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Dreimal Balkanföderation

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Im Dezember 1944 fuhr der jugoslawische Kommunist und enge Mitarbeiter Titos, Edvard K a r d e 1 j, mit einem interessanten Dokument in der Aktentasche nach Sofia. Es war ein Entwurf der föderativen Neugestaltung der Balkanhalbinsel und der erste offizielle Versuch zur Vereinigung aller südslawischen Völker. Marschall Tito sagte darin: „Jugoslawien und Bulgarien vereinigen sich zu einem einzigen Föderativstaat, der demnach aus sieben föderativen Bestandteilen besteht, nämlich aus Bulgarien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, eine einzige Volksvertretung, eine einzige Föderativregierung besitzt und ein vereinigtes Zollgebiet darstellt.“ Zur Prak- tizierung dieses geschichtlich hochbedeutsamen Vorschlages sollte eine gemischte „Kommission der jugoslawischen Einigung“ in Belgrad die neue Verfassung eines südslawischen Reiches ausarbeiten.

Kardelj verhandelte zunächst mit dem Gener ilsekretär der bulgarischen Kommunisten, Kosta Kostov, der aber den Entwurf ablehnte und durch einen eigenen ersetzte. Bulgarien sollte sowohl bei den Verhandlungen als auch in dem neuen Staat nicht eines von sieben Ländern, sondern eine von zwei Staatshälften sein. „Die Regierungen Bulgariens und Jugoslawiens verkünden, die Einigung der Südslawen durch die Bildung eines vereinigten, föderativ verwalteten Staates vorzunehmen, der den Namen .Föderation der Südslawen (FJS) trägt und mit gemeinsamer Volksvertretung, Außenpolitik, Armee, einheitlichen Gesetzen und in der Verfassung vorzusehenden gemeinsamen Ministerien ausgestattet wird.“ Im Gegensatz zur Belgrader Auffassung aber wäre ein „Provisorischer Rat der südslawischen Einigung“ (PSJU) mit paritätischer Vertretung der zwei Regierungen zu ernennen, in dem also die Bulgaren die gleiche Anzahl von Stimmen wie alle sechs Tito- Republiken zusammengenommen forderten. Dem föderalistisch getarnten Zentralismus des Kommunisten Tito stellten die Bulgaren den Dualismus des Kommunisten Georgi Dimitrov gegenüber.

Die Gespräche Kardeljs in Sofia erkalteten, wie aus seinen nach Belgrad depeschierten Berichten hervorging, um so rascher, als Kostov „mit Rücksicht auf die heutige internationale und die besondere Situation Bulgariens selbst vorläufig nur einen Beistandspakt und eine Zollunion wünscht“. In einem Protokoll dieser gescheiterten Sofioter Gespräche, das keine der beiden Regierungen bestätigte, wird aber die Entscheidung des Antifaschistischen Komitees für die nationale Befreiung Jugoslawiens begrüßt, „dem mazedonischen Volk die Eigenschaft einer nationalen Individualität und als einer der nationalen Einheiten des föderativen Jugslawiens zuerkannt zu haben, wobei sich die bulgarische Regierung verpflichtet, … im Geiste der Demokratie und einer freundschaftlichen Verständigung auch die Frage jenes mazedonischen Territoriums zu regeln, das nach dem Friedensvertrag von 1913 an Bulgarien fiel“.

Es zeigte sich in der Folge, daß Bulgarien auch in der Mazedonienfrage andere Wege einschlug, als in diesem Projekt vorgesehen war. Vor allem leugnet es die Existenz einer mazedonischen Nation und ist lediglich bereit, Zugeständnisse an die historischen Besonderheiten des mazedonischen Stammes des Bulgarentums zu machen. Sollte aber das bulgarische Konzept einer südslawischen Föderation in der dualistischen Form verwirklicht werden, dann käme eine Abtretung der westbulgarischen Kreise Gorna Dschumaja und Petritsch („Pirin-Mazedo- nien“) nur dann in Betracht, wenn gleichzeitig auch das nordgriechische „Ägäisch- Mazedonien“ zwischen Saloniki und der bulgarisch-jugoslawischen Grenze mit dem heute jugoslawischen „Wardar-Mazedonien“ um Skoplje zu einem „Großmazedonien“ vereinigt wird. Die Bulgaren haben guten Grund, anzunehmen, daß ein solcher völlig souveräner Staat der Mazedonier im stillen Ringen um das Übergewicht ją einer Balkanföderation zu ihrem Verbündeten werden müßte. Denn der uralte Gegensatz zwischen der hegemonistischen Tendenz von Belgrad auf dem Balkan und der bulgarischen Schlüsselstellung am Schwarzen Meer und nahe der Dardanellen wurde vom Kommunismus unverändert aus der monarchistischen Ära übernommen. Zwar heuchelt Georgi Dimitrov Entrüstung und nennt diese Auslegung einen „großbulgarischen Chauvinismus der monarchistischen Bourgeoisie und des Kapitalismus“, doch wird diese politische Strömung in seiner Republik erneuert. Er will in die künftige Balkanföderation als mit Tito mindestens gleichberechtigter Partner eintreten und das Gewicht des eigenen Siebenmillionenstaates mit einem von fast zwei Millionen Menschen bevölkerten Großmazedonien entscheidend aufrüsten. Dimitrov sprach daher auf dem Parteitag der bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten) vom Dezember 1948 von dem Regime Titos als einer „Clique, die einen unversöhnlichen Nationalismus züchtet und die Stellungen jenes großserbischen Chauvinismus hält, der die Erringung der Hegemonie auf dem Balkan und die Annexion Mazedoniens durch Serbien betrieb“.

