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Kinder als Waren—Caritas made in USA

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Mit viel Aufwand versuchen pseudo-karitative Organisationen aus den USA an die Spenden gutgläubiger Christen heranzukommen. Aber nicht nur ihre Werbemethoden geben zu denken.

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Mit viel Aufwand versuchen pseudo-karitative Organisationen aus den USA an die Spenden gutgläubiger Christen heranzukommen. Aber nicht nur ihre Werbemethoden geben zu denken.

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„Wenn Sie diese Seite einfach umblättern, kann ein Kind daran sterben." Seit einigen Monaten stößt man auch in österreichischen Tageszeitungen und Zeitschriften auf ganzseitige Inserate mit ähnlich aggressiven Parolen.

Eine Gruppe dunkelhäutiger Kinder, viele traurige und ein paar strahlende Gesichter. Warum dürfen sie sich freuen? Weil

sogenannte Pateneltern monatlich 350 Schilling bezahlen und damit die Kinder angeblich vor dem Hungertod bewahren.

Auf diese Art und Weise ruft „World Vision", nach eigenen Angaben eine „christlich-humanitäre Organisation, die als gemeinnütziger Verein anerkannt ist", zu Spenden für die notleidenden Kinder in den Entwicklungsländern auf.

Keine rechte Freude mit dem Verein haben allerdings die kirchlichen Hilfswerke, die Entwicklungsarbeit leisten — weder in der Bundesrepublik Deutschland, noch in Österreich. Vielmehr haben sich diese Stellen von World Vision und ähnlichen US-amerikanischen „Schnorr"-Organisa-tionen nachdrücklich distanziert, weil sie „mit aufwendigen kommerziellen Mitteln an die Spenden der Katholiken heranzukommen versuchen" (so ein Rundschreiben der Koordinierungsstelle für Internationale Entwicklung und Mission der österreichischen Bischofskonferenz).

Seit 26. Oktober 1981 ist World Vision als „Christliches Hilfswerk — Verband Christlicher Nächstenliebe" bei der österreichischen Vereinspolizei registriert. Als Präsident scheint ein gewisser Walter Bühl auf, jedoch leitet das Büro in der Wiener Mariahilfer Straße der Direktor von World Vision für alle deutschsprachigen Länder, Manfred Kohl.

Was die kirchlichen Entwicklungshilfe-Organisationen am meisten an World Vision stört, ist das Segeln der Amerikaner unter falscher Flagge.

Denn World Vision stellt sich selbst in eine Reihe mit den christlichen Organisationen, die seit Jahrzehnten in der Entwicklungspolitik und -hilfe arbeiten.

World Vision verstößt mit den teuren und zweifelhaften Werbemethoden eindeutig gegen die Richtlinien dieser Organisationen, nämlich entwicklungspolitische Bewußtseinsbildung voranzutreiben, mit Konsequenzen für den eigenen Lebensstil und unter Wahrung der Würde der Notleidenden.

Darauf wendet Manfred Kohl ein, daß World Vision mit der aufwendigen Inseratenkampagne andere Spenderkreise erschließe, die kirchlichen Organisationen mißtrauisch gegenüber stünden. Tatsächlich ist auch die amerikanische World Vision eine religiöse Organisation, in deren Verfassung festgelegt wird: „Einzige und ausschließliche Ziele dieser Organisation sind religiöse." Aber der Werbefeldzug im deutschsprachigen Raum beschränkt sich auf die Hilfe für hungernde Kinder, ohne das missionarische Anliegen überhaupt zu erwähnen.

World Vision wurde 1950 vom amerikanischen Journalisten Bob Pierce gegründet, um den Waisenkindern des Koreakrieges zu helfen. Heute stehen der Organisation weltweit für etwa 3300 Pro-

jekte in 82 Ländern ungefähr 1,4 Milliarden Schilling an Spendengeldern pro Jahr zur Verfügung. Damit werden nicht nur rund 300.000 Patenkinder betreut, sondern auch Missionsprogramme finanziert.

In Osterreich wurden bisher zirka 600 Kinderpatenschaften vermittelt.

Um auch im deutschen Sprachraum Fuß zu fassen, ließ World Vision von der GGK-Werbeagentur eine aufwendige Kampagne starten, nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel". Denn man stößt sich nicht an der Mißachtung der Menschenwürde der Unterstützten und vermarktet fleißig deren Not.

„Die Liste der Kinder, die auf Hilfe warten, ist schier endlos und ohne Numerierung nicht zu bewältigen. Aber mit Ihren 350 Schilling können Sie eine Nummer von der Liste streichen und einem Kind schon etwas Wichtiges geben." Oder: „Für Sie sind es bloß 12 Schilling pro Tag, für ein Kind ist es die Welt und ein Zeichen christlicher Nächstenliebe."

Der Spender braucht nur den

Kupon auszufüllen: „Ja, ich will... Bitte schicken Sie mir das Bild, die Geschichte eines Kindes und die nötigen Unterlagen. Schnell."

Am besten gibt man gleich an, was einem lieber wäre: ein kleiner Südamerikaner oder ein kleiner Afrikaner.

Doch der persönliche Kontakt mit den Kindern ist nichts weiter als ein Werbetrick, der das Spenden attraktiver machen soll.

In Wirklichkeit gibt es nur allgemeine Dorfprojekte, die freilich allen zugute kommen, aber dann eben auch als solche deklariert werden müssen.

Im Finanzbericht von World Vision wird erläutert, wohin die Spendengelder wandern. Zu denken gibt der Verwaltungsaufwand von beinahe 20 Prozent — das sind rund 70 Schilling monatlich je Spender. Die Verwaltungskosten sind aber weiter nicht verwunderlich, wenn man sich nur vor Augen hält, daß z. B. ein ganzseitiges Inserat in „profil" über 70.000 Schilling kostet.

Die Organisation bettelt auch

nicht um Gratiseinschaltungen, wie zum Beispiel die Caritas.

Im Zusammenhang mit der angeblichen Auslieferung von Personen an die jeweilige Militärjunta soll World Vision in Mittelamerika eine dubiose Rolle gespielt haben.

Zumindest weigert sich World Vision nach eigenen Angaben entschieden, Adoptionen von Kindern aus der Dritten Welt zu vermitteln — womit gerade in letzter Zeit Schindluder betrieben wurde. Aber es ist schade um den Idealismus, den die Mitarbeiter der World Vision aufbringen, wenn für an sich gute Dinge mit unvertretbaren Methoden geworben wird.

World Vision trägt wenig dazu bei, daß sich die Verhältnisse in der Dritten Welt tatsächlich ändern. Es ist zu billig für einen Europäer, mit einem kleinen monatlichen Geldbetrag sein Gewissen zu beruhigen.

Viel schwieriger ist es schon, sich mit den komplizierten politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinanderzusetzen.

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