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Wem gehort der Staat?

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Wer lachelte nicht hierzulande in den letzten Jahren, bisweilen etwas boshaft, wenn Parteikongresse und Untersuchungskommissionen, Partei- presse und Parteibosse in der UdSSR irnmer wieder mit „Enthiillungen“ die Offentlichkeit iiberraschten: mit Da- ten, Zahlen und Namen, die da als Siindenbocke fur eine gigantische MiBwirtschaft im Staate hingestellt wurden.

Wir lac.heln nicht mehr. Der Rech- nungshofbericht fur das Jahr 1960 mit insgesamt 890 Feststellungen uber alle Bereiche der staatlichen Verwaltung und uber eine Reihe eingehend ge- priifter verstaatlichter Betriebe hat dem Parlament und dem Volk in Osterreich Zustande enthiillt, die man ehedem weit hinter der Sankt-Marxer Linie beheimatet wahnte.

Es sind nicht die augenfalligen Dienstautos, Marke Mercedes, und die Freijagden fur leitende Beamte und Angestellte der Generaldirektion fur die Bundesforste, die das Augen- merk am starksten an sich ziehen. Es sind nicht die Dienstreisen ins Aus- land von Beamten des einen Mini- steriums, schon eher die mundliche Vergebung von StraBenbauauftragen ohne vorhergehende Ausschreibung und ohne Planung durch das andere Mini- sterium, die das Volk erregen. Die alten Amter, Ministerien und Behor- den haben im groBen und ganzen ihr Gesicht bewahrt, sehr gut bewahrt so- gar. D i e MiBwirtschaft im Staate Osterreich ist durch die tapferen Beamten des Rechnungshofes in dem einen, neuen, heifiumstrittenen Sektor aufgezeigt worden, in dem sich die groBte Macht und die groBte Schwache des Sozialismus im heutigen Osterreich zeigt: in der verstaatlichten Wirtschaft. Der Stickstoffskandal, die Vergeudung von vielen Millionen Staatsgeldern durch eine Provisions- wirtschaft, die noch eingehend durch- leuchtet werden muB in ihren in- und auslandischen Verfilzungen. hat bereits legendaren Ruhm erworben. Bei man- chen Geschaften wurden bis zu neun Prozent Provisionen bezahlt, obwohl die auslandischen Geschaftspartner Vertretungsfirmen ablehnten und di- rekte Verhandlungen wiinschten. Bei der Priifung der verstaatlichten Ma- schinenfabrik Hofherr-Schrantz wurden durch Fehlentwicklung, Fehl- planung, Fehlkonstruktion, durch „Gewinnausschuttungen" an leitende Beamte, bei Verlusten des Unterneh- mens im AusmaBe von 55 Millionen Schilling, Erscheinungen aufgedeckt, die sehr genau den Phanomenen in ostlichen Staatswirtschaften ent- sprechen. Bei den Schoeller-Bleck- mann-Stahlwerken wurden „Schlampe- reien" aufgezeigt, die seit vielen Jahren ihren fixen Standort in der

Karikatur der Sowjetpresse haben: Freunderlwirtschaft, Anschaffung von teuren Maschinen, die jahrelang (sechs Jahre bei uns) unbeniitzt „auf- gehoben" werden, „verlaBliche“ und kostspieligste, absolut betriebssichere Neuanlagen, die dann nicht funktio- nieren...

Halten Wir das Wesentliche fest: Der Rechnungshofbericht Fur 1960 steht im Zeichen einer Frage, die un- ausgesprochen, aber eindringlich hin- ter all den Fragwiirdigkeiten steht, die er untersucht: Wem gehort der Staat? Wem gehort der Staat Oster- reich? Ludwig XIV. wird der Aus- spruch zugeschrieben: „Der Staat, das bin ich.“ Darf, mufi man in Osterreich heute feststellen: „Der Staat, das sind wir“? Wir, von Gnaden einer Partei bestelite Grofimanager, die uber die Heere von Hunderttausenden von Ar- beitern und Angestellten gebieten? Wir, die wir hunderte Millionen von Staatsgeldern verbrauchen und Milliar- den Sachwerte verwalten ... ? Um keinen Zweifel, um kein MiBverstand- nis aufkommen zu lassen: wir bejahen die Verstaatlichung der Grundstoff- industrien und sehen in ihr nicht nur ein „notwendiges tlbel“, da keine Privatperson die Milliarden fur ihre Abldsung aufbringen konnte und aus- landisches Kapital hier unerwiinscht sein mufi. Eben deshalb nehmen wir ihre Probleme so ernst. Von ihrer inneren Demokratisierung wird das Schicksal der Freiheit in Osterreich abhangen.

