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Aktiv bis ins hohe Alter, aktiv im Urlaub und selbstverständlich überlastet am Arbeitsplatz. Plädoyer für das Ertragen des Nichtstuns im Zeitalter des Aktivismus.

Der dreijährige Paul untersucht interessiert die Fernbedienung und deren Wirkung auf die Stereoanlage. Die 30-jährige Paula studiert vom Barhocker aus die "interessanten" Gäste des Bistros, die uninteressanten streift sie mit einem kurzen Blick. Die Tagesordnung der Sitzung hat Vera neugierig gemacht, der nichts sagende Monolog des Abteilungsleiters hingegen lässt die Sozialarbeiterin nach zehn Minuten gähnen. Die Psychoanalytikerin und Bestsellerautorin Verena Kast hat die Alltagsphänomene Neugierde, Interesse und deren Abwesenheit, die Langeweile, untersucht. Das Ergebnis: ein interessantes Buch, das zum bewussten Erleben von Langeweile animiert.

"Mir ist sooo faaaad", klingt der Jammerton aus dem Kinderzimmer das mit Büchern, Playstation und Flugzeugmodellen gefüllt ist. Der achtjährige David hat heute "frei". Das heißt: Er hat nach dem sechsstündigen Schultag weder Judo- noch Klavierunterricht. "Kluge Eltern halten es aus, wenn ihre Kinder über Langeweile klagen, sie sagen ihnen: langweile dich ruhig, dann fällt dir schon wieder etwas ein", anerkennt Verena Kast diese rare Reaktion von Erwachsenen. "Weniger kluge rücken mit Vorschlägen - das könntest du machen, das wäre doch nett, interessant ... - an und schütten die Kinder mit Animationen und Spielzeug zu."

Das Leeregefühl aushalten

Erwachsene reagieren auf die Langeweile ihrer Kinder wie auf ihre eigene: dem Gefühl der Leere, der Lustlosigkeit wird mit "Action", mit Etwas-Tun begegnet, sie scheint zu gefährlich, bedrohlich zu sein, als dass man sie zulassen und einfach aushalten könnte. "Ist Langeweile nicht auch eine Emotion, die dazu zwingt, inne zu halten, sich zu besinnen und neu zu orientieren?", lockt die Autorin und erklärt: "Eine Phase der Passivität, verbunden mit Langeweile, die nicht abgewehrt wird, kann helfen, zu den eigenen Interessen zu finden."

Im Alltagsjargon wird diese Emotion mit Antriebslosigkeit, fehlendem Interesse und eingeschlafener Neugierde assoziiert, daher ist es für Verena Kast. "kein Wunder, dass wir versuchen, die lange Weile durch irgendeine Kurzweil abzuwehren." Und uns dabei viel Potential für neue Interessen entgehen lassen, nur weil wir im Aushalten von Langeweile so untrainiert sind.

"Was ist psychische Gesundheit anderes als die Fähigkeit des Menschen, seinen wahren Interessen entsprechend zu handeln?" Diese Frage stellte Erich Fromm 1979 in seinem Buch "Die Seele des Menschen: ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen." Heute wirkt diese These provokanter denn je, wer weiß oder ahnt heute noch, worin seine wahren Interessen liegen.

Man besucht den Englisch-Kurs, weil man ihn im Beruf braucht; man lernt eine Homepage zu gestalten, weil "es dazu gehört" und liest entlang der Bestsellerliste, "um mitreden zu können." Die Vernachlässigung der wahren, der eigenen Interessen führt langfristig zu Entfremdung sowie dem Versickern der Vitalität. Es interessiert, was gerade "in" ist und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht markiert.

All diese Anpassungsleistungen geben eines: Sicherheit, man liegt - trotz all der empfundenen Einengung - richtig; der Käfig schimmert golden, man gehört dazu. Die wirklichen Interessen hingegen werden nicht gelebt: "Die Imagination ist gefragt, die Imagination für unser besseres Leben."

Wer die Frage nach den wahren Interessen stellt, bekommt als Antwort die Liste der Pseudo-Interessen. Beim Aussortieren - die wahren Interessen ins Leben, die angepassten über Bord - gibt Kast Hilfestellung: "Ob ein Interesse für uns ein wahres Interesse ist, zeigt sich daran, ob uns die Beschäftigung mit dem, was uns interessiert, belebt. Wenn uns die Beschäftigung mit dem, was uns interessiert, nur noch eine zusätzliche Last ist, dann handelt es sich zumindest im Moment nicht um ein wirkliches Interesse."

Sich mit der Emotion "Langeweile" auseinanderzusetzen, erfordert zunächst, Zeit zu reservieren. Wer Emotionen kultivieren und wer Sinneswahrnehmungen ernst nehmen will, braucht Zeit. Auch Ruhe, um die Reaktionen aus der Innenwelt, die Schwingungen der Lebensmelodie wahrzunehmen.

Eine Studentin hat nach ihrer Promotion das Gefühl, in ein schwarzes Loch zu fallen. Noch ist keine interessante Stelle, kein motivierendes Praktikum in Sicht. Nach den Monaten der Hektik, hat sie ein Ziel erreicht, hat etwas, das sie Jahre lang verfolgte, zum Abschluss gebracht.

"Oft diagnostiziert man einen Lebensübergang bei sich, wenn man feststellt, dass vieles, was einen zuvor ausgefüllt hat, was einem Freude gemacht hat, immer weniger reizvoll erscheint. Kinder langweilen sich, wenn ein Spiel zu Ende gegangen ist.", benennt die Psychotherapeutin einige Quellen der Langeweile.

Ringen um Lebendigkeit

Phantasien gelangweilter Menschen zeigen Leitlinien der Entwicklung, machen Wünsche sichtbar und dokumentieren komplexhafte Strukturen. Vor allem zeigen sie aber die Sehnsucht nach Lebensleidenschaft, die häufig von Alltagsgestrüpp verdeckt bereit liegt. In ihrem Buch hat Verena Kast die Fülle des Lebens umrissen, das Ringen um Sicherheit und um Lebendigkeit, das Suchen nach Interessen und das Aushalten von - auch länger dauernden - Momenten von Langeweile.

Wer an seine Jugend denkt, erinnert sich an Dinge, die ihn leidenschaftlich werden ließen. Verena Kasts Ausgangspunkt ist die grundsätzliche Neugierde sowie die in den Menschen angelegte Leidenschaftlichkeit: "Es gibt nicht nur die Langeweile, es gibt nicht nur den Lebensüberdruss, es gibt auch die Lebensleidenschaft, und viele Emotionen dazwischen. Lebensleidenschaft statt Aktionismus - das ist nicht nur ein utopischer Vorschlag für Menschen, die an Langeweile leiden, sondern auch für unsere Gesellschaft als ganze."

Vom Interesse und dem Sinn der Langeweile. VonVerena Kast, Walter Verlag Düsseldorf, 200 S. e 18,46

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