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Wir sind gewarnt!

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Soeben hat die große außenpolitische Debatte im Bonner Bundestag wieder gezeigt, wie tief auch unser mitteleuropäischer Raum durch die Atomrüstung der Weltmächte betroffen ist. Gewiß: Deutschland ist augenscheinlich noch direkter hineingezogen in die schweren Konflikte, die vor allem auch Gewissenskonflikte sind, da es als Basis von Atomwaffen und Atomraketen ausersehen ist und seine Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet werden soll. Oesterreich ist aber im letzten mit betroffen, wie alle Völker in den Spannungsfeldern der Erde. Nicht nur, weil nahe unseren Grenzen möglicherweise bereits Abschußrampen existieren. Die öffentliche Meinung in Ost und West spielt nun eine viel größere Rolle im Kampf um Abrüstung und Verhinderung eines Atomwaffeneinsatzes: eben das zeigt Robert Jungk in seinen bedeutenden Ausführungen auf. Die Redaktion der „Furche“

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Soeben hat die große außenpolitische Debatte im Bonner Bundestag wieder gezeigt, wie tief auch unser mitteleuropäischer Raum durch die Atomrüstung der Weltmächte betroffen ist. Gewiß: Deutschland ist augenscheinlich noch direkter hineingezogen in die schweren Konflikte, die vor allem auch Gewissenskonflikte sind, da es als Basis von Atomwaffen und Atomraketen ausersehen ist und seine Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet werden soll. Oesterreich ist aber im letzten mit betroffen, wie alle Völker in den Spannungsfeldern der Erde. Nicht nur, weil nahe unseren Grenzen möglicherweise bereits Abschußrampen existieren. Die öffentliche Meinung in Ost und West spielt nun eine viel größere Rolle im Kampf um Abrüstung und Verhinderung eines Atomwaffeneinsatzes: eben das zeigt Robert Jungk in seinen bedeutenden Ausführungen auf. Die Redaktion der „Furche“

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Vor einem Jahr entschloß sich Albert Schweitzer nach langen inneren Kämpfen, aus seiner Reserve herauszutreten und in einem öffentlichen Aufruf vor der Fortsetzung der Kernwaffenversuche zu warnen. Dieser Appell fand ein weltweites Echo.

Aber die Atombombentests wurden fortgesetzt! In den letzten acht Monaten explodierten mehr Versuchsbomben (sowohl amerikanische wie sowjetische und englische) als je während irgendeiner gleich langen Zeitspanne zuvor.

Im vergangenen April traten 18 deutsche Atomphysiker mit einem Manifest hervor, in dem sie — bevor die Presse es getan hatte — die Oeffentlichkeit über die geplante Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen orientierten und nach einer Aufklärung über die furchtbaren Wirkungen sowohl der sogenannten „taktischen“ wie „strategischen“ Atombomben empfahlen, „daß ein kleines Land wie die Bundesrepublik sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet“. Auch dieser Appell, der in der Weigerung der Unterzeichner, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen zu beteiligen, gipfelte, hatte in der Oeffentlichkeit einen gewaltigen, fast zustimmenden Widerhall. *

Dennoch wurde im Dezember auf der NATO-Tagung die Errichtung von Atomwaffen-Stützpunkten in Westeuropa beschlossen, für dieses Frühjahr haben sowohl die Amerikaner wie die Engländer neue Tests angekündigt, während die Russen sogar schon im März neue große Versuchsexplosionen durchführten.

Waren also die Versuche, die öffentliche Meinung zu mobilisieren, trotz der gewaltigen Wirkung, die sie zunächst ausübten, vergeblich?

Stellen wir diese Frage zunächst einmal än*-dte damaligen Warner selbst. Fühlen sie' sich als „Rufer in der Wüste?“ Glauben sie, ihr Appell sei verhallt?

Norman Cousins, Herausgeber des in New York erscheinenden „Saturday Literary Review“, der am Zustandekommen des Appells von Schweitzer beteiligt war, unterhielt sich einige Monate darnach mit ihm und notierte für seine Freunde folgendes über dessen Reaktion: „Er sagte, die augenblickliche Lage empfinde er als herzzerbrechend. Noch nie in seinem Leben habe er so starke Gefühle der Befürchtung gehegt wie jetzt. Er würde gern glauben und hoffen, daß bald etwas geschehe, auf Grund dessen die Wolken plötzlich aufrissen, aber er könne leider keine Anzeichen dafür erblicken, daß schon genügend Leute beunruhigt genug seien, um eine solche Klärung herbeizuführen. Zuviel Menschen seien mit unwichtigeren Dingen beschäftigt. Vielleicht, so meinte Schweitzer, sei ein Versagen der menschlichen Einbildungskraft daran schuld, daß man das wirkliche Vorhandensein der gegenwärtigen Gefahr eigentlich nicht begreife.“

Schweitzer, der diese Unterhaltung mit Cousins gerade führte, als die Londoner Abrüstungsgespräche noch im Gange waren, erklärte, daß er die Bedeutung der Presse und die Aufklärung der Oeffentlichkeit über die Atomgefahren hoch einschätze. Er hoffe, daß die Abrüstungsdebatte und die Probleme der radioaktiven Verseuchung von Zeitungen, Radio und Fernsehen immer wieder als „wichtigste Nachrichten des Tages“ gebracht würden.

