Zwischen Idyll und Industrie

19451960198020002020

Eine Kulisse wie aus dem Paradies: türkisblaues Meer, Sandstrände, üppige Vegetation und - Gold, viel Gold, welches das Leben der Inselbewohner entscheidend verändert hat.

19451960198020002020

Eine Kulisse wie aus dem Paradies: türkisblaues Meer, Sandstrände, üppige Vegetation und - Gold, viel Gold, welches das Leben der Inselbewohner entscheidend verändert hat.

Werbung
Werbung
Werbung

Die 7.000 Einwohner Lihirs, eine entlegene Inselgruppe in der Provinz New Ireland auf Papua Neu Guinea, lebten bis zu Beginn der neunziger Jahre nach uralten Traditionen, und sie tun es zum Teil bis heute. Und doch hat sich ihr Leben entscheidend verändert. Einerseits durch Missionierung, andererseits durch den Bau einer Goldmine, die 1995 fertiggestellt wurde. Die Insulaner durchlebten in wenigen Jahren eine Entwicklung, die in Europa Jahrhunderte dauerte; alte und neue Lebensweisen bestehen nun nebeneinander.

Auf der winzigen Insel Lihir - sie ist gerade 15 Kilometer lang und zehn Kilometer breit - wurden 1982 große Mengen an Gold entdeckt. Heuer sollen 550.000 Unzen Gold gefördert werden. Gewonnen wird das edle Metall durch Amalgamierung (mit Hilfe von Quecksilber) oder durch Cyanidlaugerei. Die damit verbundene Umweltbelastung liegt auf der Hand.

Abseits dieser hochtechnisierten Industrie lebt der Großteil der Bevölkerung auf benachbarten kleinen Inseln in Clans und kleinen Dörfern. Die österreichische Psychologin und Ethnologin Sigrid Awart hat ein solches Dorf besucht. Ihre Eindrücke schildert sie am Dienstag, 14. April, in "Nightwatch" (siehe Fernsehtip).

Fünf Schwestern erzählen in der Dokumentation aus ihrem Leben in Papua Neuguinea, von überlieferten Traditionen und Veränderungen.

Goldene grüne Inseln So hat zum Beispiel schon die Missionierung tief in die Bräuche der Gesellschaft eingegriffen: Früher war es etwa üblich, daß Mädchen bei der ersten Menstruation von ihren Altersgenossen isoliert und von älteren Frauen betreut wurden, die sie in die Geheimnisse des Lebens einer erwachsenen Frau einweihten und auf eine spätere Ehe vorbereiteten. Dies geschah in einem eigenen Haus, in das kein Mann seinen Fuß setzen durfte. Dort wurde dann viel gegessen und gelacht - bis eines Tages ein katholischer Missionar sich über das Verbot hinwegsetzte. Auf einmal stand er inmitten einer Menge nackter Frauen und war schockiert. Und die Frauen sollen alle krank geworden sein, weil er das Tabu gebrochen hat, heißt es. Das war das Ende einer Tradition, die Frauen waren nun zu verängstigt, um diesen Brauch weiter fortzusetzen.

Aber die Jugend von Lihir sieht das anders. "Es ist schon gut so, wie es ist", meint ein junges Mädchen. Alles Neue ist willkommen, westliche Zivilisation ist "in", blonde Haare und helle Haut sind modern. Die gewünschte Haarfarbe ist kein Problem, viele sind naturblond, und die anderen bleichen ihre Locken. Mit der Haut dürfte das nicht ganz so klappen. Die Welt ist hart und ungerecht, im Südpazifik wäre man gerne weiß, und die "Zivilisierten" grillen sich bis zum Hautkrebs.

Zu den Traditionen auf Lihir gehört natürlich auch das Feiern von Festen, wobei sich die Clans gegenseitig beschenken und bewirten. Für das Töten und Grillen der Haustiere zu sorgen, ist Männersache, und die haben dabei viel zu tun. Denn es kann schon einmal vorkommen, daß in drei Tagen 37 Schweine verzehrt werden. Doch besteht die Unterhaltung nicht nur aus Essen. Rituelle Tänze und Scherze mit Verwandten sorgen für gute Stimmung, wobei natürlich auf die Etikette zu achten ist. Verschiedengeschlechtliche Geschwister haben sich voneinander fernzuhalten, wobei man aber bei gewissen rituellen Tänzen mit Tanten und Cousins nahezu alles machen kann, sie necken oder sogar mit Wasser übergießen ...

