"Das ist wie eine Expedition"

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Der Wiener Psychoanalytiker, Kinderpsychotherapeut und Erziehungsberater helmuth figdor über die vielen Konflikte im Projekt "Patchworkfamilie" - und die Möglichkeiten, sie zu meistern.

Die Furche: Herr Dr. Figdor, Sie forschen seit rund 20 Jahren zum Thema Scheidungskinder und Eltern-Probleme. Wie empfinden Kinder die Gründung einer Patchworkfamilie?

Helmuth Figdor: Vorweg muss man betonen, dass alle Kinder, deren Eltern sich getrennt haben, das als ganz schwierige Situation erleben - auch wenn es in vielen Fällen besser ist, wenn sich die Eltern trennen, als mit ihren Konflikten zusammen zu bleiben. Damit diese Kinder im Hinblick auf ihre langfristige psychische Entwicklung gut über diesen Einbruch hinwegkommen, gibt es zwei Dinge, die von besonderer Bedeutung sind: erstens dass sie zu beiden Eltern auch weiterhin eine intensive Beziehung haben können; und zweitens dass sie die Erfahrung machen, dass familiäre Beziehungen zwar scheitern, aber auch gelingen können. Insofern gehört die Gründung einer funktionierenden Stief-oder Patchworkfamilie zu den bedeutsamsten positiven Erfahrungen, die diese Kinder machen können. Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, dass die Gründung solcher Familien mit massiven Schwierigkeiten verbunden ist. Das ist wie bei einer Expedition: Man kann Wunderbares erleben, aber man muss sich impfen lassen, lange Vorbereitungen treffen - und sich vorsehen, dass nichts passiert.

Die Furche: Was sind die größten Konfliktfelder?

Figdor: Es gibt in dieser Konstellation fast keine Beziehung, die nicht von Konflikten und Eifersüchten belastet ist: Viele Kinder erleben die neue Liebe des Vaters oder der Mutter als endgültigen Schlussstrich unter die Hoffnung, dass die Eltern doch noch zusammenkommen könnten. Somit wird etwa der neue Partner der Mutter zum Feind dieses Wunsches. Wenn er aber akzeptiert wird und ein guter Alltags-Papa zu sein scheint, ergeben sich für das Kind massive Loyalitätskonflikte zwischen ihm und dem richtigen Vater. Dieser hat seinerseits das Problem, dass er seinem Kind wünscht, auch im Alltag einen Mann um sich zu haben. Gleichzeitig ist es für ihn bitter, dass nicht er selbst das ist. Damit verbinden sich massive Ängste, die Liebe des Kindes oder das Kind insgesamt zu verlieren. Von Seiten der Mutter ergeben sich gerade dann, wenn das Verhältnis zwischen ihrem Kind und dem neuen Partner gespannt ist, massive Loyalitätskonflikte: Als Mutter möchte sie das eigene Kind beschützen, als Frau hofft sie auf die neue Beziehung und möchte den neuen Mann nicht vertreiben.

Die Furche: In welcher Situation befindet sich der neue Partner?

Figdor: Die meisten bemühen sich, die Kinder ihrer neuen Freundin zu gewinnen, weil sie wissen, dass das dazugehört. Doch wenn sie beim Kind nicht sofort leuchtende Augen nach dem Motto "Auf dich habe ich gewartet" sehen, sondern eine sehr vorsichtige Annäherung, manchmal verbunden mit Ablehnung, dann reagieren viele Männer wie Mimosen: Sie fühlen sich gekränkt und ziehen sich zurück.

Die Furche: Inwiefern ist die Situation ähnlich oder anders, wenn der leibliche Vater eine neue Partnerin hat?

Figdor: Hier gibt es zum Teil die gleichen Phänomene: Auf Seiten der leiblichen Mütter gibt es die Angst, das eigene Kind an die neue Familie zu verlieren, speziell dann, wenn sie selbst noch keinen Partner hat. Mitunter wird dann die Macht dieser neuen Freundin unerhört aufgebauscht, verbunden mit der Vorstellung, sie könnte die Kinder dazu "verführen", die eigene Mutter nicht mehr zu lieben. Zugleich kann man die neuen Partnerinnen der Väter fast in zwei Gruppen einteilen: Die einen treten als eine Art Über-Ich auf, indem sie etwa sagen: Du müsstest dich doch mehr um dein Kind kümmern ... Für die anderen ist das Kind des neuen Mannes eher ein Klotz am Bein: Eigentlich wollen sie mit ihrem neuen Partner zunächst Zweisamkeit erleben, ohne dass alle 14 Tage ein Kind kommt. Diese Väter kommen ihrerseits in Loyalitätskonflikte zwischen Kind und Partnerin.

Die Furche: Welche Dynamiken sind zwischen den Kindern einer Patchworkfamilie festzustellen?

Figdor: Hier kommt es häufig zu Geschwisterrivalität, wobei es zu unterschiedlichen Koalitionen kommen kann. Eine Patchworkfamilie ist insgesamt eine multikulturelle Gemeinschaft: Hier kommen zwei Systeme zusammen, die unterschiedliche Rituale, Grenz-und Wertesysteme entwickelt haben. Auch wenn sich die Erwachsenen absprechen können: Für die Kinder war das bisher Realität der Welt, und plötzlich wird die in Frage gestellt.

Die Furche: Das klingt fast so, als ob Patchworkfamilien kaum glücken könnten ...

Figdor: Natürlich klingt das kompliziert. Aber wenn man nicht versucht, diese Probleme zu leugnen, sondern sie anerkennt, dann erkennt man auch die Probleme des anderen an. Und dann ist die Chance, in gegenseitiger Anerkennung Lösungen zu finden, nicht so schlecht - vor allem dann, wenn man sich beraten lässt. Vielleicht ist das eine der allerwichtigsten Botschaften. Es kommt ja nicht darauf an, die Probleme aufzuzählen, sondern an ihnen eines exemplarisch darzustellen: Ihr habt euch ein großes Werk, eine Expedition vorgenommen - und das ist gut: Denn wenn es klappt, dann zahlt es sich aus - für euch selbst und eure Kinder.

Die Furche: Gibt es in ausreichendem Maße Beratungsstellen?

Figdor: Nein, es sind viel zu wenige. In Wien gibt es zwar ein qualifiziertes Angebot: Die Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Pädagogik etwa, deren Vorsitzender ich bin, bietet hier 13 Beratungsstellen an. Auch in ein paar Landeshauptstädten und in Vorarlberg gibt es eine ganz gute Versorgung. Aber dazwischen klaffen erschreckende Lücken.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Infos zur Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Pädagogik: www.app-wien.at

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