Jugoslawien hingegen ist der Ansicht, daß eine großmazedonische Republik nur innerhalb seiner vorhandenen Föderation geduldet werden könne. Warum nur diese Politik mit der leninistischen lehre von der Selbstbestimmung der Völker in Einklang steht, hat der erfahrene Praktiker der Ideen Titos, Mosche Pija de, eingehend begründet: „Weil die heutige Volksrepublik Mazedonien bereits den größten Kern des mazedonischen Volkes erfaßt und dieses schon seine nationale Individualität, seine staatliche Organisation und Gleichberechtigung mit den staatlichen Organismen der übrigen jugoslawischen Völker errungen hat. Im Verband der jugoslawischen Föderation besitzt das mazedonische Volk die beste Garantie gegen die Ansprüche sowohl eines serbischen wie auch eines bulgarischen Chauvinismus.“ Offen wird Georgi Dimitrov beschuldigt, er baue seine Politik auf dem gleichen Gedanken wie die Herrschaft des Zaren Boris III. „Diese hintergründigen Absichten, die in der Mazedonienfrage einen großbulgarischen Chauvinismus als Überreste des großbulgarischen Hegemonie- strebens nähren, sind es eben, die eine Vereinigung der Jugoslawen mit den Bulgaren zu einer Föderation verhindern.“

Mazedonien ist also wiederum ein Sprengpulver der balkanischen Verständigung geworden. Die unmittelbaren Auswirkungen des Streites spürt natürlich die kommunistische Partei Griechenlands sehr stark. Ihr Zentralkomitee hat Ende Jänner 1949 auf einer sehr stürmischen Tagung im Partisanengebiet versucht, die inneren Spannungen zwischen Griechen und Mazedoniern durch ein Kompromiß zu überbrücken. In einer Resolution heißt es: „Es besteht kein Zweifel darüber, daß das mazedonische Volk (in Nordgriechenland) nach dem Sieg der griechischen demokratischen Armee nach seinem Wunsch die volle Möglichkeit zur nationalen Selbstbestimmung erhält.“ Die Resolution spricht von zersetzenden Aktionen des „großgriechischen Chauvinismus“ in den eigenen Reihen, die das mazedonische Volk beunruhigen, und verspricht die Gründung eines einheitlichen mazedonischen Staates in einer Balkanföderation erst nach dem Siege über den „Monarchofaschismus“ in Athen in Erwägung zu ziehen. Wenige Tage später wurde dieser Passus der Resolution auf einer Haupttagung der nordgriechischen Nationalen Front erläutert: „Die Nationale Front wird demnächst die Vereinigung des gesamten mazedonischen Volkes in einem einzigen, unabhängigen, gleichberechtigten Staat als Glied einer volksrepublikanischen Föderation aller Balkanvölker zum Programm erheben.“ Daraus ist ersichtlich, daß sich die griechischen Kommunisten in dieser peinlichen Affäre nicht ungeschickt verhalten. Sie stimmen zwar theoretisch einer Abtretung nordgriechischen Territoriums mit den mazedonisch bevölkerten Städten Lerin, Kostur, Woden, Jendze-Wardar, Gümü.rd- žina, Seres und Drama an ein Großmazedonien zu, jedoch erst nach der Gründung einer Banlkanföderation m i t und nicht ohne Griechenland.

Somit besteht die Einmütigkeit im Kommunismus nur in dem Zugeständnis eines gesamtmazedonischen Staates, der sowohl das jugoslawische, westbulgarische und nord- griechische Gebiet dieses Volksstammes umfassen soll. Hingegen beschreiten die interessierten politischen und • staatlichen Faktoren drei verschiedene Wege zur Erreichung dieses Zieles. Tito und Dimitrov wollen nur die Slawen in einer Föderation versammeln, sind aber über die Person des Einigers uneins. Die griechischen Genossen lehnen die Separierung der Slawen ab und fordern die F.inigung und Föderation der gesamten Halbins e.l. Nun versteht man die Warnung einer Moskauer Parteizeitung an Georgi Dimitrov, vorläufig nicht mit dem Feuer zu spielen, weil die Balkanföderation noch nicht spruchreif sei. Trotzdem glaubt der Bulgare, schon am längeren Hebelarm zu sitzen, seitdem Tito bei Stalin in Ungnade gefallen ist. Wenn der jugoslawische Marschall fallweise aus seinem Geheimarchiv Dokumente veröffentlicht, gedenkt er, den ungestümen Dimitrov in Moskau in Mißkredit zu bringen, weil dem Kreml nichts ungelegener ist, als durch das Aufrollen der mazedonisdien Frage Verwirrung in die Reihen der griechischen Partisanen zu tragen, bei denen auch Mazedonier kämpfen. Wie in der Vergangenheit kommt auch diesmal der Balkan nicht ohne das Schiedsgericht einer fremden Großmacht aus, und damit wird die Balkanföderation ein Objekt der Weltpolitik bleiben, in der die kleinen Völker nur Publikum sind.

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