegenwärtig nicht ein. Noch im Dezember 1967 — vor drei Monaten — wußte man von einem Blitzbesuch Breschnews und Podgornys in Prag. Damals setzte der Kreml schweres Geschütz ein, um Antonin Novotny als den Vertrauensmann in seinen vielen Posten zu halten. Diese Wünsche sind inzwischen überholt. Doch keine öffentliche Kundgebung, keine Erklärung und Zeitungsmeldung richtet sich gegen die Sowjets. Denn die allerletzte Entscheidung liegt im Augenblick tatsächlich beim Kreml. Wer sich des nebelgrauen Morgens am 4. November 1956 entsinnt, da unter den Raupenketten sowjetischer Panzer die revolutionäre Freiheit Ungarns niedergewalzt wurde, wird diese „Gretchenfrage“ tatsächlich als den neuralgischen Punkt aller Umstellungen und spontanen Ereignisse in den Volksdemokratien berücksichtigen.
1956 bis 1968 Doch seit 1956 sind mehr als zehn Jahre vergangen. Eines nur liegt für die sozialistische Entwicklung Ostmitteleuropas jetzt schon zutage: Der Oktober 1956 ist gefolgt von einem März 1968. Die einzige wirkliche Parallele: Das Aufbäumen der studentischen Jugend, der Schriftsteller, der Parteileute selbst gegen die stupide und reaktionäre Herrschaft eines Mannes, auf den schließlich alle Angriffe und Beschuldigungen gehäuft wurden. Während aber 1956 in Budapest Zorn und I eidenschaft jedes Maß überfluteten, erweist sich die revolutionäre Ausgangslage ein Jahrzehnt später in Ostmitteleuropa als gedämpfte, überwiegend kontrollierte, manipuliert durch Parteiführung oder kommunistische Funktionärsgruppen selbst. Als die
Rumänen in Budapest und Sofia bei den internationalen Konferenzen Exodus und offenen Widerspruch darlegten, bewunderte man nur den Mut der Bukarester KP-Hierarchie. Inzwischen wird man geneigt sein, die Wahl des Augenblicks dieser rumänischen Insubordination bewundernd anzuerkennen: In einer Entwicklungsphase, da es zwischen Ostsee und der Ägäis allenthalben gärt, kann die Moskauer Führung nicht überall und gleichzeitig jeden Rebellen mit scharfen Worten, mit Drohungen oder „Strafen“ bedenken. Es gibt anderseits im Augenblick noch genügend Bindungen, die die Sowjetunion und Europas Volksdemokratien beisammenhalten können: Die gemeinsame Welt anschauung, das Führungssystem, die wirtschaftliche Gleichschaltung, die einheitliche militärische Führung und Rüstung — eine zentralistische Ordnungswelt ohne Lücken, von einer beeindruckenden Geschlossenheit. Eigentlich sollten studentische Demonstrationen, Betriebsversammlungen für und gegen, Massenaufmärsche gegen Willkür und Gewalt der eigenen Führung unmöglich, einfach undenkbar sein!
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