„Immer der Jüngste, das ist schon toll“

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Clemens Sedmak ist 39 Jahre alt, dreifacher Doktor, Professor am King’s College in London, Leiter zweier Forschungszentren in Salzburg, dreifacher Vater – und laut Selbstdefinition „lebensuntüchtig“. Der FURCHE erklärt er sein Verhältnis zum Erfolg und zum Sinn des Lebens.

Dieser Mann mag keine Umschweife. Dieser Mann liebt es direkt. „Ich bin nicht sehr lebenstüchtig“, behauptet er nach einminütigem Gespräch kokett. Er, der Philosoph, Theologe und Sozialtheoretiker, der mit 24 Jahren dreifacher Doktor war; er, der mit 30 Jahren jüngster Professor (für Erkenntnistheorie und Religionsphilosophie an der Universität Salzburg) wurde; er, der heute zwischen London, Salzburg, seinem Wohnort Seekirchen und seiner Gastuniversität in Jena pendelt; er, der akademische Überflieger, der zum Entsetzen seiner Neider auch noch als Entwicklungshelfer tätig war und drei Kinder hat.

Clemens Sedmaks Lebensuntüchtigkeit besteht darin, sich manchmal doch zu viel vorzunehmen. Diesmal wollte er seinen Vortrag über „Die Seligkeit des Glaubens“ im Rahmen des Symposiums „Psychiatrie und Seelsorge“ im Wiener Kardinal König Haus mit einem Familienausflug in die Bundeshauptstadt koppeln. Doch es sollte nicht sein: Nachdem auch seine Frau – Germanistin, Theologin und Leiterin des Eltern-Kind-Zentrums in Seekirchen – ebenfalls bei einem Seminar sein musste, wurden die zehn, acht und fünf Jahre alten Kinder kurzerhand zur Oma gebracht.

Ständiges Streben macht lebensuntüchtig

Ein anderes Mal erstellt der Schnelldenker und Schnellredner lange To-Do-Listen für das Wochenende, lässt manches unerledigt – und wird dann am Sonntagabend ein bisschen schwermütig. Doch so sei das eben mit Sub-Auspiciis-Absolventen, erklärt der Sub-Auspiciis-Absolvent Clemens Sedmak und klopft dabei etwas angespannt mit den Fingern auf den Tisch: Dieses ständige Streben und Studieren fördere nicht eben die Lebenstüchtigkeit.

Dieses Streben, dieses Bedürfnis nach mehr ist unvermeidlich bei einem energiegeladenen Menschen wie ihm, den schon langsames Sprechen wahnsinnig macht. Außerdem habe er ein „übersteigertes Identitätsbedürfnis“, wie Sedmak freimütig gesteht. (Auch Terroristen werde diese Eigenschaft zugeschrieben, meint er so nebenbei.) Es war etwa 2003, als ihm einer seinen Lebensplan erörterte. „Der hat erklärt, alle fünf bis sieben Jahre ein kleines Buch und zwei Aufsätze pro Jahr zu schreiben, gute Lehrveranstaltungen abzuhalten und ein einigermaßen geordnetes Leben zu führen, das reiche ihm. Und ich habe mir gedacht: Um Gottes Willen, das reicht mir einfach nicht.“ Wenn man Gaben hat, weiß der Theologe Clemens Sedmak, dann hat man auch die Verantwortung, etwas daraus zu machen.

Andererseits fällt dem guten Katholiken sofort das Wort von Martin Buber ein: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“. Doch wenn er so nachdenkt, muss er doch gestehen, dass er Erfolgserlebnisse liebt. Weiter, schneller, jünger – so hat zumindest früher sein Motto gelautet. „Immer der Jüngste – das ist schon toll“, sagt der 39-Jährige. „Aber irgendwann hört sich das auf, man altert so vor sich hin.“ Mittlerweile hat er lieber das Gefühl, dass das, was er in Angriff nimmt, sinnvoll ist, dass sein Tun das eigene Ja und das Ja der ihm anvertrauten Menschen zum Leben stärker macht. Seine drei moralischen „heroes“ – der Jesuit Pedro Arrupe, Sedmaks Philosophieprofessor und „Arche“-Gründer Jean Vanier sowie der „Peanut-Man“ George Washington Carver – weisen ihm dabei den Weg.

Überforderung und Arroganz

Und noch etwas gehört zu Clemens Sedmaks Lebenszielen: „ein dickes, langweiliges Buch zu schreiben“ – etwas mit Substanz und 600 Seiten über die „Ethik des Denkens“. Doch dieser zeitliche Luxus ist dem Turbodenker einstweilen nicht vergönnt. Zu viele Erwartungen muss er erfüllen: hier ein Referat, da eine Funktion, dort ein Amt. Überforderung und Konflikte an der Universität Salzburg waren auch ursächlich für seine persönliche Krise im Jahr 2004. „Da kommt jemand, der sich sehr stark über das Jungsein definiert, bisher nie auf die Nase gefallen und deshalb durchaus arrogant ist“, beschreibt er die damalige Situation. Sedmak ergreift die Flucht nach vorn, bewirbt sich für den Lehrstuhl für Moral- und Sozialtheologie am renommierten King’s College in London, den er prompt erhält – und fühlt sich anfangs erneut überlastet. „Ehrgeiz wird dort ungesund, wo es raubtierhaft wird“, sagt er heute, „wo keine Kraft für Selbsterneuerung, soziale Verantwortung, Freunde und Familie bleibt. Das habe ich bitter gelernt.“

„Zumindest vom Kopf her“ weiß Clemens Sedmak also, dass es gefährlich ist, sein Leben auf eine einzige Sinnquelle aufzubauen. Der Beruf ist nicht alles, die Kirche ist nicht alles, und auch die Familie ist nicht alles. „Dadurch instrumentalisiert man ja die armen Kinder“, ist er sich bewusst. Schon gar nicht will der Tausendsassa ein ehrgeiziger Vater sein: „Vielleicht auch deshalb nicht,“ meint er in typischer Koketterie, „weil ich selber mit meinem Leben so überfordert bin, dass ich keine Zeit habe, die anderen zu versklaven.“

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