Trauer in Politik verwandeln

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Die nach 9/11 gegründeten Opfer-Hilfsorganisationen arbeiten nach wie vor und haben sich zu wichtigen politischen NGOs entwickelt .

John Leinung stand am 11. September vor fünf Jahren mit seiner Frau am Dach seines New Yorker Mietshauses, und beide blickten geschockt gen Süden, wo Staub und Rauch von den zusammenstürzenden Türmen des World Trade Centers aufstieg. Zu diesem Zeitpunkt wusste John noch nicht, dass er gerade seinen Stiefsohn verloren hat.

Um sein Leid und das der vielen von Krieg und Terror Betroffenen zu lindern, gründete er nach 9/11 die Organisation "September 11th Families for Peaceful Tomorrows". Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, alternative Konfliktlösungs-Möglichkeiten zu erarbeiten, um so auf die Politik des jeweiligen Landes einzuwirken und eine auf Dialog basierende internationale Friedenspolitik voranzutreiben. Dafür reist er sogar nach Afghanistan und in den Irak. Dafür redet er mit Angehörigen der Opfer der Terroranschläge von Madrid und London. Am fünften Jahrestag von 9/11 organisiert er eine prominent besetzte, internationale Konferenz in New York: "Ich versuche aus meiner Trauer etwas Positives zu machen, indem ich alternative Antworten zu Krieg und Terror suche."

Alternative Antworten finden

In den Wochen und Monaten nach dem 11. September entstanden in den USA hunderte Selbsthilfegruppen. Die finanzkräftigeren Organisationen unter ihnen, die es geschafft haben, ihre Anliegen öffentlichkeitswirksam nach außen zu tragen, arbeiten nach wie vor mit voller Kraft an ihren Projekten. Einige haben ihre Prioritäten verändert, ihren Blickwinkel erweitert und sind im Laufe der letzten fünf Jahren zu bedeutenden NGOs herangewachsen: mit politischen Agenden und hehren Zielen. Sie investieren Zeit und Geld, um politisch Einfluss zu nehmen, "damit sich Ereignisse wie die Tragödie von 9/11 nicht mehr wiederholen" (Leinung).

Carie Lemack hat ihre Mutter Judy verloren; sie saß in einem der Flugzeuge, das die Terroristen in das World Trade Center jagten. Sie gründete daraufhin mit anderen Betroffenen die Organisation "Families of September 11": "Nichts mehr war so wie vorher. Nach 9/11 haben wir alle ein neues Leben angefangen", erzählt Lemack und man sieht immer noch die Wut in ihren Augen - die sie antreibt. Lemacks NGO zählt heute zu einer der bedeutendsten Familienorganisationen, die versucht, direkt auf die Politik in beiden Kammern am Kapitol Einfluss zu nehmen und in Sicherheitsbelangen beratend mitzuwirken.

Carie Lemacks Themen reichen von Maßnahmen zur Vermeidung von Nuklear-Terrorangriffen über die Schaffung einer Beratungsstelle für Opfer von Terrorismus bis hin zum Ausbau der Flugsicherheit. Auch die Umsetzung der von der staatlichen 9/11-Kommission vorgeschlagenen Reformen versucht Lemacks-Gruppe voranzutreiben: "Ein steiniger Weg!" Die 9/11-Kommission war aufgrund des Drucks der Familien 2002 vom US-Kongress eingesetzt worden, um die Versäumnisse vor und nach den Anschlägen zu untersuchen. Im Juli 2004 präsentierte die aus Republikanern und Demokraten bestehende Gruppe einen Abschlussbericht, in dem institutionelle Mängel, unter anderem das Missmanagement bei der CIA, aufgelistet und drastische Maßnahmen gefordert wurden.

"Die Empfehlungen der Kommission sind bis jetzt nicht einmal zur Hälfte umgesetzt worden - das ist sehr, sehr frustrierend", beschwert sich Mary Fetchet, die Gründerin von "Voices of September 11", jener Organisation, die maßgeblich daran beteiligt war, dass die 9/11-Kommission - anfänglich gegen den Willen der Bush-Regierung - zustande kam.

Vor dem 11. September war Fetchet Sozialarbeiterin in einem Krankenhaus. Doch der Tod ihres 24-jährigen Sohnes Brad an diesem sonnigen Septembertag veränderte ihr Leben. Sie wurde zu einer nationalen Bekanntheit und ihre Organisation eine der aktivsten und finanzstärksten 9/11-Organisationen im Land.

Kaum mehr Unterstützung

Auf so viel Unterstützung können nur wenige der Familienorganisationen zurückgreifen. Edi Lutnick vom "Cantor Fitzgerald Relief Fund" klagt, dass die Arbeit immer schwieriger wird: "Die Unterstützung der Öffentlichkeit ist total eingeschlafen. Früher hatten wir Hunderte freiwillige Helfer, heute nur noch zwei. Auch die Privatspenden bleiben aus", meint die ehemalige Rechtsanwältin, die nach 9/11 ihren Job an den Nagel gehängt hat, um rund um die Uhr für die betroffenen Familien da zu sein.

"Glauben Sie mir, eigentlich würde ich meine Zeit lieber für andere Dinge verwenden", sagt Monica Iken, die Gründerin der "September's Mission", jener Familienorganisation, die sich für die Errichtung des Denkmals auf dem ehemaligen World Trade Center-Gelände einsetzt. "Aber jemand muss sich ja dafür einsetzen - und das sind halt die Familien der Opfer", sagt Iken, die am 11. September 2001 ihren Mann Michael verloren hat. Seither kämpft sie um eine Stätte, wo sie seiner gedenken kann: "Das ist nicht nur für mich, sondern für alle Betroffenen wichtig, einen angemessenen Ort zu haben, an dem man trauern kann", sagt sie - "zum Gedenken an die Tragödie und zur Heilung unserer Wunden."

Die Autorin ist freie Journalistin in New York.

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