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Gas-Stopp: Erdbeben als Kollateralschaden

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Auf der Suche nach Ersatz für russisches Gas kommt die niederländische Provinz Groningen wieder ins Bild. Doch wegen Erdbeben sollte dort die Gasförderung eigentlich auslaufen. Streifzug durch eine besorgte Region.

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Auf der Suche nach Ersatz für russisches Gas kommt die niederländische Provinz Groningen wieder ins Bild. Doch wegen Erdbeben sollte dort die Gasförderung eigentlich auslaufen. Streifzug durch eine besorgte Region.

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An einem Abend Anfang März klingelte in tausend Groninger Haushalten das Telefon. Es war kurz nach dem „acht uur journaal“, der Hauptnachrichtensendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Der Krieg in der Ukraine war etwa eine Woche alt und die Nachrichten voller Horrormeldungen. Vom Bildschirm, erinnert sich Jan Wigboldus, floss regelrecht das Blut. Wer danach das Telefon abnahm, war also ziemlich beeinflusst von diesen Eindrücken. Am anderen Ende der Leitung war ein Umfragebüro. Was die Interviewer wissen wollten, war äußerst heikel: Sollte die Gasförderung in der Provinz Groningen wieder erhöht werden, wenn die Niederlande sich damit unabhängig von russischem Gas machen können?

Aus Putins Umklammerung

Das Ergebnis war so, dass es selbst im ganzen Land zur Schlagzeile wurde: Sechs von zehn Befragten wollten in der aktuellen Lage die Gasförderung wieder starten – nicht nur um das Land aus der fossilen Umklammerung Putins zu befreien, sondern auch um das Leiden der ukrainischen Bevölkerung zu vermindern. Lieber Erdbebengefahr – denn dazu führt die Gasförderung in Groningen – als Bomben und Raketen auf die Ukraine. „Ich bin wirklich stolz, dass sich meine Provinzgenossen so entschieden haben“, sagt Jan Wigboldus. Das wiederum ist auch bemerkenswert, denn der 69-jährige Landwirt ist der Vorsitzende des „Groninger Gasberaad“. Dieser Dachverband vertritt allerlei gesellschaftliche Gruppen und Organisationen, die sich dem jahrzehntelangen Reizthema der sogenannten Gasbeben verschrieben haben.

Wigboldus setzte sich schon in den 1990ern mit der lokalen Verwaltung auseinander, als diese ihm nach einem Erdbeben erzählen wollte, es sei nur ein Flugzeug durch die Schallmauer geflogen. 2005 schrieb er dann einen Brief an die Provinzregierung – mit der dringenden Bitte, sich der Thematik anzunehmen. Er bekam keine Antwort. Wenn also selbst jemand wie er so denkt, zeigt das, mit welchen Dilemmata man sich im hohen Nordosten der Niederlande derzeit quält.

Um die Gefühlslage zu erklären, empfängt uns der Vorsitzende im „Dorpshuis“ von Garmerwolde, wo knapp 500 Menschen wohnen. Das Herz des Dorfes schlägt hier, Vereine treffen sich, man feiert Feste, ein Poster kündigt einen Auftritt der Small Town Bandits an. Im ersten Stock hat Gasberaad sein Büro. Draußen weht die Provinzflagge, doch statt des grünen Kreuzes zwischen roten und blauen Rechtecken verläuft dort eine gezackte Linie, die auf die seismologische Aufzeichnung eines Erdbebens verweist. Seit einigen Jahren sieht man sie in der Region oft als Proteststatement.

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