Wir besichtigen mit Sigrid Awart und ihrem Team das einzige moderne Haus im Dorf. Die stolze Gastgeberin präsentiert ihren Gaskocher. "Aber wir verwenden ihn selten, meistens kochen wir mit den anderen draußen am offenen Feuer. Und das ist der Bildschirm", sie zeigt auf einen nagelneuen Fernsehapparat, "leider haben wir keinen Fernsehempfang, so können wir nur Videos anschauen. Aber das tun wir dann alle gemeinsam." Auf dem Regal steht eine Marienstatue, die stets mit frischen Blumen geschmückt und zweimal täglich angebetet wird.

Die Lebensweise der einzelnen Dorfbewohner ist äußerst unterschiedlich, ihr Bildungsgrad auch. Manche arbeiten im Dorf, betreiben Landwirtschaft, zeremoniellen Tauschhandel, zahlen mit Muschelgeld und sorgen für die Kinder, die dann entweder in Dorfschulen oder in westlich orientierten Bildungsinstitutionen unterrichtet werden.

Daneben hat der Bau der Goldmine zu Beginn der neunziger Jahre viele neue, verhältnismäßig gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen, die sich aber nun, nach Fertigstellung der Mine, von 2.500 auf 1.300 verringern werden. Nur die Qualifizierten können bleiben. So etwa zwei Mädchen aus dem Dorf, die schwere Lastwagen fahren. "Nein, sehr gern gesehen hat man das zu Hause nicht", lacht die eine, "das ist keine Arbeit für Frauen. Wir sitzen hoch oben, und wenn dann unten ein Mann vorbeigeht, ist das ein Problem. Außerdem tragen wir Hosen." Und sie scheint sich dabei recht wohl zu fühlen. "Ich übernachte auch gerne hier im Lager der Mine. Da kann ich am Abend in die Kantine gehen, und das Essen ist schon fertig. Wenn ich nach Hause fahre, dann dauert das erst eine halbe Stunde mit dem Boot, ich muß selber kochen, und am nächsten Tag muß ich viel früher aufstehen. Und die Männer helfen auch nicht bei der Arbeit", sie lächelt wieder und zeigt dabei ihre blendend weißen Zähne, "nein, ich möchte keinen Mann aus dem Dorf heiraten."

Die "Stadt" rund um die Goldmine besteht aus ein paar Bürobaracken und Unterkünften für die Arbeiter. Rein äußerlich erinnert die Umgebung an die Kolonialisierung um die Jahrhundertwende, aber das täuscht: wirft man einen Blick ins Innere, holt einen die westliche Gegenwart mit Siebenmeilenstiefeln ein. Die etwa zehn Quadratmeter sind mit modernster Technik vollgestopft. Wo Gold ist, ist auch Geld. Neben einem Komforttelefon stehen zwei nagelneue Computer, einer davon ein Laptop. Auch das sind Arbeitsplätze für Leute aus dem Dorf.

Faszinierend ist die Koexistenz der verschiedenen Lebensformen, die eine ganz eigene Arbeitsteilung mit sich bringt. Innerhalb einer Familie sitzt die eine im Lastwagen, die andere am Computer und die dritte zu Hause, um im Garten zu arbeiten und auf die Kinder aufzupassen. Die Tätigkeiten stehen noch nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich.

Aber jene Generation, die mit dem Dorfleben glücklich und zufrieden ist, wird einmal aussterben, und die Nachkommen werden sich vermutlich westliche Standards wünschen - viele junge Leute tun das heute schon. Einstweilen können überlieferte Traditionen noch neben der zunehmenden Verwestlichung bestehen. Niemand weiß, wie lange noch. Es wird davon abhängen, was künftige Generationen von ihrem Leben erwarten, und niemand kann von ihnen verlangen, daß sie weiterhin Bilderbuchfamilie unter Palmen spielen, nur damit wir uns an der Idylle ergötzen können, die in Wirklichkeit zu einem guten Teil aus harter Arbeit besteht. Während zivilisationsmüde Großstadtgeister von grünen Inseln und Palmenstränden träumen, sehnen sich die Bewohner der Neckermann-Werbekulissen nach Kantinen und Computern. Das Paradies ist eben immer anderswo.

Fernsehtip Das Paradies ist anderswo Dokumentation über Papua Neuguinea; von Sigrid Awart und Diego Donnhofer.

Dienstag, 14. April, 23.00 Uhr, ORF 2, in "Nightwatch".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung