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Wer ist der bessere Deutsche?

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Gerichtsverhandlungen sind seit jeher eine beliebte Form des Dramas. Auf wenige Auftritte beschränkt, wird dem Betrachter die Quintessenz eines Geschehens vorgeführt, das sonst nur schwer in einem so kurzen Zeitraum zu überblicken wäre. Das angenehme Gefühl, daß hier obendrein noch etwas geahndet wird, was sich an den Außenseiten des Lebens abspielte, und ein leichter Hauch von Abenteuer erhöhen ihren Reiz. Was sich in der zweiten Hälfte des Februar beim sogenannten Ramcke-Prozeß ereignete, betraf allerdings nicht die Außenseite des Lebens: hier ging es um ein Kernproblem der westdeutschen Gegenwart.

Der ehemalige Fallschirmjägergeneral Ramcke, der dem Prozeß seinen Namen gab, saß nicht auf der Anklagebank. Dort hatten der Publizist Erich Kuby und ein leitender Redakteur des norddeutschen Rundfunks Platz genommen. Sie hatten 1954 eine Sendung über die Verteidigung der Festung Brest gebracht, in der mit Herrn Ramcke nicht eben sanft umgesprungen wurde. Diese Sendung warf ihm vor, er habe die Festung nur deshalb so lange gehalten, weil er die Brillanten zum Ritterkreuz wünschte. Es gab viele Zeugen unter den ehemaligen Verteidigern Brests, die Kubys Angaben voll und ganz bestätigten. Ramcke, der sich ob dieser Darstellung beleidigt fühlte und deshalb geklagt hatte, erlebte eine herbe Enttäuschung. Kuby und sein Mitangeklagter wurden freigesprochen. „Rohrkrepierer” nannte das etwas boshaft die „Süddeutsche Zeitung”. Als der frühere Fallschirmjägergeneral starr, mit hocherhobenem Kopf dpn Gerichtssaal verließ, war wieder eine Schlacht Neues Deutschland gegen Vergangenheit geschlagen.

Erich Kuby nannte Ramcke in seinem Schlußwort „die Brigitte Bardot der Generalität des Dritten Reiches”. Ein spitzes Wort, das den Haudegen wohl nur deshalb nicht berührt?, weil er nicht wußte, wer Brigitte Bardot ist. Aber als Ergebnis dieses Prozesses gewertet, ging dieses Wort um Handbreite an der Wirklichkeit vorbei. Denn hinter dem Haudegen Ramcke steckt doch etwas mehr. In ihm ist ein Teil Deutschlands verkörpert, der nach 1945 so erfolgreich von der Bildfläche verschwand, daß sich die erstaunte Menschheit zu fragen begann, ob es ihn eigentlich überhaupt gegeben hatte. In Ramcke, der seinerzeit auch recht kräftig in das Antisemitenhorn geblasen hatte, stand nun dieses Idol germanischer Gefolgschaftstreue wieder da, dem Kuby wohl unbewußt in Brigitte Bardot ein etwas fragwürdiges Idol französischer Weiblichkeit gegenübersetzte.

Der Gerichtssaal wurde, so gesehen, zu einem etwas makabren, beklemmenden Tribunal. Denn da schien alles wieder da zu sein wie in den zwanziger Jahren. Zu Beginn die Verleumdung durch Ramckes Anwalt, der behauptete, Kuby sei nicht wegen seiner antinationalsozialistischen Haltung, sondern wegen Plünderung im Krieg verurteilt worden. Peinlich, daß sich diese Behauptung als der erste Rohrkrepierer erwies, denn trotz des Chaos’, das über Deutschland hinweggegangen war, konnte der Staatsanwalt diese Behauptung rasch widerlegen. Da waren auch wieder die markigen Generäle und Admirale, die von „Journaille” überhaupt und von Erich Kuby im besonderen nichts hielten und Nachdenken in militärischen Dingen obendrein für ein strafwürdiges Vergehen hielten. Da erwiderte doch ein Zeuge auf die Frage, ob er nach der Invasion noch an den Endsieg geglaubt habe: „Selbstverständlich, sonst wäre ich ein schlechter Deutscher gewesen.”

Da stand nun dieses Wort vom „schlechten Deutschen” im Raum. Es stand bis zuletzt, und es schied auch die Zuhörer: den Vorsitzenden des Fallschirmjägerverbandes, der ostentativ sein „Germanenblatt” las, schied es von dem Rechtsanwalt, der einsprang, als Kubys Verteidiger nach den ersten Worten seines Plädoyers einen Herzanfall erlitt, und der ein glänzendes Plädoyer aus dem Stegreif hielt. Es ist auch jetzt noch zu spüren in manchen Diskussionen. Während Kuby als Sieger nach Hause ging, begann Ramcke seinen Amoklauf bei den Gerichten und verklagte vom Bundestagspräsidenten Gerstenmaier angefangen alle, die Kritisches über ihn gesagt hatten. Und eine wilde Schar von Teutonen forderte mit ihm „ihr Recht”. Tun sie es ganz mit Unrecht?

Es waren die Vertreter zweier Deutschlands, die sich gegenüberstanden und deren Anhänger Deutschland fast stärker noch als die politische Spaltung in zwei Lager teilen. Sie werfen und warfen sich vor, nicht etwa nur ein Schurke, sondern auch noch ein schlechter Deutscher zu sein. Kuby als der Repräsentant des geistreichen, weit zurück in die Zeit unserer klassischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts reichenden Deutschland. Ramcke als Vertreter des Teutonentums der Gründerjahre, die sich im Niederwalddenkmal, im Deutschen Eck in Koblenz und andernorts eine eigene Geschichte gebaut hatten. Beide aber, was niemand leugnen wird, typisch für den von ihnen repräsentierten Teil der Deutschen. Ramcke erinnerte etwas an den niederbayrischen Bauern, der sich 1945/46 schwor, dem Staat endgültig den nach Götz von Ber- lichingen benannten Gruß zu entbieten. Da hätte man ihn jahrelang, so klagte er, gedrängt, doch in „die Partei” einzutreten, und nun, 1945/46, nachdem er dieses endlich getan, fange man schon wieder an, ihn zu schikanieren. Da kenne er sich nicht mehr aus. Da kennen sich offenbar auch ein Ramcke und die Seinen nicht mehr ganz aus. Aber sollte man nicht das Geschehene in Deutschland gerade auch von der Ueberle- gung her betrachten, daß es hier für einfache Geister offenbar besonders schwer ist, ein patriotischer Bürger zu sein?

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