Aber der Urwalddoktor war sich klar darüber, daß er damit nur das Wunschbild einer verantwortlichen Presse entwarf. Eine Sache sei sicher, äußerte er bekümmert zu Cousins, die Debatte über diese Themen erlahmte allmählich wieder, und die Leute paßten sich der Krisensituation an. Das sei schon an sich eine Gefahr. In der heutigen Welt sei es zu leicht geworden, das LInerträgliche zu ertragen, das Nicht-Hinnehmbare doch hinzunehmen.

Nicht ganz so pessimistisch sehen die Unterzeichner des Göttinger Manifestes die Situation. Aber auch bei ihnen scheint eine leichte Enttäuschung doch spürbar zu sein. Zwar haben Otto Hahn, Walter Gerlach und Karl Friedrich von Weizsäcker, die treibenden Kräfte hinter dem April-Aufruf, sich seither einzeln in der Oeffentlichkeit geäußert, aber eine gemeinsame neue Erklärung, die vorgesehen war, wurde wieder hinausgeschoben.

Darüber befragt, äußerte sich eine beim Zustandekommen des ersten Manifestes entscheidende Persönlichkeit im Gespräch: „Wir haben seinerzeit zu einer konkreten politischen Tatsache Stellung genommen. Wir werden wieder sprechen, wenn die Situation reif ist und wenn wir uns durch den Appell nicht nur an die Oeffentlichkeit, sondern auch an eine ganz bestimmte politische Instanz zu akuten Problemen äußern können. Es hätte wenig Sinn, in Allgemeinheiten zu sprechen und sich damit zwar an alle, aber im Grunde an keine präzise Adresse zu wenden. Unrichtig wäre es wohl auch, wenn wir zu oft hervortreten, denn das müßte dem ganz besonderen Ernst unserer Mitteilungen schließlich Abbruch tun. In der Zwischenzeit sollten aber andere ihre Stimme erheben. Wir werden inzwischen nachdenken, was wir wirk-1 lieh Neues und Konstruktiveres sagen können.“ *

Diese Argumente haben sehr viel für sich. Albert Einstein, der in seiner Besorgnis nach dem zweiten Weltkrieg Dutzende von Erklärungen gegen die Atombomben abgab, wurde zum Schluß kaum mehr angehört. Auch trifft es zu, daß zwar die Physiker, nicht nur in Deutschland, sondern fast überall in der Welt, eine Warnung nach der anderen erlassen haben, andere Berufsgruppen aber vergleichsweise nur sehr spärlich zu diesen Gefahren Stellung genommen haben, die ja nicht nur die Atomforscher, sondern jeden einzelnen bedrohen. Noch ist zum Beispiel in Deutschland dem Manifest der 18 Physiker kein Manifest von Biologen, Aerzten, von Ernährungswissenschaftlern gefolgt, die alle aus ihrer eigenen Arbeit genau über die Folgen eines auch nur „begrenzten“ Atomkrieges weit besser orientiert sein müßten als der durchschnittliche Bürger.

Außer Schweitzer und den „Göttingern“ haben sich in diesem Jahr 22, insgesamt zehn Nationen angehörende Wissenschaftler in dem kleinen kanadischen Städtchen Pugvash zu einer Konferenz zusammengefunden, in der über die „Gefahren der Atomenergie“, die „Probleme der Atomabrüstung“ und die „Verantwortung der Wissenschaftler im Atomzeitalter“ in drei gesonderten Kommissionen beraten wurde. Dieses Treffen war auf Initiative des englischen Nobelpreisträgers Bertrand Russell zustande gekommen, der seit einigen Jahren allenthalben seinen Geist und seine selbst im hohen Alter noch erstaunlich große Energie einsetzt, um einen Atomkrieg zu verhüten.

Das Treffen von Pugwash ist, obwohl es in der Oeffentlichkeit weniger Widerhall fand als die Aktionen von Schweitzer und den 18 deutschen Professoren, vielleicht noch wichtiger und zukunftsträchtiger gewesen als diese beiden Manifestationen. Denn hier kamen erstmals seit Kriegsende führende Wissenschaftler der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs und Kanadas mit Gelehrten aus der Sowjetunion, Polen und Rotchina zu einer Konferenz zusammen, in der statt über die Fortschritte der Atomwissenschaft und -technik über die Rückschrittlichkeit der politischen und sozialen Maßnahmen zur Bändigung der „neuen Kraft“ beraten wurde.

Auch diese Konferenz hat ein „Statement“ herausgegeben — man scheute ausdrücklich vor irgendeinem Manifest zurück —, in dem alle Teilnehmer die gemeinsame Sorge ausdrücken, daß ein Lokalkrieg, in den vielleicht zuerst zwei kleinere Nationen verwickelt werden könnten, mit ziemlicher Sicherheit in die Katastrophe eines allgemeinen Atomkrieges münden würde. Alle zweiundzwanzig haben sich für eine sofortige Beendigung des Rüstungswettrennens und die schrittweise Entwicklung eines Kontrollsystems eingesetzt.

Aber auch diese Warnet sind anscheinend nicht gehört worden. So ist jedenfalls der allgemeine Eindruck nicht nur bei ihnen selbst, sondern auch in der Oeffentlichkeit. Dennoch möchte ich auf Grund von Gesprächen mit zahllosen Menschen aller Berufsklassen in den verschiedensten Ländern konstatieren, daß die oft angenommene „Gleichgültigkeit“ der Oeffentlichkeit weniger groß ist. als gewöhnlich vermutet wird, und daß diese Unruhe bereits greifbare politische Resultate gebracht hat.

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