Die Krise des Sozialismus und die Krise der Sozialistischen Partei wird durch das Debakel „unserer‘‘ Staats- wirtschaft beleuchtet. Es hatte — und hier liegt wieder der Vergleich mit Rufiland nahe — einer Beamtenschaft bedurft, die in einer grofien, alten Tradition der Staatstreue gebildet wurde, hier in Osterreich in der Schule der Maria Theresia und der franzisko-josephinischen Epoche; Manner, die gegen groBte Versuchungen gewappnet sind, da sie ein HochstmaB an Selbstzucht besitzen. Diener des Staates, Diener des Volkes. Diese Manner hat die verstaatlichte Industrie, hat das „Konigreich Wald-

brunner", wie es im Volksmund hiefi, nicht zur Verfiigung gehabt, als es uber Nacht seine riesigen Okkupatio- nen ubernahm. Diese Manager und Fachleute unserer Zwischenzeit nach 1945 hatten nicht selten erst im letzten Augenblick ihr „Buchel“, ihr Parteibuch, erworben. Welten trennen sie innerlich von den ernsten, stren- gen Sozialisten der alten Generation. Eine Welt trennt sie zudem — wozu dies leugnen, da es ihnen ins Gesicht geschrieben steht? — von jenem ge- wachsenen Glauben an Osterreich, von der Staatstreue der Beamten alter Art. Diese Manner der GroBmanagements leben in anderen Spharen, sehen auf andere Sterne. So dafi der „Ubergang" ihres Stars von den VOESt. zum Mercedes-Stern weit uber Osterreich hin- aus als symbolkraftig fur diese neue Gattung ersehen wurde. Nicht dies ist die Staatsschuld der politischen Ober- herren dieser Lehensmanner: dafi man nicht imstande war, eine neue Beamtenschaft neuen Typs mit neuem Geist fast aus dem Nichts zu schaf- fen. Wohl aber ein anderes ist hier schuld: dafi man sehr viel getan hat und noch tut, um das Scheitern zu verschweigen, ja zu vertuschen. Hier wird ein inneres Geheimnis offenbar: „Der Staat, das sind wir“: „wir“ Sozialisten, die heute bereits die starksten Machte, Mittel, Werte im Staat in der Hand haben.

Der Vizekanzler hat auf dem sozialistischen Parteitag einen Weg in den Abgrund angezeigt, den seiner Mei- nung nach Manner der anderen Regie- rungspartei betreten haben. Diese seine AuBerungen werden genauester Priifung bediirfen. Der Bericht des Rechnungshofes fur 1960 macht auf eine andere Moglichkeit, in einen Abgrund zu schlittern, aufmerksam: es ist uns alien aufgetragen, anbefohlen, dafiir zu sorgen, dafi dieser Weg nicht weiterbeschritten wird. Die verstaatlichten Betriebe durfen von nieman- dem, er sei auch, wer er sei, als Do- mane einer Partei angesehen, ja ver- wendet werden. Hier riihren wir an ein Tabu. Hier riihren wir an eines der heiBesten Eisen der Macht in Osterreich. Demokra- tische Sozialisten werden sich aber alien Ernstes selbst fragen miissen, ob ein demokratischer Sozialismus in Osterreich, ob die Demokratie in Osterreich verteidigt, gehalten werden kann ohne Demokratisierung dieser Betriebe. Demokratie in der Partei — und Demokratie im verstaatlichten Be- trieb: das ist die Frage! Eine Schick- salsfrage fur Osterreich. Auf das Experiment in Osterreich sehen Manager in Ost und West. Auf die Hochofen und Betriebe in Graz, Leoben, Bruck, Linz, Wien sehen die Arbeiter und das Volk in Budapest, Prag, Brunn. Werden sie, das Volk, nicht anders „be- teiligt" werden am Ertrag dieser „Ge- meinwirtschaft" als bisher: durch Ab- zahlung von Schulden, die andere in ihrem Namen gemacht haben? Eine Achillesferse am stahlernen KoloB ist sichtbar geworden. Weitere Versuche, sie zu verdecken, konnen eine tod- liche Wunde erzeugen.

Das Fazit: innenpolitische Vor- gange und nicht zuletzt. der Rechnungshofbericht fur 1960 machen beide Regierungsparteien, die sich fur einen Wahlkampf riisten, aufmerksam: zuerst tut Riistung nach innen not: Selbstreinigung. Nicht falsche „Saube- rung" und nicht ein Suchen von Sun- denbocken da drauBen vor der eige- nen Tur. Reinigung bedeutet auch dies: ein Ringen um ein Selbstver- standnis und SelbstbewuBtsein, das offen und ohne Vorbehalt, ohne reservatio mentalis, das Anderssein und Andersbleiben des anderen an- erkennt. Die Offentlichkeit wird in dieser Hinsicht auf die Worte und die Taten „unserer" Politiker sehen; jetzt, nach dem Bericht des Rechnungshofes fur 1960, auf das, was 1961 und 1962 gesagt und getan wird.

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